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Über 1000 Kinder wissen nicht, wer ihr Papa ist
Daddy-Detektivin sucht unbekannte Väter

Am 31.12.2018 gab es in der Schweiz 1182 Kinder, deren Väter den Behörden – und manchmal auch den Müttern selber – nicht bekannt waren. Dann treten Spezialistinnen wie Berufsbeiständin Noémi Baltermia (31) in Aktion. Sie versuchen, die verschollenen Daddys zu finden.
Publiziert: 06.09.2019 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2019 um 10:44 Uhr
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Manchmal kennt die Daddy-Detektivin nur den Vornamen eines mutmasslichen Vaters. Auf die Suche macht sie sich trotzdem.
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Michael Sahli

Vom Vater ihres Kindes wusste eine Mutter aus Basel nach einem One-Night-Stand nur noch, dass er Musiker ist. Seinen Namen oder seine Adresse kannte sie nicht. Dafür erinnerte sie sich daran, welches Instrument er spielt. Und sie kannte die Musikrichtung.

Das ist kein Einzelfall: Am Stichtag, dem 31.12. 2018, gab es in der Schweiz mindestens 1182 Kinder, deren Väter den Behörden – und manchmal auch den Müttern selber – nicht bekannt waren. Das zeigt die neuste Statistik der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz.

1182 Mal Papa unbekannt

Vorgestern hat die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz die neusten Zahlen präsentiert. Sie zeigen: Am Stichtag, dem 31. Dezember 2018, gab es schweizweit mindestens 1182 Kinder, deren Väter den Behörden nicht bekannt waren. Die realen Zahlen dürften höher sein. Einige Kantone sind in der Statistik nämlich nicht berücksichtigt – so etwa der Kanton Aargau. Und auch Fälle, deren Aufklärung von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind, tauchen in der Statistik oft gar nicht erst auf.

Am meisten vermisste Väter gab es am Stichtag übrigens im Kanton Zürich: Hier wurden 290 Beistandschaften zur Feststellung von Vaterschaften errichtet. Es folgen Bern, Basel und Genf. Ausserhalb der grossen Städte fällt vor allem der Kanton Wallis auf: Hier wurden 52 Fälle registriert.

Vorgestern hat die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz die neusten Zahlen präsentiert. Sie zeigen: Am Stichtag, dem 31. Dezember 2018, gab es schweizweit mindestens 1182 Kinder, deren Väter den Behörden nicht bekannt waren. Die realen Zahlen dürften höher sein. Einige Kantone sind in der Statistik nämlich nicht berücksichtigt – so etwa der Kanton Aargau. Und auch Fälle, deren Aufklärung von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind, tauchen in der Statistik oft gar nicht erst auf.

Am meisten vermisste Väter gab es am Stichtag übrigens im Kanton Zürich: Hier wurden 290 Beistandschaften zur Feststellung von Vaterschaften errichtet. Es folgen Bern, Basel und Genf. Ausserhalb der grossen Städte fällt vor allem der Kanton Wallis auf: Hier wurden 52 Fälle registriert.

In solchen Fällen kommen Spezialistinnen wie Noémi Baltermia (31) ins Spiel. Die Juristin arbeitet als Berufsbeiständin beim Basler Amt für Beistandschaften und Erwachsenenschutz. Ein Teil ihres Jobprofils umfasst die Feststellung von Vaterschaften. Oder salopp gesagt: Baltermia ist seit bald vier Jahren «Daddy-Detektivin». Mit ihrer Kollegin kümmert sie sich um die etwa 170 Fälle, die momentan in Basel pendent sind. Interviews hat sie bislang noch keine gegeben – zu delikat ist ihr Aufgabenbereich.

Im Extremfall klopft die Polizei beim mutmasslichen Papa an

Die meisten Fälle seien zwar relativ unspektakulär, sagt die Juristin beim Treffen mit BLICK. Etwa wenn einem Flüchtling aus Syrien oder Eritrea die nötigen Dokumente fehlen, um sein Neugeborenes beim Zivilstandsamt anzuerkennen. Dann greift sie zu einem Kniff: «Ich klage im Namen des Kindes die Vaterschaft beim Gericht ein, auch wenn die gar nicht bestritten wird. Weil vor Gericht auch ohne diese Dokumente die Vaterschaft festgestellt werden kann.»

So einfach ist es aber nicht immer. Manchmal ist der Vater zwar bekannt – hat aber überhaupt keine Lust Vater zu sein. Weil Mama und Papa im Streit auseinandergegangen sind. Oder der Vater gar kein Kind wollte.

