Die Werbung der Migros macht gluschtig: Bald sind wieder Alpschweine von der Alp Manegorio in Airolo TI im Angebot. Das berichtet die Migros in der Tessin-Ausgabe ihrer Zeitung am 9. September. Garniert ist der Bericht mit einem Bild von Schweinen inmitten grüner, saftiger Wiesen.
Das Angebot soll den Konsumenten einreden: Wer tiefer in die Tasche greift, kann Schweinefleisch ohne schlechtes Gewissen essen. Das Fleisch der Alpschweine ist zwar teurer, dafür fühlen sich die Tiere auf der Alp im Vergleich zu jenen in konventionellen Betrieben im Tal sauwohl.
Doch Dorfbewohner aus Airolo melden BLICK: Von der Alp Manegorio weht seit Jahren ein fürchterlicher Gestank ins Dorf – zudem schäume der Fluss Ticino, der unter der Alp durchführt, nach Regenfällen jeweils auf. Typische Zeichen für eine Gewässerverschmutzung. «Das kann doch nicht nachhaltig sein!», so der Tenor im Dorf.
Tote Würmer, ekelhafter Gestank
Tatsächlich zeigt ein Besuch vor Ort: Die in der Migros teuer verkauften Alpschweine versauen die Natur rund um die Alp Manegorio massiv. So ist die Weide zur Kraterlandschaft verkommen. Übersät mit Tümpeln. Ein Friedhof von Würmern. Der Gestank ist schweinisch, obwohl die Säue schon seit Wochen weg sind.
Entlang von Bachläufen in der Nähe der Weide wuchern zudem Tausende Blacken. Eine aggressive Unkrautart, die bei mit Düngern verseuchter Erde besonders gut wächst und mit Herbiziden bekämpft werden muss. Der Alp-Traum – ein Albtraum!
Und das geht vor allem aufs Konto der Linus Silvestri AG aus Lüchingen SG. Sie verkauft die Alpschweine, die auf der Alp Manegorio gemästet werden. Und sie wehrt sich vehement gegen Kritik am Schweinemäster vor Ort.
Kein Wunder: Der St. Galler Lieferant darf seinen Schweinemästern die Marke «Linus Silvestri® Alpschwein» verleihen, wenn diese die IP-Suisse-Richtlinien einhalten. Das IP-Suisse-Gütesiegel legt besonderen Wert auf tierfreundliche Haltung, aber auch auf eine nachhaltige und umweltfreundliche Produktion sowie die Förderung von Biodiversität.
Vermarkter zertifiziert Schweinemäster selber
Dafür müssten die Produzenten aber unter anderem folgende, firmeneigene Richtlinien befolgen: Silvestri-Alpschweine dürfen nur dort gehalten werden, wo Kuhmilch zu Alpkäse verarbeitet wird. Es dürfen zudem nicht mehr Schweine auf der Alp gehalten werden als Kühe, die dort weiden.
Und: Nur die Molke, ein Nebenprodukt, das bei der Käseherstellung vor Ort anfällt, darf an die Schweine verfüttert werden. Auch müssen die Schweine einen trockenen Liegeplatz haben.
Hinzu kommen Empfehlungen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) zur Haltung von Freilandschweinen. Das Fibl wird zum grössten Teil von Bund und Kantonen finanziert.
Dort heisst es: Freilandschweine sollten jährlich an sich wechselnden Orten weiden, um Erosion und Überdüngung zu vermeiden. Zudem müssen Schweineweiden an Orten mit einer grösseren Steigung als zehn Grad gemieden werden.
Zu viele Schweine auf zu kleinem Platz
Auf der Alp Manegorio wird nichts davon eingehalten: Hier werden seit Jahren zu viele Alpschweine auf zu kleinem Platz und auf einer zu steilen Weide gehalten. Zudem wird Molke von zwei weiteren Alpen hingekarrt. Trotzdem hat die Linus Silvestri AG dem Betrieb das Alpschwein- und IP-Suisse-Zertifikat verliehen.
Die Firma toleriert dabei, dass hier auf gerade einmal einem Hektar Land 240 Alpschweine gehalten werden. Auf einer Alp, auf der maximal 70 Kühe gehalten werden dürfen. Nicht der Platz pro Tier ist zu klein, sondern das Verhältnis ihres Kots und Urins zur Grösse der Fläche wird um mindestens das Vierfache überschritten.
Die Folgen: Die einst grüne Alp ist heute eine Steinwüste und die Böden überdüngt. Das hat gar nichts mehr mit dem Bild zu tun, mit dem die Migros in der Zeitung Werbung macht.
Auch Ausnahmebewilligung erteilt Vermarkter selber
Von BLICK auf die Umweltsünde in Airolo angesprochen, reagiert die Linus Silvestri AG zunächst empfindlich. Alles sei in bester Ordnung, behauptet Geschäftsführer Remo Ackermann. Es gebe keine Gewässerverschmutzung oder Überdüngung. «Der Harn- und Kotanfall der Alpschweine ist so gering, dass ein Abschwemmen der Gülle ausgeschlossen werden kann», sagt auch Geschäftsleitungsmitglied Jakob Spring. Zudem werde auf der Alp im Herbst jeweils wieder Gras angesät.
Und sowieso: Der Schweizer Tierschutz (STS) und der Kanton würden den Betrieb regelmässig kontrollieren.
