Basler Ozeanium soll auf Umweltprobleme aufmerksam machen
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Geplantes Millionen-Projekt:Basler Ozeanium soll auf Umweltprobleme aufmerksam machen

Heftige Debatte um Basler Ozeanium
«Leider kann man die Seepferdchen nicht fragen»

Basel stimmt über den Bau eines Ozeaniums ab – dabei prallen komplett unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Das zeigt sich gut bei einem Rundgang durch das kleine Vorbild des Grossprojekts.
Publiziert: 13.05.2019 um 13:49 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2019 um 09:32 Uhr
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So würde das geplante Ozeanium in Basel von innen aussehen.
Jonas Dreyfus

Das Zuhause des Kraken wirkt leer. Dann, ganz kurz, schaut das achtarmige Wesen aus einer Steinspalte hervor. «Die Konsequenz einer tiergerechten Haltung ist, dass man die Tiere nicht immer sieht, weil ihnen Verstecke zur Verfügung stehen», sagt Zoologe ­Fabian Schmidt (41).

Wir befinden uns im Basler Vivarium. Der verwinkelte Bau ist das kleine Vorbild des Ozeaniums, über dessen Verwirklichung Basel-Stadt am 19. Mai abstimmt.
Fabian Schmidt stammt aus einer bekannten Schweizer Zoo­logen-Dynastie und ist seit 2019 in Basel tätig, wo er das Vivarium wie auch das Ozeanium-Projekt als Kurator betreut. Zuvor arbeitete er für den renommierten Zoo in Leipzig (D).

Dass die Abstimmung über den Bau des Ozeaniums in Basel keine kleine Sache werden würde, war in Anbetracht der aktuellen Klima­debatte voraussehbar. Dass die Kritik am Projekt des 1874 eröffneten Zollis, wie ihn die Basler nennen, so heftig ausfällt, überrascht jedoch.

Der Zolli gilt als Stolz einer Stadt, die nichts zwischen sich und ihre Wahrzeichen kommen lässt. 2018 zählte er fast eine Million Besucher.

Die Vorgeschichte des Dramas beginnt vor elf Jahren

2008 erhält der Zolli vom Kanton das Heuwaage-Areal zur Verfügung gestellt, um darauf vergünstigt zu bauen. Am ursprünglichen Standort kann er sich nicht mehr vergrössern, weil hinter den Mauern der Tier-Reviere die Quartiere der Menschen beginnen.

An der Heuwaage, einem verkehrsgeplagten Unort, soll ein Ozeanium entstehen, das laut den Verantwortlichen die Schönheit und Vielfalt des Meeres zeigt, aber auch auf seine Zerbrechlichkeit aufmerksam macht.

Schmidt führt uns im Zolli zu einem Aquarium, vor dem sich kreischende Kinder die Ellbogen in die Seiten rammen. Hier sind Clownfische zu sehen, bekannt aus dem Disney-Film «Findet Nemo». Sie teilen sich die Korallen mit dem Banggai-Kardinalbarsch. Er kommt nur an der Küste einer kleinen Insel in Indonesien vor, wo er wegen des Abfischens für Heimaquarien stark bedroht ist.

In Zooaquarien lässt er sich gut züchten. Die jungen Barsche ziehen sich zwischen die Stacheln des Diadem-Seeigels zurück, um nicht gefressen zu werden. Der Seeigel ernährt sich von den Ablagerungen auf den Körpern der Fische.

Das Ozeanium wird alleine mit Spendengeldern finanziert

Die Planungsphase fürs Ozeanium dauerte zehn Jahre. Der Grosse Rat sagte Ende 2018 Ja zur Verwirklichung des Projekts. Kurz darauf reichten die Grünen das Referendum ein. Unterstützung erhalten sie unter anderem von Vera Weber (44) von der Fondation Franz Weber. Der WWF Region Basel hat beschlossen, keine Stellung zum Projekt zu nehmen. Der Schweizer Tierschutz (STS) gibt für die Abstimmung keine Empfehlung ab.

Dass es zu einer Abstimmung kommen konnte, obwohl sich das 100-Millionen-Projekt alleine durch Spenden finanziert, liegt an der Veränderung der Bauzone, die für die Realisation nötig ist. Der Kontra-Seite geht es jedoch um ganz andere Dinge.

Allen voran um den Umweltschutz. Das Grossaquarium belaste das Klima und widerspreche den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft, sagen die Gegner. Sie rechnen vor, dass der Betrieb so viel Energie wie 1400 Haushalte verschlingt. 2018 gab es im Kanton Basel-Stadt insgesamt 98 718 Privathaushalte.

