«Wir können niemanden mehr finden», sagte Andrea Mittner, Einsatzleiter der Kantonspolizei Graubünden, am Samstagnachmittag in Bondo vor den Medien. Die Suchmannschaften hätten zu diesem Schluss kommen müssen. Man habe alle verfügbaren Mittel eingesetzt - Helikopter, technische Suchgeräte, Hunde und Rettungstrupps, aber trotzdem niemanden gefunden.
«Alle acht Personen bleiben vermisst», erklärte Mittner. Es handelt sich um vier Deutsche aus Baden-Württemberg, zwei Personen aus der Steiermark in Österreich und zwei Berggänger aus dem Kanton Solothurn. Gemäss einer früheren Aussage von Mediensprecher Roman Rüegg geht die Polizei davon aus, dass alle Vermissten vom Felssturz erfasst wurden.
«Das tut wirklich weh», sagte Gemeindepräsidentin Anna Giacometti an der Medienorientierung bewegt. Sie sprach den Angehörigen der Vermissten vor laufenden Kameras das Mitgefühl der Gemeinde aus. Die Angehörigen wurden bereits kontaktiert. Ihnen wurde angeboten, sich vor Ort ein Bild zu machen.
Die Suche war bereits am Freitagabend eingestellt worden, nachdem ein weiterer Murgang Bondo erreicht hatte. Bis Samstagnachmittag blieb aber unklar, ob der Suchstopp nur vorübergehend oder definitiv war. Nach einer erneuten Lagebeurteilung am Samstagvormittag wurde dann die definitive Einstellung der tagelangen Suche kommuniziert.
«Es ist schwer, Worte zu finden, um die Situation in Bondo zu beschreiben», sagte der Bündner Sicherheitsdirektor Christian Rathgeb, nachdem er sich einen Eindruck vom Ausmass der Zerstörung gemacht hatte. Angesichts der Bilder sei nachvollziehbar, dass die Suchaktion eingestellt werden musste.
Der Fokus der Einsatzkräfte liegt nun auf den Sicherungsmassnahmen für das evakuierte Dorf. Es drohen weitere Felsstürze und Gerölllawinen, sogenannte Murgänge, wie Einsatzleiter Mittner erklärte.
Beobachter im Bergsturzgebiet im Val Bondasca oberhalb des Dorfes sollen die Räumungsmannschaften rechtzeitig vor neuen Gefahren warnen. «Die Arbeiten können so in Sicherheit fortgesetzt werden», sagte Mittner. Das von Geologen berechnete Sicherheitskonzept habe sich bewährt.
Eine zentrale Aufgabe der Räumungstrupps ist das Leeren eines Auffangbeckens für Gestein und Geschiebe, welches das Dorf vor Murgängen schützt. Das Becken ist bereits ziemlich voll. Da das Risiko von weiteren Gerölllawinen besteht, sollen wieder Auffangreserven geschaffen werden.
Die Einwohner von Bondo sind in Sicherheit und Wohlbehalten, wie Polizeisprecherin Sandra Scianguetta der Nachrichtenagentur sda sagte. Die meisten sind bei Verwandten oder Freunden untergekommen, andere beim Zivilschutz.
Ein Teil der Bevölkerung «könnte theoretisch ins Dorf zurück», will aber nicht. Zu gross ist die Angst vor weiteren Gerölllawinen aus dem Bergsturzgebiet. Den Einwohnern stecken bange Momente vom Freitag in den Knochen. Kurz nachdem sie in ihre Häuser zurückzukehren konnten, mussten sie diese wegen eines erneuten Murganges auch schon wieder räumen.
Bondo bleibt damit faktisch evakuiert. Seit am Mittwoch die riesigen Felsmassen zu Tal krachten, übernachtete niemand mehr im abgelegenen Bergdorf im Bündner Südtal Bergell.
Vier Millionen Kubikmeter Fels - das Volumen von 4000 Einfamilienhäusern - stürzten beim grössten Bergsturz in Graubünden seit Jahrzehnten vom 3369 Meter hohen Piz Cengalo ins Val Bondasca, einem Seitental des unteren Bergells. Danach spülte Wasser das Geröll bis nach Bondo. Dank bestehender Sicherheitsbauten wurde dieses von den Murgängen nur gestreift.
Die Gefahr weitere Felsstürze und Murgänge scheint relativ hoch. Nach Aussagen verschiedener Experten von Kanton und Bund ist am Piz Cengalo eine weitere Million Kubikmeter Fels in langsamer Bewegung. Stündlich regnet es Steine und auch ein massiver Felsabbruch ist jederzeit möglich.
Gefahr geht aber auch von den abgestürzten Felstrümmern, die sich im Val Bondasca Häuserhoch türmen. Im Tal staue sich viel Abbruchmaterial, das jederzeit in Bewegung geraten könne, sagte der Geologe Andreas Huwiler vom Bündner Amt für Wald und Naturgefahren im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».
Das Reservoir an mobilisierbarem Material sei «sehr, sehr hoch». Die grösste Gefahr entstehe nach langen und ausgiebigen Regenfällen oder Gewittern.