Die Chiffre 601 St 23/15i steht für politischen Zündstoff: Sie ist das Aktenzeichen, unter dem bei der Staatsanwaltschaft in Wien Tausende von Seiten abgelegt sind – mehr als 14 Ordner voller Dokumente von Terrorfahndern aus Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz.
Die Akten erzählen vom Versuch, in Europa ein rechtsextremes Terrornetzwerk aufzubauen. Vom Zusammenschluss zahlreicher Holocaust-Leugner mit dem Ziel, die österreichische Bundesregierung zu beseitigen. An ihrer Spitze steht Hans B. (76), ein Nazi-Rentner aus Birsfelden BL.
Der gebürtige Österreicher ist Hauptverdächtiger in einem der grössten Strafverfahren aus dem Bereich Rechtsterrorismus, das die österreichischen Behörden je geführt haben. Als «Landesleiter» koordinierte er die internationale Gruppierung Europäische Aktion, rekrutierte Gesinnungskameraden und schuf sogenannte Stützpunkte.
Treffen mit militanten Neonazis
Vertrauliche Dokumente des Obersten Gerichtshofs in Wien geben Einsicht in die Pläne des Baselbieters. Demnach unternahm er zwischen 2014 und 2016 «konkrete Schritte» zum Aufbau einer «europäischen Befreiungsarmee». An Treffen mit militanten Neonazis aus Deutschland und Osteuropa versuchte er, paramilitärische Ausbildungslager in Ungarn zu organisieren.
Was der pensionierte Doktor der Chemie damals nicht wusste: Ermittler aus mehreren Ländern waren ihm bereits auf der Spur. Sie hörten Telefonate ab und lasen seine E-Mails mit. Die Schweiz wurde erst in letzter Minute eingeschaltet. Am 30. November 2016 ersuchte die Wiener Justiz die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft um Rechtshilfe. Wenige Wochen später, am 22. Dezember, schlug die Polizei zu. Sie durchsuchte Wohnungen, beschlagnahmte Material und verhaftete B. – vermutlich an seinem Wohnsitz in Birsfelden. Der Entscheid für den Zugriff fiel wohl aufgrund abgefangener E-Mails des Nazi-Rentners, in denen er sich zwei Tage vor seiner Verhaftung explizit für Gewalt gegen amtierende Politiker aussprach.
Seither sitzt B. in Wien-Josefstadt in Untersuchungshaft. 14 Monate – eine ausserordentlich lange Zeit. Die österreichischen Behörden begründen die Dauer mit der Schwere der Taten und der Befürchtung, dass der Verdächtige in die Schweiz fliehen könnte.
Insgesamt richtet sich das Verfahren gegen acht Personen. Im Fall B. laufen die Ermittlungen in Richtung nationalsozialistischer Wiederbetätigung, staatsfeindlicher Verbindungen und Verhetzung. Das österreichische Gesetz sieht dafür Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren vor, bei besonderer Gefährlichkeit gar lebenslang.
Verfassungsschutz warnte vor dem Netzwerk
Dass B. von der Schweiz aus operierte, ist kein Zufall. Hier wurde die Europäische Aktion 2010 gegründet, vom mehrfach vorbestraften Holocaust-Leugner Bernhard Schaub (63) aus Bern. Ob die Justiz auch gegen ihn ermittelt, ist bislang unklar. Schaub hat sich nach Deutschland abgesetzt. Der ehemalige Lehrer einer Rudolf-Steiner-Schule in Adliswil ZH hetzt seit Jahrzehnten gegen Juden und Linke. Er war es, der in den vergangenen Jahren wiederholt Vernetzungs- und Propagandaanlässe mit mehreren Hundert Teilnehmern in der Schweiz organisierte und gewalttätige Nationalisten aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Osteuropa um sich scharte.
Ein Islamist aus Basel versuchte über Jahre hinweg, ein Terror-Netzwerk aufzubauen. Unbehelligt von den Behörden. Er organisierte Militärcamps und erwog Anschläge auf österreichische Politiker.
Fast so hat sich diese Geschichte zugetragen.
Fast. Der einzige Unterschied: Der Mann war nicht Islamist, sondern Neonazi. Ein kleiner Unterschied mit grosser Wirkung. Wetten, dass der Fall medial nicht für grosses Aufsehen sorgt? Und wetten, dass der Aufschrei der Politiker ausbleiben wird?
