Die Kirche in Grafstal ZH ist wieder auferstanden. Im Oktober hat eine koptisch-orthodoxe Gemeinde das ehedem katholische Gotteshaus gepachtet (Seite 6) – nun drängen sich sonntags Gläubige aus Ägypten auf den Kirchenbänken im Zürcher Oberland. Zuvor herrschte dort jahrelang gähnende Leere.
Christliche Einwanderer pflügen die Schweizer Kirchenlandschaft um – Grafstal ist überall: Viele Gemeinden vermieten oder verkaufen ihre verwaisten Kirchenräume an Glaubensgemeinschaften, die sich noch über Wachstum freuen können. Eine Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts bestätigt: 157 fremdsprachige Migrationsgemeinden mieten derzeit Kirchen oder nutzen sie kostenlos. Die Landeskirchen begrüssen diesen Trend. Insbesondere protestantische Kirchgemeinden haben ein massives Strukturproblem: Zu viele Kirchen, zu wenig Gläubige.
Katholiken profitieren von der Zuwanderung
Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeigt das Beispiel der Stadt Zürich. 1960 standen rund 266'000 Protestanten 41 Kirchen zur Verfügung. Heute sind es 47 Gotteshäuser – aber nur noch 96'800 Gläubige. Der Unterhalt von Sakralbauten ist teuer, die Kirchensteuern aber brechen weg, doch Abriss oder Zweckentfremdung kommen für viele Gemeinden aus ethischen Überlegungen nicht in Frage, wie Johannes Stückelberger, Experte für Kirchenumnutzungen und Dozent an der Universität Bern, sagt: «Die Kirchen setzen primär auf andere kirchliche Nutzungen. Hier spielen die Migrantenkirchen eine wichtige Rolle.» Eine Umfrage des SonntagsBlick ergab: Allein im Raum Bern vermieten die Landeskirchen 24 Liegenschaften temporär an fremdsprachige Gemeinden. Die Mieterschaft ist bunt gemischt: Orthodoxe aus Äthiopien, Syro-Malabrische aus Indien, Freikirchler aus Eritrea. Auch in Basel und Luzern nutzen Migrationskirchen Räumlichkeiten der Landeskirchen.
Es bleibt nicht bei Mietverträgen, wie der Fall Grafstal zeigt. Hier hat die koptische Gemeinde das Gotteshaus ganz übernommen – bis ins Jahr 2115. Es gibt weitere Beispiele: Im Kanton Luzern kaufte eine serbisch-orthodoxe Gemeinde letztes Jahr die Kirche Perlen. In Melide TI erstand eine russisch-orthodoxe Gemeinde eine protestantische Kapelle. In Bern laufen Verhandlungen zwischen Katholiken und Orthodoxen. Insbesondere deren Gemeinden verfügen dank hoher Mitgliederzahlen über gut gefüllte Kassen.
Allein die serbisch-orthodoxe Gemeinde der Zentralschweiz zählt 22'000 Gläubige. Anders als Protestanten profitieren die Katholiken direkt von der Zuwanderung. Die Migranten gliedern sich als fremdsprachige Missionen in die Landeskirche ein - und füllen erst noch die Kirchen. «700 bis 1000 Gläubige im Gottesdienst sind Normalfall», sagt Josef Annen, Generalvikar für die Kantone Zürich und Glarus. Für Schweizer Kirchen gleicht das einem Wunder.