Beide kennen sich mit dem Baurecht bestens aus: Antonio G.* (46), Architekt ETH, und seine Schwester Giovanna G.* (51), Bauingenieurin. Trotzdem überschreiten die wohlhabenden italienischen Akademiker auf Kosten von Wohnungssuchenden moralische und möglicherweise auch gesetzliche Grenzen.
Bruder und Schwester besitzen in Kleinbasel mehrere Liegenschaften. Wohnungssuchende, die ganz dringend ein Dach über dem Kopf brauchen, oder Expats, die den hiesigen Wohnungsmarkt nicht kennen, finden bei ihnen etwa im Basler Klybeck-Quartier ein Zimmer. Auch kurzfristig. Denn in der Liegenschaft ist fast immer irgendein Zimmer frei.
Obwohl «Zimmerchen» es besser treffen würde. Die meisten Räume sind keine 10 Quadratmeter gross. Und die Mieter bezahlen trotzdem 750 bis 850 Franken für die möblierten Zimmer ohne eigenes Bad oder eigene Küche.
Die WG-Regeln geben die Vermieter vor
Diese werden geschickt als «WG-Zimmer» vermietet, als Teil einer selbstverwalteten Wohngemeinschaft. Die WG-Regeln geben dennoch die Vermieter vor: So darf zum Beispiel niemand persönliche Sachen in der Mini-Küche ohne Backofen liegen lassen, weder Besteck noch Pfanne noch Messer, Gabeln oder Esswaren.
Einmal pro Woche kommt eine von den Eigentümern geschickte Italienerin vorbei, um mit dem eigenen Schlüssel die Wohnungen zu betreten und nach dem Rechten zu sehen – allerdings ohne zu putzen. Das müssen die WG-Bewohner schon selbst tun.
Die ausländischen Arbeitskräfte, Praktikantinnen oder Studenten müssen zudem einen Vorschuss einer Monatsmiete bezahlen, bevor sie das Zimmer gesehen oder einen Vertrag unterschrieben haben. Wenn sie in der Schweiz eintreffen, müssen sie gleich am Besichtigungs- und Schlüsselübergabe-Tag den Vertrag unterzeichnen – den sie oft nicht verstehen. Darin enthalten: 12 Monate Mindestmietdauer. Wer die Miete auch nur einen Tag zu spät bezahlt, muss Mahnkosten von 40 Franken bezahlen. Für die Endreinigung wird zudem schon im Voraus 250 Franken verlangt. Die Nebenkosten sind undurchsichtig, der Strom läuft über einen der Mieter.
«Das grenzt für mich an Betrug»
«Das alles grenzt für mich an Betrug», sagt ein Mieter aus Deutschland. «Ich war irgendwie überrumpelt und hatte schon eine Monatsmiete angezahlt, also unterschrieb ich am ersten Tag. Ich bin ja damals erst frisch in der Schweiz eingetroffen. Aber jetzt möchte ich wieder aus dem Zimmer raus – nur kann ich das erst nach einem Jahr.»
Auch eine Portugiesin in einem 6-Quadratmeter-Zimmer für 780 Franken sagt zu Blick: «Mein Zimmer ist so klein – es ist den Preis nicht Wert. Ich reservierte es aus dem Ausland, als ich noch nicht wusste, dass man in der Schweiz für dasselbe Geld etwas viel Besseres bekommt.»
Elisabete Neves (43) aus Basel lebt ebenfalls in einem der WG-Zimmer. «Ich fühlte mich beim Unterschreiben überrumpelt. Aber weil ich mich frisch von meinem Mann getrennt hatte und sofort etwas brauchte, nahm ich das Zimmer einfach. Jetzt bin ich seit drei Monaten hier und möchte gerne raus, denn meine Kinder können hier nicht bei mir übernachten – aber das geht wegen der 12 Monate Mindestmietdauer nicht.»
Mieterverband hält Preise für wucherisch
«Das ist eine absolute Schweinerei», heisst es beim Basler Mieterinnen- und Mieterverband (MV Basel) zu diesem Vorgehen. Man versuche, immer mal wieder dagegen vorzugehen – doch die Behörden seien letztlich nicht daran interessiert. Und auch die Mietpreise seien nach Auffassung des MV Basel wucherisch.
Die Eigentümer nehmen mit den vier Wohnungen im Klybeck-Quartier über 6000 Franken pro Stock ein. Wären die Wohnungen nicht in kleine Kammern unterteilt und hätten sie einen normalen Grundriss, wären es wahrscheinlich gewöhnliche 4,5- bis 5,5-Zimmerwohnungen und die oberste eine grosszügigere Duplex-Wohnung.
Antonio und Giovanna G. holen mit ihrem WG-Modell also das Maximum aus der älteren Liegenschaft heraus. Doch vor ein paar Jahren waren sie noch gieriger – sodass gar die Strafverfolgungsbehörden aktiv wurden.
Für «gewerbsmässigen Wucher» müssen sich die Geschwister nämlich am Mittwoch vor dem Strafgericht Basel-Stadt verantworten.
Holztrennwände eingebaut, um noch mehr Zimmer vermieten zu können
Die kleinen Zimmer vermieteten sie vor Jahren zum Dreifachen des ortsüblichen Mietzinses an Sozialhilfeempfänger und andere Personen in akuter Wohnungsnot. Ein Zimmer von 5,18 Quadratmetern kostete zum Beispiel 630 Franken pro Monat – laut Anklageschrift wären gerade mal 193 Franken ortsüblich und gerechtfertigt gewesen.
Um die Anzahl der Einzelzimmer in den Wohnungen zu vergrössern, liessen die Eigentümer Zwischenwände aus Holz einbauen. «Dadurch waren die betroffenen Einzelzimmer ungewöhnlich hellhörig», steht in der Anklageschrift. Einzelne Zimmer wiesen dadurch auch kein Fenster mehr auf, verfügten also weder über natürliche Belichtung noch Belüftung und hätten gar nicht zum Wohnen benutzt werden dürfen – was dem Architekt und der Bauingenieurin bewusst gewesen sein muss.
Immerhin: Nach der Anklage wurden die Holztrennwände entfernt und es gibt heute keine fensterlosen Zimmer mehr.
Die Vermieter wollten gegenüber Blick keine Stellung nehmen.