Kindergewalt nimmt zu
Basler Primarschüler beissen ihre Lehrer

Lehrerinnen an Basler Primarschulen leben gefährlich. Sie werden von ihren Schülern angegriffen und sogar gebissen. Pädagogen fordern Schulinseln für rabiate Kinder.
Publiziert: 22.11.2018 um 20:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2018 um 09:09 Uhr
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Der Lehrerberuf wird immer mehr zu einer Herausforderung. (Symbolbild)
Foto: Getty Images
Anastasia Mamonova

Es passiert mitten im Unterricht. Eine Lehrerin an einer Basler Primarschule wird von einem Schüler gebissen. Leider heutzutage kein Einzelfall mehr!

Auch an zwei anderen Basler Schulen kam es zu Beiss-Attacken. Dort wurden Lehrerinnen in den ersten fünf Wochen nach den Sommerferien unter anderem in die Hand und den Oberarm gebissen, wie die «bz Basel» berichtet.

Die Frauen verzichten auf eine Anzeige, alarmieren aber den Rechtsdienst der Freiwilligen Schulsynode (FSS). Normal sei ein solches Verhalten nicht, warnt der FSS-Präsident, Jean-Michel Héritier. «Dass Kinder unter zwei Jahren beissen, ist in der Entwicklungspsychologie bekannt. Wenn sie jedoch bis ins Primarschulalter beissen, dann hat das Kind wichtige Entwicklungsschritte nicht vollzogen», schreibt er im Basler «Schulblatt».

Menschenbisse gefährlicher als Katzen- und Hundebisse

Bei den betroffenen Beissern handelt es sich um drei Kinder im Alter von vier bis acht Jahren. Eines von ihnen ist nicht mehr in der Klasse.

In zwei Fällen musste die Lehrerin ein anderes Kind beschützen und wurde so verletzt. Im dritten Fall erfolgte eine gezielte Attacke auf die Lehrperson. 

«Menschenbisse können sehr gefährlich sein», sagt Héritier zu BLICK. Sogar viel gefährlicher als Katzen- und Hundebisse. Denn: Während Katzenbisse eine Infektionsrate von 45 Prozent haben, ist die Rate bei Menschen deutlich höher. Der menschliche Speichel enthält häufig ungewöhnliche Erreger.

Deswegen reichte ein Pflaster für die gebissenen Lehrerinnen nicht aus. «Nicht nur die Lehrerin musste ihre Wunde behandeln, auch ein Kind wurde in einem anderen Fall hospitalisiert und musste Antibiotika nehmen», sagt Héritier.

«Lehrer sind überfordert»

Die Lehrperson ist nach einer solchen Gewaltattacke besonders gefordert. «Sie darf die Fassung nicht verlieren und physische Gewalt gegenüber ihrem Angreifer anwenden. Gleichzeitig muss sie die verwirrten Kinder betreuen und sich selbst medizinische Hilfe holen. Die Lehrer sind in solchen Situationen schlicht und einfach überfordert», sagt er.

Darum fordert die FSS entlastende und rasche Massnahmen. Héritier empfiehlt sogenannte Schulinseln. Das Kind wird aus dem regulären Unterricht genommen und separat betreut. Während solche geregelten Möglichkeiten im Kanton Zürich gang und gäbe sind, fehlen sie an den drei Basler Schulen. Immerhin: Zurzeit wird mit dem Erziehungsdepartement verhandelt, Schulinseln einzurichten.

Auch Beat Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle beim Lehrerverband, plädiert dafür. «Es ist empfehlenswert, temporäre Betreuungsangebote für verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler einzurichten, wie zum Beispiel Schulinseln. Zudem werden mehr schulische Heilpädagoginnen benötigt», sagt er zu BLICK.

Mangelnde Erziehung zu Hause

Der Grund für solche Beissattacken liegt laut Michel Héritier in der mangelnden Erziehung. «Manche Kinder sind sich zu Hause selbst überlassen und kommen unter anderem sehr früh mit Horrorfilmen und Ballerspielen in Kontakt.» Besonders nach den langen Sommerferien müssen die Lehrer die Schüler darum «wieder erziehen». 

Dass Kinder in diesem Alter ihre Lehrer beissen, hört Beat Schwendimann zum ersten Mal. Generell würde die Gewalt gegen Lehrpersonen jedoch zunehmen.

«Gemäss einer neuen Studie aus Deutschland gab es an jeder vierten Schule bereits Gewalt gegen Lehrpersonen. In der Schweiz fehlen uns solche systematische Daten. Wir gehen aber davon aus, dass es hierzulande ähnlich aussieht.» Einzelfälle seien schon bekannt, «Tendenz steigend». 

Lehrer beschimpft und gemobbt

In der Regel handle es sich um Beleidigungen und Beschimpfungen, aber auch physische Angriffe seien bekannt. Ebenfalls würden Lehrer Opfer von Mobbing – online und real. «In den meisten Fällen sind es Schüler, die die Lehrpersonen attackieren. Doch auch die Eltern verlieren schon mal die Fassung», sagt Schwendimann. Vor einem Jahr verprügelte das Elternpaar Marie und Martin L.* die Klassenlehrerin ihres Sohnes Daniel (12) an einer Schule in Dietikon ZH (BLICK berichtete). Der Grund: Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) hatte ihren Sohn in einer Massnahmeneinrichtung platziert, weil die Schule interveniert hatte.

Es sei deshalb wichtig, Lehrpersonen einen schnellen Zugang zu einem Krisenberatungsteam zu gewähren, rät Schwendimann.

Neue Fälle von beissenden Kindern sind dem FSS-Präsidenten Héritier in der letzten Zeit keine mehr gemeldet worden. Doch er ist überzeugt: «Es ist dringend notwendig, Massnahmen zu treffen, denn gewisse Kinder ticken regelmässig aus. Und jedes Mal ist einmal zu viel.» 

* Name der Redaktion bekannt

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