Für Baltermia heisst das: Sie muss sich in die Schützengräben eines vielleicht seit Jahren eskalierten Beziehungsstreits begeben. «Ich schreibe dann dem Vater einen Brief, dass er von der Kindesmutter als Vater angegeben wurde. Wenn keine Reaktion kommt, versuche ich es telefonisch.» Wenn alles nichts nützt, bleibt nur noch die Drohung: Wenn du die Vaterschaft nicht anerkennst, wird sie eingeklagt. Das Gericht kann dann den mutmasslichen Papa sogar polizeilich abholen lassen.

Gesucht wird: Thomas aus Olten, der Vater meines Kindes

Aus den Beziehungsproblemen zwischen Vater und Mutter hält sie sich so gut wie möglich heraus: «Ich vertrete nur die Rechte des Kindes. Alles andere kommt für mich danach», sagt sie.

«Danach» kommt auch der Wille der Mutter. Es kommt auch vor, dass sich die Mutter weigert, den Namen des Vaters bekannt zu geben. Wenn die Mutter den Kontakt unterbinden will – und nicht auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist.

Die Juristin versucht es dann mit Beharrlichkeit: «Ich erkläre, dass auch das Kind ein Recht auf den Vater hat – und irgendwann Fragen stellen wird. Und dass es eines Tages Akteneinsicht verlangen und so erfahren könnte, dass die Mutter den Kontakt zum Vater absichtlich verunmöglicht hat.»

Oft kommt so nach einigen Monaten ein Umdenken. Wenn nicht, wird die Akte irgendwann trotzdem geschlossen. So auch bei Fällen, die von Anfang an aussichtslos sind: zum Beispiel bei einer anonymen Samenspende im Ausland.

Besonders schwierig den Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen, ist es, wenn die Väter eben nicht bekannt sind. Ein Fall, der in Basel im Durchschnitt etwa einmal pro Monat vorkommt. «Am häufigsten geht es um Ferienbekanntschaften oder Bekanntschaften aus dem Ausgang. Dann wissen wir manchmal nur einen Vornamen von den Vätern», so die Beiständin. «Wenn ich nur weiss, dass der Vater Thomas heisst und aus Olten kommt, versuche ich zwar über das Einwohnermeldeamt jemanden zu finden. Das ist aber schwierig.»

Den Vater dank Konzert-Werbung gefunden

Dann sei sie auch auf die Mitarbeit der Mütter angewiesen: «Ich gebe ihnen zum Beispiel den Tipp, am gleichen Wochentag noch mal ins gleiche Lokal zu gehen und Ausschau zu halten.»

Beim eingangs erwähnten Fall, wo nur bekannt war, dass der mutmassliche Kindsvater Musiker ist, waren die Basler Daddy-Detektive erfolgreich. Der Mann hat ein Konzert im Internet angekündigt und konnte so ausfindig gemacht werden. Gefreut hat er sich dann aber nicht über die Nachricht, dass er vielleicht ein Kind hat. Der Fall landete vor Gericht.

In einem anderen Fall, der sich nicht in Basel zutrug, wusste die Mutter nur noch den Namen eines Hotels auf der Baleareninsel Mallorca. Sie wusste, dass der Vater Franzose ist. Und, dass er an jenem Abend mit Kreditkarte bezahlte. Weil das Hotel mit der Schweizer Behörde freiwillig kooperierte – und am fraglichen Abend nur ein Franzose mit Kreditkarte geführt war – konnte der Mann schliesslich gefunden werden.

Das Internet ist ein nützliches Instrument auf der Suche nach Vätern. Erst kürzlich wurde ein mutmasslicher Papa gefunden, weil sein Arbeitgeber ihm auf der Homepage zum bestandenen Lehrabschluss gratulierte. «Über den Arbeitgeber Kontakt aufzunehmen, ist für mich aber tabu», fügt Baltermia an. Im konkreten Fall zeigte sich, warum: Ein DNA-Test des jungen Mannes ergab, dass er nicht der Vater ist.

Lange Wege bis zum Happy End

Normalerweise endet nach dem Finden des Vaters der gemeinsame Weg von Beiständin und Mutter. Manchmal erlebt Baltermia aber auch so etwas wie ein Happy End. «Vor kurzem hat mir eine Mutter freudestrahlend erzählt, sie habe nun einen tollen Kontakt zum Vater, man habe sogar zusammen die Ferien verbracht.» Und: «Wir hatten auch schon Fälle, wo es weitere Kinder gab.»