Ganz anders bei Vorfällen mit radikalen Muslimen. Was hören wir nicht täglich über die Gefahren des Islam! Dutzende Schweizer Kriminalpolizisten durchforsten das Internet nach sogenannten «Gefährdern». Ein «Gefällt mir» für ein IS-Propagandabild auf Facebook reicht für einen Hausbesuch der Polizei – und für eine Verurteilung.
Das ist auch gut so. Es geht nicht darum, Gefahren gegeneinander auszuspielen. Doch bei aller Sorge über Dschihadisten sollten wir das Sicherheitsrisiko von rechts nicht unterschätzen.
Fakt ist: Gewalttätige Nationalisten sind in Europa auf dem Vormarsch. In Italien starben Migranten durch Schüsse eines Neonazis, in Deutschland attackieren Fremdenfeinde fast jede Nacht eine Asylunterkunft.
Und in Österreich, wo der Basler in Haft sitzt? Da sitzen völkische
Nationalisten der FPÖ sogar in der Regierung.
Ein Islamist aus Basel versuchte über Jahre hinweg, ein Terror-Netzwerk aufzubauen. Unbehelligt von den Behörden. Er organisierte Militärcamps und erwog Anschläge auf österreichische Politiker.
Fast so hat sich diese Geschichte zugetragen.
Fast. Der einzige Unterschied: Der Mann war nicht Islamist, sondern Neonazi. Ein kleiner Unterschied mit grosser Wirkung. Wetten, dass der Fall medial nicht für grosses Aufsehen sorgt? Und wetten, dass der Aufschrei der Politiker ausbleiben wird?
Ganz anders bei Vorfällen mit radikalen Muslimen. Was hören wir nicht täglich über die Gefahren des Islam! Dutzende Schweizer Kriminalpolizisten durchforsten das Internet nach sogenannten «Gefährdern». Ein «Gefällt mir» für ein IS-Propagandabild auf Facebook reicht für einen Hausbesuch der Polizei – und für eine Verurteilung.
Das ist auch gut so. Es geht nicht darum, Gefahren gegeneinander auszuspielen. Doch bei aller Sorge über Dschihadisten sollten wir das Sicherheitsrisiko von rechts nicht unterschätzen.
Fakt ist: Gewalttätige Nationalisten sind in Europa auf dem Vormarsch. In Italien starben Migranten durch Schüsse eines Neonazis, in Deutschland attackieren Fremdenfeinde fast jede Nacht eine Asylunterkunft.
Und in Österreich, wo der Basler in Haft sitzt? Da sitzen völkische
Nationalisten der FPÖ sogar in der Regierung.
Sowohl der deutsche als auch der österreichische Verfassungsschutz warnten seit Jahren vor dem braunen Netzwerk. Einem Zusammenschluss, der laut deutschen Sicherheitsexperten eine «selbst für Rechtsextremisten besonders ausgeprägte antisemitische und revisionistische Agitation betreibt». Dennoch sah der Nachrichtendienst des Bundes von einer Beobachtung ab. Begründung: Die Europäische Aktion rufe weder zu Gewalt auf, noch übe sie selbst Gewalt aus.
Dabei sind militante Pläne der Organisation im Internet seit Jahren öffentlich einsehbar. Und spätestens die Vorkommnisse im Sommer 2017 hätten auch die Schweizer Behörden aufschrecken müssen: Am 23. Juni 2017 stürmten Sondereinheiten der deutschen Polizei 14 Wohnungen von Mitgliedern der Europäischen Aktion in Thüringen und Sachsen, einer Region, in der sich auch das Mördertrio des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) formiert hatte, dessen Mitglieder neun Migranten und eine Polizistin ermordet hatten.
Bei der Razzia fand die Polizei Anschlagspläne und Waffen. Gegen 13 Beschuldigte wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Sie sollen paramilitärische Ausbildungscamps im Thüringer Wald durchgeführt haben. Noch ist unklar, wie lang der Baselbieter Nazi-Rentner in U-Haft bleiben wird. Ein Gerichtssprecher teilte der österreichischen Presseagentur APA mit, dass noch vor dem 16. März über das weitere Vorgehen entschieden werden soll.