Im nächsten Jahr feiert Christian Krismer (59) sein 30. Berufsjubiläum als Betriebsleiter. Zurzeit fordert ihn sein Job mit einer echten Mammutaufgabe: Er steuert den Ausbau des Zürcher Nord-rings auf sechs Spuren und den Bau einer dritten Röhre. Bis 2025 sollte das Projekt voraussichtlich fertiggestellt sein.
Der Chef des Werkhofs Urdorf ZH erklärt BLICK, was so eine riesige Baustelle für den täglichen Verkehr bedeutet. Es ist kurz nach Mittag, als Krismer am Limmattaler Kreuz von der A3 auf die A1 in Richtung Gubristtunnel fährt. Vom berühmt-berüchtigten Stau ist hier für einmal nichts zu sehen.
Auf beiden Spuren fahren die Autos mit 80 Stundenkilometern. Krismer schmunzelt: «Das ist immer so, wenn ich komme.» Dann wird er ernst. «Jetzt ist einfach eine günstige Uhrzeit. Ich gehe nie freiwillig in den Stau. Darum bin ich auch schon um sechs Uhr früh im Büro.»
Rückblick: 1985 wurde die Nordumfahrung in Betrieb genommen. Seither hat sich der Verkehr verdoppelt. Die Frequenz ist so hoch wie sonst auf keinem anderen Verkehrsabschnitt in der Schweiz. Krismer sagt stolz: «Durch den Gotthard fahren pro Tag 25 000 Fahrzeuge. Das erledigen wir inzwei Stunden am Morgen. Täglich zählen wir bis zu 155'000 Fahrzeuge.»
Mit dem Verkehr nehmen auch die Unfallzahlen zu. Krismer kennt die Ursache: «So gut wie immer ist es der ungenügende Abstand.» Er rechnet vor: «Die Strassen wurden für 1800 Fahrzeuge pro Spur und Stunde ausgelegt. Jetzt haben wir Spitzenwerte von 2600. Das heisst, dass die Autos mit 100 km/h und mit viel zu kleinem Abstand fahren.»
Das oberste Gebot des Betriebsleiters ist, dass der Verkehr trotz der Mega-Baustelle rollt. «Tagsüber stellen wir mit wenigen Ausnahmen die volle Zahl Spuren bereit. Nur in der Nacht müssen wir reduzieren. Wir sind also für den Stau am Tag nicht verantwortlich, das ist schlichtweg die Verkehrsüberlastung.»
Er zeigt die Umbaupläne. So wird etwa der Gubrist in der Nacht auf eine Röhre mit Gegenverkehr reduziert. «Die Autofahrer schäumen vor Wut», sagt Krismer. «Was sie nicht wissen: In der gesperrten Röhre tragen 30 Arbeiter die ganze Nacht den kaputten Beton ab und erneuern ihn mit Spritzbeton.» Das müsse sein, sonst würde der Tunnel irgendwann einbrechen, so Krismer. Grund dafür ist das Streusalz, das den Beton angreift.
Nach dem Gubrist folgt der nächste grosse Bauabschnitt: die Erweiterung von vier auf sechs Spuren zwischen Gubrist und Stelzentunnel. Links und rechts der Autobahn arbeiten schon jetzt Dutzende Bagger im tiefen Matsch. Die A1 soll auf beiden Seiten um je eine Spur verbreitert werden. Darum müssen die Brücken weg, sie sind zu kurz. Sechs wurden schon beseitigt, zwei werden folgen. Als Ersatz wurden mittlerweile schon drei provisorische Brücken über die A1 gelegt.
Trotz aller Massnahmen stauen sich die Autos, es gibt täglich vier bis fünf Unfälle und rund 15 Behinderungen für den Verkehr. Auch Schwertransporte müssen organisiert werden. Gleichzeitig laufen alle normalen Aufgaben des Werkhofs weiter. Ist das nicht manchmal zu viel Stress? «Nein», sagt Christian Krismer deutlich. «Ich mache meinen Job unheimlich gern. Wäre weniger los, würde ich mich langweilen.»
Und das, obwohl er sich auch täglich über unfähige Autofahrer aufregen muss. Krismer kopfschüttelnd: «Im Gubrist entstand mal ein Stau, weil ein Auto kein Benzin mehr hatte. Der Fahrer sass neben dem Auto und rauchte. Er meinte nur, dass ein Freund gleich einen Kanister bringe. Dass der Verkehr zusammengebrochen ist, war ihm völlig egal.»
Niemand kennt den Nordring besser als Krismer. Hat er ein Geheimrezept gegen den täglichen Horrorstau? Der Betriebsleiter ist Realist: «Nein, bei dem starken Verkehr ist Staufreiheit eine Illusion.» Als einziges Mittel sieht er eine bessere Verteilung des Verkehrs. Die besten Zeiten, um durch den Gubrist zu fahren, sind zwischen zehn und 15 Uhr. «Aber die meisten Autofahrer können leider nicht ausweichen», weiss der Werkhofchef.