Beamte wollen nur noch EU-Tänzerinnen in Schweizer Nachtclubs
Sex-Branche in Aufruhr

Das sogenannte «Tänzerinnen-Statut» wird nach mehr als 40 Jahren abgeschafft, Beamte werfen exotische Tänzerinnen aus dem Land. In der Folge bangen nun Cabaret-Besitzer um ihre Existenz.
Publiziert: 29.12.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:17 Uhr
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Letzter Tanz: Trauriger Abschied in der Bar Blue Lagoon. Tänzerin Julia (30) muss schon in wenigen Tagen zurück in die Ukraine.
Foto: Mirko Ries
Von Michael Sahli

Tote Hose statt nackter Beine: In vielen Cabarets herrscht Katerstimmung: Ein beträchtlicher Teil der erotischen Tänzerinnen muss die Schweiz im Januar 2016 von Gesetzes wegen verlassen. Nach über 40 Jahren wird das sogenannte Tänzerinnen-Statut abgeschafft. Wer nicht aus dem EU-Raum stammt, darf in der Schweiz nicht mehr in Cabarets und Bars an der Stange tanzen und muss unverzüglich nach Hause zurückgehen.

Eine der Unglücklichen ist Julia* (30) aus der Ukraine. Sie sagt: «Ich konnte nicht einmal die Festtage geniessen. Keine Ahnung, was ich in der Ukraine machen soll.» Die Stripperin nippt nachdenklich an ihrem Cüpli: «Dieses Glas kostet ungefähr so viel, wie ich zu Hause in zwei Wochen verdiene.» Bevor sie vor Jahren in die Schweiz kam, begann sie eine Ausbildung als Lehrerin. Den Abschluss konnte sie sich aber nicht leisten. Jetzt geht auch das letzte Ersparte drauf. «Für mein Rückflugticket», sagt sie.

Das neue Gesetz bringt aber nicht nur Tänzerinnen in die Bredouille. Auch die Cabaretbetreiber sehen schwarz. Der Chef der Haifisch Bar in Zürich sagt: «Bei uns müssen alle neun Tänzerinnen ausreisen. Bleiben darf keine einzige.»

Mit dem neuen Gesetz ein Cabaret zu führen, sei schlicht unmöglich: «Es ist nicht realistisch, EU-Bürgerinnen für diesen Job zu finden.» Für die gebe es lukrativere Arbeit in der Schweiz. Der Haifisch-Boss sagt: «Die dürfen ja legal anschaffen und arbeiten, wo sie wollen.» Wie es mit seinem Cabaret weitergeht, weiss er noch nicht: «Ich muss wohl auf Barbetrieb oder Disco umstellen, ein Cabaret ohne Tänzerinnen geht ja nicht.»

Der Haifisch-Chef ist sauer. Viele seiner Frauen fühlten sich schon als richtige Schweizerinnen und: «Die Hurerei wird bewilligt, die Zürcher Sex-Boxen zahlt sogar der Steuerzahler. Aber Tänzerinnen wirft man mal eben raus.»

Ähnlich melancholisch ist die Stimmung im Cabaret Blue Lagoon in Wollerau SZ. «Bei uns kommen die meisten Frauen aus der Ukraine, Süd- und Mittelamerika oder Afrika», sagt der Betriebs-Chef Lucky* (47). «Die werden nun rausgeschmissen.» Ihm tue es vor allem für die Frauen leid: «Die meisten haben Kinder, ganze Familien verlieren ihr Einkommen.»

Zudem befürchtet der Cabaretchef, dass einige der Frauen versuchen dürften, illegal wieder in die Schweiz zu kommen.» Das Ende des Tänzerinnen-Statuts kam in Raten: 2008 erteilten die Behörden noch über 4000 Bewilligungen für die exotischen Tänzerinnen.

Dann dämmerte wohl den Beamten, dass es bei vielen Tänzerinnen nicht beim Striptease blieb. Es sei «Usus, dass sich die Tänzerinnen prostituieren» und zum «Alkohol-Konsum animieren», heisst es in einem Bericht des Bundesamts für Polizei aus dem Jahr 2011. Seither haben viele Kantone die Zügel angezogen. In wenigen Tagen müssen und sollen nun auch die letzten verbliebenen 712 Nicht-EU-Frauen ausreisen.

Der behördliche Rauswurf soll die Frauen vor Ausbeutung schützen. Paradox: Mit exakt der gleichen Begründung war das Statut einst eingeführt worden. Die Tänzerinnen sollten damals aktenkundig erfasst werden.

Auch viele Frauen-Organisationen sehen die Abschaffung des Statuts kritisch. Sogar im Kanton St. Gallen, wo das Statut schon lange Geschichte ist. Susanne Gresser von der St. Galler Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe «Maria Magdalena»: «Illegalität ist ein Risiko für die Frauen. Sie können sich nicht wehren, sind abhängig vom Chef.» Die Expertin glaubt nicht, dass Verbote etwas nützen: «Die Frauen kommen sowieso, wenn nötig ohne Vertrag.»

Tänzerin Julia sieht nur einen Ausweg: «Vielleicht kann ich in ein anderes Land. In Japan sollen die Männer auch nett sein.»

* Namen der Redaktion bekannt

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