Aber ihr Job sei es ja schliesslich nicht, Amor zu spielen, sagt sie trocken: «Für mich ist es schon ein Happy End, wenn der Vater eingetragen ist. Wenn er für sein Kind bezahlt. Aber vor allem, dass Kind und Vater eine Beziehung zueinander aufbauen können.»

«Jedes Kind hat das Recht, die biologische Abstammung zu kennen»

Luca Maranta (37) ist Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern und Anwalt für Kindes- und Erwachsenenschutz in Basel. Er erklärt die rechtlichen Grundlagen der Daddy-Detektive: «Ist die Mutter verheiratet, gilt zunächst automatisch der Ehemann als rechtlicher Papa – auch wenn er vielleicht nicht der biologische Vater ist», sagt er. Falls die Mutter aber unverheiratet ist, muss die rechtliche Vaterschaft hergestellt werden.

«Normalerweise geschieht dies, indem der Vater das Kind selbständig beim Zivilstand anerkennt. Ist aber etwa vier bis sechs Monate nach der Geburt kein Vater im Zivilstandsregister eingetragen, wird die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) tätig», erklärt der Experte. Im Regelfall beauftragt diese dann Beistandspersonen wie Noémi Baltermia, die Interessen des Kindes zu wahren. Dafür gäbe es gemäss Bundesgericht zwei Hauptgründe, so Maranta: «Jedes Kind hat in der Schweiz das Recht, die biologische Abstammung zu kennen.»

Der zweite wichtige Grund, warum solche Abklärungen vorgenommen werden: das Geld. «Hier geht es darum, dass nur der rechtliche Vater zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet werden kann», so Maranta. Geld, das sonst vielleicht der Steuerzahler aufbringen müsste. Hinzu kommt: «Auch für den Pflichtteil eines möglichen Erbes ist ein Kind nur berechtigt, wenn die Vaterschaft eingetragen ist. Das sind einschneidende rechtliche Folgen.» Dabei kann ein Vater bis zu einem Jahr nach Erhebung einer Unterhaltsklage rückwirkend zahlungspflichtig gemacht werden.

Wenn sich Mutter und mutmasslicher Vater über die Anerkennung der Vaterschaft nicht einig werden, landet der Fall vor Gericht. «Das führt aber zu zusätzlichen Kosten, die auf den unterliegenden Elternteil oder auf beide Eltern abgewälzt werden können.» Und: Je nachdem könne die Kesb auch die Kosten für die Tätigkeit der Beiständin in Rechnung stellen.

Sahli Michael

Luca Maranta (37) ist Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern und Anwalt für Kindes- und Erwachsenenschutz in Basel. Er erklärt die rechtlichen Grundlagen der Daddy-Detektive: «Ist die Mutter verheiratet, gilt zunächst automatisch der Ehemann als rechtlicher Papa – auch wenn er vielleicht nicht der biologische Vater ist», sagt er. Falls die Mutter aber unverheiratet ist, muss die rechtliche Vaterschaft hergestellt werden.

«Normalerweise geschieht dies, indem der Vater das Kind selbständig beim Zivilstand anerkennt. Ist aber etwa vier bis sechs Monate nach der Geburt kein Vater im Zivilstandsregister eingetragen, wird die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) tätig», erklärt der Experte. Im Regelfall beauftragt diese dann Beistandspersonen wie Noémi Baltermia, die Interessen des Kindes zu wahren. Dafür gäbe es gemäss Bundesgericht zwei Hauptgründe, so Maranta: «Jedes Kind hat in der Schweiz das Recht, die biologische Abstammung zu kennen.»

Der zweite wichtige Grund, warum solche Abklärungen vorgenommen werden: das Geld. «Hier geht es darum, dass nur der rechtliche Vater zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet werden kann», so Maranta. Geld, das sonst vielleicht der Steuerzahler aufbringen müsste. Hinzu kommt: «Auch für den Pflichtteil eines möglichen Erbes ist ein Kind nur berechtigt, wenn die Vaterschaft eingetragen ist. Das sind einschneidende rechtliche Folgen.» Dabei kann ein Vater bis zu einem Jahr nach Erhebung einer Unterhaltsklage rückwirkend zahlungspflichtig gemacht werden.

Wenn sich Mutter und mutmasslicher Vater über die Anerkennung der Vaterschaft nicht einig werden, landet der Fall vor Gericht. «Das führt aber zu zusätzlichen Kosten, die auf den unterliegenden Elternteil oder auf beide Eltern abgewälzt werden können.» Und: Je nachdem könne die Kesb auch die Kosten für die Tätigkeit der Beiständin in Rechnung stellen.

Sahli Michael

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