BAG kritisiert Ökonom Eichenberger
Durchseuchung mit Coronavirus ist «unethisch»

Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger fordert von jungen Menschen, sich extra mit dem Coronavirus anstecken zu lassen. So würde eine Ausbreitung gesenkt und die Alten geschützt werden. Das sorgt für heftige Kritik.
Publiziert: 09.03.2020 um 20:09 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2020 um 08:53 Uhr
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Reiner Eichenberger, Ökonomieprofessor an der Uni Freiburg, hält eine «Durchseuchung» mit dem Coronavirus für hilfreich.
Foto: Daniel Kellenberger
Anastasia Mamonova

Junge, gesunde Menschen sollen sich gezielt mit dem Coronavirus anstecken, zwei Wochen zu Hause bleiben und dann wieder weiterleben wie bisher. Wenn es nach Reiner Eichenberger (58) ginge, wäre das die Lösung im Kampf gegen das Coronavirus.

Auf «20 Minuten» fordert der Freiburger Ökonom «eine klug gelenkte Durchseuchung». Der Wirtschaftsprofessor ist überzeugt: «Je mehr Leute das Virus gehabt haben, desto weniger kann es sich ausbreiten und Alte und Schwache gefährden.»

«Ausbremsen der Wirtschaft ist übertrieben»

Seine Begründung: Die Chance, am Virus nochmal zu erkranken sei klein. Und bevor das Virus die Risikogruppe trifft, sollten die jungen Leute – die die Alten dann pflegen würden – die Krankheit vorbeugend schon hinter sich bringen.

Obwohl es für das neuartige Virus noch keinen Impfstoff gibt, glaubt Eichenberger, dass man «so gut wie geimpft» sei, wenn man sich einmal infiziert habe. So könne man der Wirtschaft helfen. «Das totale Ausbremsen der Wirtschaft ist übertrieben.»

«Ein Spiel mit einem gefährlichen Feuer»

Mark Witschi, Leiter Sektion Impfempfehlungen und Bekämpfungsmassnahmen beim Bundesamt für Gesundheit, ist mit Eichenbergers Theorie nicht einverstanden. «Das was Reiner Eichenberger macht, ist eine Modellrechnung. Das Problem ist, dass unsere Gesellschaft nicht einem Modell entspricht, sondern eigene Gesetze hat», sagt er zu BLICK.

Eine scharfe Trennung zwischen jenen, bei denen das Virus wahrscheinlich weniger gefährlich wäre und jenen, die die Krankheit härter träfe, sei unmöglich, so der Mediziner. Beispiele aus dem Ausland würden zeigen, dass auch junge gesunde Leute an einer Beatmungsmaschine landen und schlimmstenfalls sterben können.

Für Witschi ist klar: «Eine solche Durchseuchung wäre einerseits ethisch nicht zu verantworten und anderseits in der Realität nicht umsetzbar.»

«Spitäler könnten das nicht managen»

Auch Philippe Luchsinger, Präsident des Verbandes Hausärzte Schweiz, hält nichts von Eichenbergers Ideen. Man wisse nämlich noch zu wenig über das Coronavirus, als dass es verantwortungsbewusst wäre, die halbe Menschheit damit zu infizieren, sagt er zu «Radio Top».

Ein solches Unterfangen würde die Spitäler auch vor logistische Schwierigkeiten stellen. «Alle diese Personen wären insgesamt kaum zwei Wochen, sondern eher zwei Monate isoliert», sagt Mark Witschi. «Die Spitäler könnten das gar nicht managen. Das Material ist teilweise jetzt schon knapp. Eine intensive Betreuung in derart kurzer Zeit würde zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen. Wenn beispielsweise zu wenige Beatmungsmaschinen vorhanden sind, gibt es mehr Tote.»

«Uns fehlt nicht der Mut»

Reiner Eichenberger glaubt, der Regierung würde «der Mut fehlen». Witschi sieht das anders: «Wir sind mit solchen Aussagen nicht einverstanden. Dem BAG fehlt nicht der Mut. Vielmehr probieren wir, ein Optimum rauszuholen. Wir setzen Massnahmen um, von deren Wirkung wir überzeugt sind. Dabei berechnen wir auch wirtschaftliche Nebenwirkungen ein.»

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Das BAG wolle keine Situation wie in der Lombardei. «Wir wollen den Verlauf der Epidemie bremsen, sprich einen Ansturm auf die Spitäler verhindern und ihn auf eine möglichst lange Zeit verteilen.»

Aufregung im Netz ist gross

Auch bei Journalisten und Politikern sorgen die Aussagen von Eichenberger für Kopfschütteln. «Neues Virus im Umlauf: Experten aller Art», twittert der «SRF»-Moderator Sandro Brotz. Alt Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer schreibt: «Mann oh Mann: so ein Unsinn ist Folge, wenn beschränkte Ökonomen sich als Mediziner aufplustern».

Auch Fabio Hasler von den Jungfreisinnigen macht seinem Ärger Luft: «Solange Herr Eichenberger die Verantwortung für jeden einzelnen schweren Fall oder jungen Toten übernimmt, go ahead.»

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