100 Menschen sind obdachlos, 200 haben keine eigene Wohnung: Diese auf Basel fokussierten Zahlen stammen aus der ersten wissenschaftlichen Studie zur Obdachlosigkeit in der Schweiz, welche die Christoph Merian Stiftung (CMS) in Auftrag gegeben hat.
Die Studie der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) liefere erstmals Informationen zum tatsächlichen Ausmass und den Hintergründen von Obdach- und Wohnungslosigkeit in der Schweiz überhaupt, gab die Basler CMS am Donnerstag vor den Medien bekannt. Das Thema sei in der Schweiz von der Wissenschaft bislang weitgehend vernachlässigt worden.
Die Studie beruht auf Feldbeobachtungen, Statistiken von Hilfsinstitutionen sowie Befragungen von Betroffenen und Fachleuten. Etwa die Hälfte der 100 Obdachlosen schlafe draussen, die andere Hälfte behelfe sich mit Übernachtungsmöglichkeiten in Notschlafstellen oder seltener auch in Einrichtungen von Kirchen und Moscheen.
«Prekäre, gesundheitsschädigende» Wohnsituationen
Die rund 200 weiteren Personen (103 Erwachsene und 97 Kinder), die in Basel nicht über eine eigene Wohnung verfügen, leben laut der Studie in Notwohnungen der Sozialhilfe – meistens wesentlich länger als ein Jahr – oder haben bei Bekannten und Verwandten Unterschlupf gefunden. Nicht selten seien die Betroffenen «prekären, gesundheitsschädigenden» Wohnsituationen ausgesetzt.
Unter den Betroffenen hat die Studie viele Menschen in «Multiproblemlagen» eruiert, zum Beispiel Arbeitslose mit familiären und gesundheitlichen, speziell psychischen Problemen. Etwas über die Hälfte der Betroffenen hat einen ausländischen Pass, viele stammen aus osteuropäischen Ländern.
Der Verlust der Wohnung geschehe nur in ganz wenigen Einzelfällen (bei lediglich drei von insgesamt 469 Befragten) freiwillig, besagt die Studie weiter. Grundursache sei in den meisten Fällen ein zum Beispiel durch den Verlust der Arbeit ausgelöster Verarmungsprozess, der rasch in eine soziale Abwärtsspirale führe.
Die Auftraggeberin CMS sieht dringenden Handlungsbedarf in der baselstädtischen Wohn- und Sozialpolitik: angefangen bei einem schwellenlosen Angebot an Notschlafstellen bis hin zu einem verbesserten Angebot an preisgünstigem Wohnraum und verstärkten Massnahmen in der Armutsbekämpfung.
In Zürich gibt es keine Zahlen
Schweizweit handelt es sich um die erste vertiefte Studie zu diesem Thema. So seien auch keine Vergleiche mit anderen Schweizer Städten möglich, hiess es an der Medienkonferenz. Das Sozialdepartement der Stadt Zürich beispielsweise bestätigt auf Anfrage, dass die grösste Schweizer Stadt über keine entsprechenden Zahlen verfüge.
Die Verfasser der Basler Studie sehen ihre Arbeit als Ansporn für die gesamte Schweiz, Daten und Hintergrundinformationen zu sammeln. Einen ersten Schritt in diese Richtung wird die Nordwestschweizer Hochschule gleich selber in Angriff nehmen: mit einer durch den Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Vergleichsstudie zur Obdach- und Wohnungslosigkeit in Basel und Bern sowie in den kroatischen Städten Split und Zagreb. (SDA)