Es ist ein tragischer Vorfall, der sich in einer Novembernacht 2019 ereignete: Martin D. (†29) war Sicherheitschef auf einer Baustelle am Bahnhof Zwingen BL und passte dort auf, dass niemand in Gefahr gerät. Während Arbeiten am Gleis und an den Leitungen ausgeführt wurden, kritisierte er, dass die Arbeitsstelle zu chaotisch ist und damit eine Gefahr darstelle.
D. bestellte den Baustellenchef zu sich und war aufgebracht. Die beiden führten eine hitzige Diskussion zwischen dem dritten und vierten Gleis. Schliesslich einigten sie sich und gaben sich die Hand. Doch dann erfasste ein einfahrender Intercity D. Der Mann starb.
Sicherheitswärter freigesprochen
Doch wer ist schuld am Unglück? Zwei Angeklagte mussten sich am Mittwoch vor dem Strafgericht Basel-Landschaft verantworten. Ein Sicherheitsmitarbeiter, der dafür verantwortlich war, dass keiner der Arbeiter in Gefahr ist. Und: Der Baustellenchef, der mit D. ein Gespräch führte. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung durch Unterlassung.
Das Gericht sprach den Sicherheitswärter frei. Er habe laut Aussagen seinem Kollegen gesagt, er solle sich bitte aus der Gefahrenzone begeben. Ob dies der Wahrheit entspricht, lasse sich nicht überprüfen. Allerdings könne man nicht wissen, ob D. der Aufforderung seines Kollegen auch Folge geleistet hätte.
Baustellenchef wegen Pflichtverletzung schuldig
Das Gericht kam zum Schluss, dass das Hauptverschulden für den Tod von Martin D. sein eigenes Fehlverhalten war. Er stand in der Gefahrenzone und verliess diese trotz Warnanlagen nicht. Es war ein Tritt in die falsche Richtung, der ihn das Leben kostete. Er hätte als Sicherheitschef erkennen müssen, dass es zu gefährlich ist.
Der Baustellenchef wurde wegen Pflichtverletzung schuldig gesprochen. Das Urteil: 80 Tagessätze à 170 Franken. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Er trage eine gewisse Teilschuld am Tod von Martin D., da er die Gefahr hätte erkennen sollen. Das Schlichtungsgespräch mit dem Sicherheitschef hätte nicht im Gefahrenbereich stattfinden dürfen. Denn obwohl dieser von mehreren als sicher eingeschätzt wurde, hätte man damit rechnen müssen, dass es ein emotionales Gespräch wird und allenfalls Warnsysteme von einfahrenden Zügen überhört und übersehen werden.
* Name bekannt
Prozess ist zu Ende
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Prozess ist damit beendet.
Gespräch hätte nicht in Gefahrenzone stattfinden dürfen
Es handle sich um eine Teilursache, die zum Unfall führte. Obwohl der Bereich an sich nicht gefährlich war, war es doch emotional und aufbrausend. Dadurch sei es vorstellbar, dass beide die Warnanlage nicht wahrgenommen hatten. «In der Hitze des Gefechts muss man damit rechnen, dass es nach dem Ende des Gesprächs sehr gefählrich werden kann», erklärt der Richter. Deshalb sei er wegen der Sorgfaltspflicht zu «fahrlässiger Tötung» schuldig zu sprechen. Da die Mitschuld aber gering war, kommt es zu der Geldstrafe.
Baustellenchef habe sich pflichtwidrig verhalten
Das Gericht kommt zum Entschluss, der Baustellenchef habe sich pflichtwidrig verhalten. Er hätte die Gefahrenzone erkennen müssen und das Gespräch nicht dort führen dürfen, wo sich der Unfall ereignete.
Sicherheitswärter freigesprochen
Verschiedene Punkte im Sicherheitsdispositiv werden kritisiert. Dem Sicherheitswärter wird vorgeworfen, dass er Martin D. nicht aktiv genug gewarnt hätte. Es lasse sich allerdings nicht nachvollziehen, ob eine Warnung etwas gebracht hätte. Das wisse man nicht. Deshalb werde der Sicherheitswärter freigesprochen.
Schuldspruch!
