Bange Sekunden für die 236 Passagiere und Besatzungsmitglieder einer Swiss-Maschine in Mumbai (Indien): Als die Piloten den Airbus A330-300 auf 200 km/h beschleunigen, fällt plötzlich das linke Triebwerk aus. Kurz bevor das Flugzeug abhebt, brechen sie den Start mit einer Vollbremse ab (BLICK berichtete).
«Das betroffene Triebwerk muss vor Ort ausgetauscht werden», sagt Swiss-Sprecherin Sonja Ptassek. Alle Menschen an Bord blieben unverletzt, die Passagiere mussten die Nacht in Mumbai verbringen. Sie hatten Glück im Unglück. Es hätte viel schlimmer kommen können. Wie lange die Reparatur des Airbus dauert, sei laut Swiss noch nicht klar.
Der Aviatik-Experte Hansjörg Egger analysiert für BLICK den Zwischenfall und beantwortet die drängendsten Fragen:
Haben die Swiss-Piloten in Indien richtig gehandelt?
Hansjörg Egger: Das war eine sehr heikle Situation. Es gibt keinen schlechteren Moment für einen Triebwerksausfall als beim Start. Die Piloten haben kühlen Kopf bewahrt und alles richtig gemacht. Sie entschieden sich für das kleinere Risiko, die Vollbremse. Den Start mit nur einem funktionierenden Triebwerk durchzuziehen, wäre ein grösseres Wagnis gewesen.
Bis wann kann man einen Start abbrechen?
Es gibt den sogenannten «Point of no Return». Wenn dieser definierte Zeitpunkt beim Start überschritten ist, müssen die Piloten das Flugzeug in die Höhe bringen. Der Zeitpunkt berechnet sich aus der Länge der Startbahn und dem Gewicht des Flugzeugs. Wenn eine Vollbremse schon nur eine halbe Sekunde zu spät ausgeführt wird, hat das gravierende Folgen. Am Flughafen Zürich würde das Flugzeug auf die Strasse oder in einen Graben krachen.
Wie fühlt sich eine Vollbremse bei 200 km/h für die Passagiere an?
Die Menschen werden schon in den Gurten gehangen sein. Aber bei einer Vollbremse mit dieser Geschwindigkeit besteht keine Verletzungsgefahr, wenn man angeschnallt ist.
Was passiert, wenn das Triebwerk nach dem «Point of no Return» ausgefallen wäre?
Dann muss man abheben. Der Airbus A330-300 kann mit nur einem Triebwerk starten. Die Piloten müssen in einem solchen Fall kleine Justierungen am Steuerknüppel vornehmen – und das möglichst schnell. Sobald das Flugzeug an Höhe gewinnt, kann auch mit nur einem funktionierenden Triebwerk der Autopilot übernehmen. So ein Start ist eine heikle Situationen, die die Piloten bei der Ausbildung jedoch mehrfach am Simulator trainieren mussten. Sie können das. Aber natürlich steigt das Restrisiko an.
Kann man mit einem Triebwerk über längere Zeit fliegen?
Ja, das geht mit den heutigen Flugzeugen. Es ist einfach ein grösseres Risiko, weil dann das zweite auf keinen Fall mehr ausfallen darf. Deshalb werden Flugzeuge mit nur einem funktionierenden Triebwerk so schnell wie möglich zurück auf den Boden gebracht. Das wäre beim Airbus A330-300 der Swiss aber nicht möglich gewesen, weil dieser kein Treibstoff ablassen kann. Das Kerosin hätte also zuerst verbrannt werden müssen. Bei einem vollgetankten Flieger dauert das bis zu fünf Stunden.
Kann ein beschädigtes Triebwerk neu gestartet werden?
Das wäre möglich. Aber dieses Risiko geht man nicht ein. Bei einem Neustart könnte es zu einem Brand kommen. Deshalb sichert man das kaputte Triebwerk, indem man die Benzinzufuhr stoppt.
Was passiert, wenn in der Luft das zweite Triebwerk ausfällt?
Die zivilen Flugzeuge haben alle einen grosszügigen Gleitwinkel. Ein Beispiel: Im Jahr 2001 fielen beim Air-Transat-Flug 236 beide Triebwerke aus. Den Piloten ist es gelungen, 120 Kilometer im Gleitflug weiterzufliegen und das Flugzeug sicher zu landen. Es gab nur wenige Leichtverletzte. Damit will ich sagen: Eine Landung ist selbst dann noch möglich, wenn auch sehr gefährlich. Und man sollte sich nicht über dem Meer befinden.
Was sind die Ursachen für einen Triebwerkausfall beim Start?
Menschliches Versagen bei der Wartung. Oder Vögel, die ins Triebwerk geraten. Ein einziger Spatz reicht für einen Ausfall aber noch nicht aus. Dafür braucht es schon einen Vogelschwarm.