Die Befürworter erwidern, das Ozeanium trage eben gerade zum Umweltschutz bei, indem es den Besuchern vorführe, wie fragil und gefährdet das Ökosystem Meer sei. Der Bau mit Sonnenkollektoren und wärmespeichernden Materialien wie Lehm werde ein Vorbild sein für Energieeffizienz und nachhaltiges Bauen.

«Ich will keini trurigi Tierli aluege» stand auf einem Plakat, das eine Frau Anfang Mai an einer ­Demonstration hochhielt. Signiert war es mit «Leo, 6 Jahre» – offenbar ihr Sohn. Bereits letztes Jahr protestierte die Regionalgruppe von Greenpeace: Mitglieder inszenierten mit blau bemalten Paravents ein Mini-Aquarium und kreisten darin mit traurigen Gesichtern in Fischkostümen.

Es wäre möglich, Riesenkraken zu züchten

Die Frage ist uralt: Sind Tiere traurig, wenn sie nicht in der Wildnis leben können? Schmidt sagt, die Art, wie sich ein Fisch bewege, wie er atme und aussehe, lasse verbindliche Schlüsse auf sein Befinden zu. Wenn sich, wie im Zolli, diffizile Arten wie Seepferde in Aquarien vermehren, sei das ein Zeichen dafür, dass sie sich absolut wohlfühlten. «Leider kann man sie nicht fragen.»

Zur tiergerechten Haltung gehört, dass Zoomitarbeiter den Tieren Aufgaben stellen. Den Kraken werden zum Beispiel Gläser gegeben, die nach dem Matrjoschka-Prinzip ineinander verschraubt sind. Im Innersten befindet sich Krabbenfleisch. Um es zu fressen, muss der Krake zuerst den Schraub­verschluss öffnen. Schmidt möchte versuchen, im Ozeanium Riesenkraken zu züchten, die dann dieselben Aufgabe meistern müssen.

Doch wie geht es den Meeres­bewohnern, bis sie im Ozeanium ankommen? Schlecht, sagt das Nein-Komitee. Laut ihm könnten bei Fang und Transport 80 Prozent der Korallenfische sterben.

Der Zoo widerspricht. Die Zahl betreffe den Zierfischmarkt auf den Philippinen, den illegalen Fang mit Gift und den Transport ohne Fachwissen. Man arbeite mit professionellen Händlern zusammen. Heute würden praktisch keine Meeres­tiere bei Einkauf, Transport oder Akklimatisation verenden.

Manche finden auch einfach das Gebäude «gruusig»

Ein Blick in die Leserbriefe und Online-Kommentare der «Basler Zeitung» zeigt: Die Leser regen sich aus den verschiedensten Gründen über das Projekt auf.

Die einen finden es zu pompös für Basel. Hier drückt das berühmte Understatement einer Stadt durch, deren Bevölkerung sich in der Vergangenheit bereits gegen ein neues Stadtcasino von Stararchitektin Zaha Hadid aussprach. Manche finden das von Boltshauser Architekten aus Zürich entworfene Gebäude auch einfach nur «gruusig». 

Selbst die Sporttaucher melden sich zu Wort. «Lieber viele Menschen im Ozeanium als rücksichtslose Touristen im Meer», schreibt ein Leser aus Biel-Benken. Als ­Baselländler ist er von der Abstimmung ausgeschlossen.

Zu guter Letzt wird darüber diskutiert, ob Menschen im Zoo tatsächlich etwas lernen. Es gebe keine harten Daten, die einen pädagogischen Effekt nachweisen, sagt Markus Wild, Ethik- und Philosophieprofessor an der Universität Basel in der «Basler Zeitung». «Die Leute wollen Fun haben, der Rest ist mehr behauptet als erhärtet.»

Thomas Grossenbacher von den Grünen schlägt in einem Streit­gespräch auf Telebasel eine Virtual-Reality-Erlebniswelt mit gefilmten Inhalten vor. Gefangene Tiere zu zeigen, sei heute völlig veraltet.

Unterwegs zum Ausgang erzählt Fabian Schmidt, wie er immer wieder Kinder sieht, die Glasscheiben der Aquarien mit den Bildschirmen von Smartphones verwechseln. Dann versuchen sie mit Daumen und Zeigefinger, die Fische, die hinter den Scheiben schwimmen, mit dieser typischen iPhone-Wisch­bewegung zu vergrössern – und merken plötzlich: Das ist ja ein lebendiges Tier! «Genau solche Lernerfahrung wollen wir erreichen.»

Er träumt davon, im Ozeanium eine Schwarmbildung von Fischen zu zeigen. Die sei besonders schön zu sehen, wenn die Fische zeitweise durch die Präsenz eines Raub­fisches animiert würden. Zum Beispiel, indem man zwischen zwei Aquarien einen Vorhang zieht. Auch das gehöre zur tiergerechten Haltung: dass man die Tiere ab und zu Stress aussetze.

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