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Bandscheibe löst sich auf
Skandal um Schweizer Star-Ärzte

Ein Berner Starchirurg und ein Zürcher Uni-Professor haben laut «Tamedia» eine künstliche Bandscheibe mitentwickelt, die durch sämtliche Tests fiel und nun auch bei vielen Patienten zu Problemen führt. Die Professoren schweigen zu den Vorwürfen, möglicherweise waren sie finanziell am Erfolg des Implantats beteiligt.
Publiziert: 27.11.2018 um 04:23 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2018 um 22:50 Uhr
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Das Implantat Cadisc-L hat bei diversen Tests Mängel aufgezeigt, trotzdem wurde es vom Hersteller verkauft.
Foto: Ranier Technology
Fabian Vogt

Die künstliche Bandscheibe Cadisc-L hätte eine Revolution in der Orthopädie werden sollen. Statt bei einem Bandscheibendefekt zwei Wirbel operativ mit Schrauben zu versteifen oder eine mehrteilige Prothese mit Metallteilen einzubauen, bestand dieses Plastikimplantat aus einem Guss. Doch das Implantat stellt sich als gemeingefährlich heraus: Die Prothese zersetzte sich bei diversen Patienten im Rücken, was zu Höllenqualen führt und eine weitere Operation unumgänglich macht. Auch Schweizer sind betroffen, wie viele ist allerdings unklar, schreiben Tamedia-Medien heute Montag.

Gemeinsam mit anderen Journalisten hat man monatelang über die Sicherheit von Implantanten recherchiert und schockiert festgestellt: Verletzungen, Todesfälle und andere Probleme im Zusammenhang mit Implantanten nehmen stark zu. Alleine in Deutschland gab es letztes Jahr über 14'000 solcher Fälle.

Beim beschriebenen Implantat Cadisc-L gab es demnach schon früh Anzeichen, dass hier ein unausgereiftes Produkt auf den Markt kommt. Bei Versuchen an Affen kamen verschiedene Studien zum Schluss, dass das Implantat gefährlich ist. Trotzdem gab die britische Firma Ranier Technology das Implantat für den Verkauf frei, bei rund 90 Patienten kam es seither zu teilweise gravierenden Problemen, berichten die Medien. Dafür verantwortlich waren gemäss Tamedia auch zwei Schweizer. 

Berner Starchirug, Zürcher Uni-Professor

Zum einen der Berner Starchirurg Max Aebi, Professor für Orthopädie an der Universität Bern und früher Mitglied der europäischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie. Aebi präsidiert hierzulande auch die Stiftung Qualitätssicherung in der Implantationsmedizin. Laut den Recherchen hat Aebi zwischen 2010 und 2014 mehrere Patienten am Berner Salem-Spital die Cadisc-L-Scheibe eingesetzt. Damit konfrontiert, verweigert Aebi das Gespräch, lässt aber immerhin ausrichten, dass er das Implantat bei vier Patienten eingesetzt habe, die gemäss «seines Wissens» wohlauf seien. Die Zeitung behauptet allerdings, dass Aebi laut ihren Abklärungen im Berner Spital mindestens sieben Ranier-Scheiben implantiert habe. Liegt Aebis Wortkargheit möglicherweise daran, dass er während der Entwicklung, aber auch bei der Markteinführung des Implantats Chef des wissenschaftlichen Beraterstabs von Ranier Technology und somit Hauptverantwortlich für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards war? 

Der zweite involvierte Schweizer ist der Orthopäde Thomas Steffen, Forscher an der McGill-Universität in Kanada, heute auch Professor an der Universität Zürich. Dort wird er ab 2019 das Kompetenzzentrum für angewandte Biotechnologie leiten. Gemeinsam mit Aebi sass er im Ranier-Beirat und führte die Tierversuche durch. Als die negativen Ergebnisse eintrafen, sollen beide Ärzte die Befunde als realitätsfern und nicht aussagekräftig abgetan haben. Daraufhin wurde Cadisc-L in einer klinischen Studie an 29 Menschen getestet. Weshalb dies trotz der negativen Tierversuche geschah, ist nicht bekannt. Auch Steffen äusserte sich auf Nachfrage der Journalisten nicht. 

Klinische Studie fiel durch

Das Produkt wurde 2010 lanciert, Max Aebi selber warb für den Verkaufsstart und benutzte die Prothese bis 2014 im Berner Salem-Spital. Ob Aebi die Prothese in der Schweiz noch andernorts benutzte, ist nicht bekannt. Ebenso weiss man nicht, ob weitere Schweizer Ärzte Cadisc-L einsetzten, weil es dazu keine Angaben der Versicherungen gibt, berichtet Tamedia. Produzent Ranier wiederum will nicht sagen, wie viele dieser Implantate in die Schweiz geliefert wurden.

Vielleicht würde Aebi die Prothese heute noch einsetzen, doch 2014 wurden bei Ranier Technology neue wissenschaftliche Mitarbeiter eingestellt. Diese hätten laut den Journalisten sofort bemerkt, dass mit Cadisc-L einiges nicht Ordnung und nicht alle Studienresultate den Behörden gemeldet worden seien. So soll es in einer klinischen Studie mit Patienten gleich zu 32 schwerwiegenden Vorkommnissen gekommen sein. Von den 29 Patienten, die an der Studie teilnahmen, hatten einzelne von 2009 bis 2014 offenbar gleich mehrere Probleme: Bei sechs musste die Prothese entfernt werden, heisst es im Bericht. Als Folge kam 2014 der Rückruf, Ranier stellte die Produktion ein und drängte die Ärzte, sie sollten betroffene Patienten unbedingt aufbieten. Ob das in der Schweiz geschah, ist nicht bekannt. Aebi schweigt. 

Einiges soll darauf hindeuten, dass die Professoren Max Aebi und Thomas Steffen von der Erfindung des Implantats finanziell profitieren wollten. Im Prospekt für eine Medizinkonferenz in Australien, im April 2011, gaben beide im Kleingedruckten an, sie hätten mit Ranier eine vertragliche Vereinbarung über Aktienoptionen abgeschlossen. Sie hätten also mitverdient, wenn Ranier Technology das grosse Geld gemacht hätte.

Dazu kam es kaum. Ranier Technology hat Konkurs angemeldet. Für die geschädigten Patienten bedeutet dies, dass sie nicht auf eine finanzielle Entschädigung zu hoffen brauchen.

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