Beiden Angeklagten wird eine Mitschuld vorgeworfen. Der Baustellenchef wird schuldig gesprochen und zu 80 Tagessätzen a 170 Franken verurteilt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Der Richter führt aus, wie es zum Urteil kommt. An beiden Arbeitsstellen seien Sicherheitswärter gewesen – in diesem Fall Martin D.
Wegen Fehlverhaltens von Arbeitern habe Martin D. interveniert und darauf gepocht, dass die Arbeiten beendet werden. Der Baustellenchef habe sich im gesicherten Bereich befunden, Martin D. auf dem ungesicherten. Nach dem Beenden des Gesprächs habe man sich mit Handschlag verabschiedet, D. drehte sich nach rechts und machte einen Schritt, in dem Moment wurde er vom einfahrenden Zug erfasst.
Für das Gericht steht fest, dass das Hauptverschulden in dem Fall beim Verunfallten liege. Das sei sehr tragisch, weil er sich «fatalerweise selbst nicht an die Sicherheitsregeln gehalten hat», sagt der Richter. Trotzdem tragen beide eine Mitverantwortung. Eine Sorgfaltspflichtverletzung könne beiden vorgeworfen werden. «Es hat sich ein Unglück ereignet», stellt der Richter fest. Das Sicherheitsdispositiv sei widersprüchlich gewesen, hat ein Gutachter festgestellt.
Urteilsverkündung um 12 Uhr
Um 12 Uhr gibt es die Urteilsverkündung. Alle haben den Gerichtssaal verlassen.
«Ich verstehe, dass der Fall die Familie belastet»
Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft von «fahrlässiger Tötung durch Unterlassung» findet er nicht gerechtfertigt. Der Baustellenchef verteidigt sich selber. Er spricht sehr leise. Selbst wenn er Martin D. aufgefordert hätte, hatte dieser seinen Worten nicht Folge leisten müssen. So sei die Hierarchie auf der Baustelle.
«Ich verstehe, dass der Fall die Familie belastet. Auch für mich ist er belastend. Ich nehme das ernst und ziehe meine Schlüsse daraus», erklärt er. «Ich habe alles getan, damit alle Arbeiter auf der Baustelle sicher sind», schliesst er sein Plädoyer ab.
Volle Härte des Gesetzes?
«Ohne die Bewegung des Verstorbenen in Richtung des Zuges würden wir heute nicht hier stehen», so der Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft habe sich viel zu stark auf den Sicherheitswärter fokussiert. «Es kommt mir vor als wolle man meinen Mandaten die volle Härte des Gesetzes spüren lassen wollen. Anfangs glaubte man schliesslich, er sei Ausländer.» Besonders kritisiert er, wie stark die Delikte im Strassenverkehr zur Sprache kamen. Der Beschuldigte soll wegen des Vorwurfs «fahrlässiger Tötung» freigesprochen werden. Er fordert eine bedingte Geldstrafe.
Während des Plädoyers schaut der angeklagte Sicherheitswärter stets auf den Boden und streicht sich nervös durch die Haare. Der Baustellenchef schaut aufrecht ins Leere.
Verteidiger sieht Tod von Martin D. als selbstverschuldet
Die Staatsanwaltschaft will einen Schuldspruch für beide Angeklagten. Der Verteidiger des Sicherheitswärters stellt klar, dass der Tod von Martin D. selbstverschuldet sei. Die Staatsanwaltschaft erschaffe hier einen Präzedenzfall. Weder der Baustellenchef, noch der Sicherheitswärter können laut dem Verteidiger für den Tod von Martin D. verantwortlich gemacht werden. «Es ist nicht nett, dem Verstorbenen Fehlverhalten vorzuwerfen. Das Protokoll zeigt allerdings, dass dies der Fall ist», sagt der Verteidiger in seinem Plädoyer. «Der Sicherheitsleiter hat es eher locker mit Sicherheitsregeln gesehen. Das hätte der Staatsanwalt doch sehen müssen», fährt er fort.
Kurze Pause
Der Richter befragt den Sicherheitswärter nun wegen der anderen Delikte. Der Prozess wegen «fahrlässiger Tötung» geht später weiter.