Die Luft im Saal des Berner Hotels National war zum Schneiden dick. Am heftigsten wehrten sich die Genfer und Zürcher. Nationalrätin Martine Brunschwig Graf warnte vor einem Wohlstandsverlust an der Rhone, Bankier Raymond Bär stand auf und stellte lauthals seine Parteimitgliedschaft infrage.
Es war an einem Samstag im April 2010, als rund 400 Delegierte erbittert um die Weissgeldstrategie der FDP rangen. Schliesslich obsiegte die Mehrheit um Parteichef Fulvio Pelli; der Freisinn verabschiedete seine Grundsätze für eine restriktivere Finanzplatzpolitik.
Die innerparteiliche Positionsfindung war aufreibend und verlustreich – doch die FDP Schweiz kam zu einem Beschluss, der allseits akzeptiert und für den fortan eingestanden wurde.
Das ist erst ein Jahrzehnt her, wirkt aber angesichts der heutigen Europapolitik wie aus einer längst vergangenen Epoche. Politische Parteien, die intern um ihre Positionen streiten und durch den Kampf der Argumente zu einem Entscheid finden – das ist selten geworden. Vor allem, wenn es um die Beziehungen zur EU geht. Nicht nur die FDP, auch die Mitte und die Sozialdemokratie waren in den letzten Jahren vor allem damit beschäftigt, das unliebsame Dossier unter dem Teppich zu halten.
Lieber keine Position als eine falsche, scheint die Devise zu lauten. Gewiss – Politiker vom Schlage eines Joschka Fischer, der die deutschen Grünen 1999 beim Kosovo-Sonderparteitag in Bielefeld fast im Alleingang auf Realo-Kurs trimmte, sind rar. Doch ein wenig Standhaftigkeit und die Bereitschaft anzuecken, wären auch heute zumutbar.
Krokodilstränen
Eine Prise Pascal Couchepin, Carlo Schmid oder Peter Bodenmann vielleicht? In der Europapolitik war vom angstgetriebenen Spitzenpersonal in Bundesbern nichts dergleichen zu verspüren. Stattdessen zeigte sich das SP-Führungsduo Mattea Meyer und Cédric Wermuth am 26. Mai 2021 mit kullernden Krokodilstränen «enttäuscht» über das InstA-Aus, nachdem man zuvor Stossgebete in den Äther schickte, das institutionelle Abkommen möge bitte schön nicht vors Parlament kommen. Die legendäre Debattenkultur der Genossen ist durch Direktiven der Gewerkschaftsbosse ersetzt worden.
Nicht nur Meyer und Wermuth fiel mit dem Entscheid des Bundesrats ein schwerer Stein vom Herzen, auch FDP-Präsidentin Petra Gössi und Mitte-Chef Gerhard Pfister sind erleichtert. Beide stammen bezeichnenderweise aus Binnenkantonen – Schwyz erteilt Europavorlagen zuverlässig eine Absage, was Gössi bewusst sein dürfte. Und Pfisters Heimatkanton Zug bezieht sein Kapital nicht aus Baden-Württemberg oder dem Elsass, sondern aus Russland, Fernost, den USA und rohstoffreichen Drittweltländern.
Die Selbstkastration der herkömmlichen politischen Kräfte, ihre neue Unfähigkeit zur innerparteilichen Debatte verstärken einen Trend: das Aufkommen ausserparlamentarischer Akteure.Die Europapolitik ist dafür geradezu beispielhaft, wo mit Kompass/Europa, Progresuisse, Operation Libero und Autonomiesuisse themenbezogene, schlagkräftige Formationen den Takt angeben.
Auch die Economiesuisse ist raus
Die Parteien überliessen ihnen willfährig das Feld – und nicht zuletzt die traditionellen Verbände. Economiesuisse hat sich ebenfalls aus dem Rennen verabschiedet. Zwei Lager, die sich in der Europafrage unversöhnlich gegenüberstehen, blockieren den hochgerüsteten Dachverband.
Das Phänomen nicht etablierter Protagonisten, die das Polit-Establishment aufmischen, entstand in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Vor allem von linker Seite, mit alternativen und ökologischen Vereinigungen; von den Studentenorganisationen über die Feministinnen bis zu den Atomgegnern.
Später kopierte Christoph Blocher diese themenbezogenen Kampfgruppen mit seiner Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns).
Übrigens: Raymond Bär, der FDP-Rebell von 2010, ist heute Mitglied bei Kompass/Europa.
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