Das Wasser kracht wild schäumend aus über zehn Metern Höhe in ein kleines Seelein. Mitten im Wald, eingebettet in schroffen Felsen, liegt der Giessen. Ein Naturparadies in der kleinen Baselbieter Gemeinde Kilchberg. Seit diesem Corona-Sommer ist dieser Wasserfall ein beliebtes Social-Media-Sujet. Touristen haben ihn entdeckt und kommen nun in Scharen. Kein Wunder: Selbst bei der grössten Hitze ist es in diesem kleinen Tobel angenehm kühl.
Es drohen schwere Erkrankungen
Bloss: Die Idylle hier birgt ein hässliches Geheimnis, von dem die allermeisten Touristen nichts wissen. Wer hier badet, könnte auch gleich im Mischbecken einer Kläranlage planschen. Im Wasser wimmelt es von gefährlichen E.-coli-Bakterien und Enterokokken.
Diese Darmbakterien können Hautausschläge, Übelkeit und im schlimmsten Fall schwere Erkrankungen hervorrufen. Der Grund: Das meiste Wasser, das beim Giessen in den Teich kracht, kommt direkt von der viel zu kleinen Kläranlage im Nachbardorf Zeglingen, die nur 200 Meter oberhalb des Paradieses vor sich hin rumpelt. Bei Gewitter läuft sie regelmässig über – und die Anlage ist auch nicht imstande, Medikamentenrückstände und Mikroverunreinigungen aus dem Wasser zu filtern.
Immerhin: Besucher werden auf einer Tafel vor dem Abstieg ins Tobel darüber informiert, dass beim Giessen vom Baden «aus Gründen des Gesundheitsschutzes» abgeraten werde. Bei der Gemeinde und dem Kanton weiss man seit Jahren Bescheid vom verschmutzten Wasser.
«Grüne» verzögern Lösung
Das Amt für industrielle Betriebe des Kantons hätte eigentlich schon längst eine Lösung für das Problem: Die marode Kläranlage in Zeglingen soll stillgelegt werden. Das bestätigt Amtsleiter Pascal Hubmann gegenüber BLICK. Dann wäre der Giessen nämlich nicht nur schön, sondern auch endlich sauber! Das Abwasser der Dörfer würde in eine modernere, grössere Anlage umgeleitet werden.
Doch ausgerechnet die Kantonale Natur- und Landschaftsschutzkommission (NLK) stellt sich bei der Umsetzung dieses Plans quer und hat zuletzt Einsprache gegen diese Umleitung eingereicht. Und damit das Projekt verzögert.
Warum? NLK-Präsidentin und Grünen-Landrätin Regula Waldner: «Zuerst muss geklärt werden, was für Auswirkungen die Umleitung des Abwassers für die Natur hat. Schliesslich würde dann das Wasser nicht mehr in die Bäche vor Ort zurückfliessen, was bei Trockenheit ein Problem darstellt.»
Unterschied von Auge nicht sichtbar
Und sowieso, Touristen sind schlimmer als dreckiges Wasser. In Waldners Worten: «Am Ende kann das Wasser gar der Natur zugutekommen, weil das für einige doch Grund genug ist, den Ort nicht auch noch aufzusuchen», sagt sie. Das sei vielleicht ein zynischer Gedanke. «Aber der Druck auf die Natur ist mit dem Aufkommen von immer mehr Menschen sehr gross.»
Mit Abwasser die Natur retten? Hubmann schüttelt den Kopf: «Der Anteil des Abwassers ist beim Giessen nur fünf Prozent des gesamten Wasservolumens. Das bedeutet: Sollte die Anlage aufgehoben werden, könnte die Reduktion der Wassermenge von Auge nicht festgestellt werden. Hingegen können sich die Menschen auf eine gute Wasserqualität freuen. Und übel riechen wird es ab dann auch nicht mehr», sagt er.