Tatsächlich ist auch der Schweizer Tierschutz begeistert. «Die Silvestri Alpschweinhaltung ist für uns vom Standpunkt Tierhaltung her ein Topprogramm!», sagt Sybille Kauer vom Kontrolldienst des STS. Aber auch aus ökologischer Sicht gebe es nichts gegen so viele Alpschweine einzuwenden. Zudem: «Wenn Schweine aus Umweltgründen in Ställe gesperrt werden, ist das eine problematische Entwicklung», so Kauer. Man solle den Tierschutz nicht gegen den Gewässerschutz ausspielen.
Gegen IP-Richtlinien verstossen
Tatsächlich wird auf der Weide aber auch bei der Tierhaltung gegen IP-Suisse-Richtlinien verstossen. So findet nur ein Bruchteil der Alpschweine einen Liegeplatz im alten Kuhstall, der an die Weide angrenzt. Die restlichen Tiere müssen sich bei Regen oder starker Sonneneinstrahlung unter einer Plastikplane auf dem sumpfartigen Boden der Weide verkriechen. IP-Suisse schreibt pro Liegeplatz indes 0,6 Quadratmeter trockene und eingestreute Fläche vor.
Der STS hat den Platzmangel sowohl 2017, 2018 als auch dieses Jahr festgestellt. Bloss hatte das nie ernste Konsequenzen. Das Label IP-Suisse wurde nie infrage gestellt. Aber auch der Kanton hat in den vergangenen Jahren trotz Gewässerschutz-Verstössen noch nie eingegriffen.
Kanton reagiert nach BLICK-Recherchen
Erst als BLICK Mauro Veronesi, Chef des Amts für Gewässerschutz im Kanton Tessin, mit Bildern und Daten der Alp konfrontiert, kommt plötzlich Bewegung in die Sache.
«Wir haben bei einem Ortstermin festgestellt, dass es Probleme mit Überdüngung und einer fortschreitenden Erosion auf der Alp Manegorio gibt», sagt Veronesi. Man habe darum den Produzenten aufgefordert, fürs nächste Jahr Massnahmen zu ergreifen, um die Probleme zu beheben. «Einerseits muss der Standort für den Auslauf gewechselt werden und der darf dabei auch nicht mehr an steilen Orten liegen.»
Zudem dürften nicht mehr so viele Schweine auf die Alp zur Mästung gebracht werden. Dies, um die Überdüngung in den Griff zu bekommen. «Auch müssen bauliche Massnahmen getroffen werden, damit Gewässer nicht verschmutzt werden können», so Veronesi.
Linus Silvestri AG verspricht Besserung
Und jetzt klingts auch bei der Linus Silvestri AG auf einmal ganz anders. Auf diese neuen Auflagen vom Kanton angesprochen, ist dort plötzlich nichts mehr in Ordnung. «Einerseits ist der Güllenkasten für diese Anzahl Schweine zu klein, zudem ist das Gelände wegen der Erosionsgefahr nicht gut geeignet», sagt Spring nun kleinlaut zu BLICK. Geschäftsführer Remo Ackermann schiebt die Schuld für diese Missstände dann aber gleich an den Kanton weiter: «Wir sind davon ausgegangen, dass sie korrekt und regelmässig kontrollieren.»
Trotzdem verspricht die Firma: Man werde aufgrund dieser BLICK-Recherche nun für alle 65 Alpschwein-Produzenten neue Richtlinien rausgeben. «Künftig fordern wir von allen Schweinemästern, dass sie uns einen Extranachweis vom Kanton vorlegen, der bestätigt, dass die Gewässerschutzgesetze eingehalten werden.» Und Ackermann zeigt sich dann doch auch etwas selbstkritisch: «Vielleicht haben wir dem Gewässerschutz bislang zu wenig Gewicht gegeben.»
Jährlich verkauft alleine die Linus Silvestri AG 3000 Alpschweine an Abnehmer wie Coop, Migros und Spar. 65 Produzenten liefern dazu Tiere an die Firma. Pro Alp werden im Schnitt 60 Schweine gehalten. Der Produzent auf der Alp Manegorio in Airolo TI ist mit den 240 Tieren der mit Abstand grösste Lieferant von Alpschweinen für die Firma.
Produzenten verdienen an Alpschweinen je nach Marktpreisen fürs konventionelle Schwein bis zu einen Franken mehr pro Kilo. Und haben einen garantierten Mindestabnahmepreis von fünf Franken pro Kilo, egal wie tief der Marktpreis fürs konventionelle Fleisch sinkt. Der durchschnittliche Kilopreis für Schlachtschweine liegt 2019 bei 4.33 Franken. Schweine werden ab einem Gewicht von rund 95 Kilo geschlachtet. (fr)
Jährlich verkauft alleine die Linus Silvestri AG 3000 Alpschweine an Abnehmer wie Coop, Migros und Spar. 65 Produzenten liefern dazu Tiere an die Firma. Pro Alp werden im Schnitt 60 Schweine gehalten. Der Produzent auf der Alp Manegorio in Airolo TI ist mit den 240 Tieren der mit Abstand grösste Lieferant von Alpschweinen für die Firma.
Produzenten verdienen an Alpschweinen je nach Marktpreisen fürs konventionelle Schwein bis zu einen Franken mehr pro Kilo. Und haben einen garantierten Mindestabnahmepreis von fünf Franken pro Kilo, egal wie tief der Marktpreis fürs konventionelle Fleisch sinkt. Der durchschnittliche Kilopreis für Schlachtschweine liegt 2019 bei 4.33 Franken. Schweine werden ab einem Gewicht von rund 95 Kilo geschlachtet. (fr)