Am 14. Juni wollen Frauen die Schweiz lahmlegen
Sogar die oberste Aargauer Bäuerin streikt mit

In der ganzen Schweiz treffen sich zurzeit Frauen, um den Frauenstreik vom 14. Juni zu organisieren. Sie kommen aus allen Kantonen und allen Berufsgruppen. Was sie eint: Sie wollen endlich Gleichberechtigung.
Publiziert: 14.04.2019 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2019 um 13:29 Uhr
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Sie probt schon schon mal: Lotti Baumann, Präsidentin des Aargauer Bäuerinnen und Landfrauenverband, will am 14. an den Frauenstreik und dort im Liegestuhl Cüpli trinken.
Foto: Siggi Bucher
Aline Wüst

Grosses geschieht in der Schweiz. Wer mehr wissen will und zum Telefon greift, legt es so schnell nicht wieder aus der Hand. Am anderen Ende: Frauen. Aus der ganzen Schweiz. Darunter Ärztinnen, Lehrerinnen, Betriebsökonominnen, Pflegerinnen, Kurdinnen, Katholikinnen, Kita-Mitarbeiterinnen und Christiane Brunner. Was sie vereint? Ein Streik. Der Frauenstreik – genau heute in zwei Monaten.

«Wenn Frau will, steht alles still», hiess es 1991. Eine halbe Million ging damals auf die Strasse. Stillstehen soll die Schweiz auch am 14. Juni wieder. Die Forderung: Gleichberechtigung. Punkt. Schluss.

Die Mobilisierung ist in vollem Gang. National kamen über 500 Frauen ans letzte Treffen in Biel BE. Kantonal entstanden von Genf bis Schwyz Streikkomitees. Kommunal läuft fast noch mehr. In einem Café in Köniz BE beispielsweise. Doch dazu später.

Auch landesweite Frauenverbände haben sich hinter den Streik gestellt. Darunter der grösste: Alliance F. Der 
religiöseste: der Katholische Frauenbund. Und der wohl konservativste: der Landfrauen- und Bäuerinnenverband.

Die Mobilisierung sei nicht einfach

Lotti Baumann (44), Präsidentin der Aargauer Landfrauen, weiss genau, was am 14. Juni los sein wird auf ihrem Hof in Beinwil am See AG: Kirschenernte. Nichtsdestotrotz wird sie nach Aarau reisen und dort tun, was die Landfrauen nie machen – nichts. «Vielleicht sitzen wir im Liegestuhl und trinken Cüpli.» Die Mobilisierung sei nicht einfach, räumt sie ein. Es gebe Frauen, die sagen: «So was gehört sich nicht.» Für Baumann gehört sich anderes nicht. Zum Beispiel, dass die Männer im Bauernverband die Forderung nach einem Lohn für Bäuerinnen abgeschmettert haben.

Am Mobilisieren sind auch die Basler Kurdin Özem Aytac (40) sowie Vroni Peterhans (56), Vizepräsidentin des Katholischen Frauenbundes. Aytac tut es in den kurdischen Vereinen. Peterhans in der Kirche. Aytac geht es um die Freiheit der Frauen weltweit und um die gerechte Vertretung in der Politik. Peterhans will zusätzlich gegen die Ungleichheit in der Kirche ankämpfen. Sie ist wütend über die männlich 
geprägten Strukturen, die Skandale. In Stiefeln will sie an den Streik, um auf den Sumpf aufmerksam zu machen.

Anja Peter (38) vom Berner Frauenstreik-Kollektiv erzählt, was gerade in der Schweiz passiert: Unterschiedliche Frauen finden zusammen, vernetzen sich. «Es ist eine Ermächtigung, die den Streik überdauern wird.»

Vielfältige Anliegen

Die Anliegen sind so vielfältig wie die Frauen: Es geht um Lohngleichheit, Diskriminierung, Gewalt an Frauen, prekäre Arbeitsbedingungen. Am Streiktag selber aber gibt es zwei Fixpunkte:

Am 14. Juni um 11 Uhr soll im ganzen Land ein erster Streikmoment stattfinden, um 15.30 Uhr ein zweiter. Um 17 Uhr finden an verschiedenen Orten Kundgebungen statt.

Einig sind sich die Frauen nicht immer. So findet Claudine Esseiva (40), Vorstandsmitglied des Verbandes Business and Professional Women, die Linke habe den Streik für sich gekapert. Da wollen sie und die 2300 «Professional Women» dagegenhalten. Sie wollen zeigen, dass Frauenanliegen aus wirtschaftlicher und bürgerlicher Sicht genauso gut vorangetrieben werden können.

Geeint werden alle Frauen von dem Ziel, am 14. Juni auf die noch immer existierende Ungleichheit aufmerksam zu machen – aber auch davon, dass die Vorbereitung des Streiks viele Stunden in Sitzungszimmern bedeutet.

Diese Woche am Mittwochabend in Zürich: Lehrerinnen sitzen in einem Raum der Gewerkschaft VPOD beisammen. Donnerstagabend in Aarau: Frauen treffen sich im Volkshaus. In Zürich gehen Lehrerinnen nochmals den Forderungskatalog an die Bildungsdirektion durch. Im Aargau wird bei Salzstängeli über Details im Manifest diskutiert. In Zürich berichtet eine Lehrerin, sie habe alle Schulen im Schulkreis angeschrieben. Die Aargauerinnen verabschieden ihr Manifest, machen eine Verschnaufpause.

Am Treffen für den Streik kennengelernt

In einem Café in Köniz treffen sich jeweils Tanja Bauer (36) und drei andere Frauen. Vier Freundinnen mit Kindern, könnte man meinen. Es ist anders. Die vier haben sich an einem Treffen für den Streik kennengelernt. Ihr Ziel ist, die Frauen von Köniz am Morgen des Streiktags zusammenzubringen – auch jene, die mit den Kindern zu Hause sind.
In vielen Dörfern entstehen solche lokalen Gruppen. Auch im Kanton Schwyz. Diana de Feminis (48) vom Schwyzer Kollektiv sagt: Die Schwyzerinnen vereine, dass ihr Kanton in Gleichstellungsfragen oft auf dem letzten Platz steht. Viele Frauen sind wütend. «Es ist auch in Schwyz Zeit für Gleichstellung.»

«Wertschätzung» für ihre Arbeit will Camilla Carboni (27). Sie gehört zur Trotzphase, einer Gruppe von Fachpersonen Betreuung, die gegen die prekären Arbeitsbedingungen in Kitas und Horten kämpfen. Nun mobilisiert die Gruppe für den Frauenstreik. Denn wenn Kita-Mitarbeiterinnen wollen, steht tatsächlich vieles still.

Aktuell sind Carboni und ihre Mitstreiterinnen da­ran, Frauen in Kitas von 
einem Streik zu überzeugen – in welcher Form auch immer. Vorstellbar ist unter anderem, dass einzelne 
Kitas am 14. Juni ganz geschlossen bleiben.

Nur 60 Prozent der Pensionskassengelder

Am weitesten fortgeschritten ist die Mobilisierung in der Westschweiz. Mittendrin die Genferin Manuela Honegger (37). Die Politologin ist Mitglied des nationalen Streikkomitees. Sie sagt: «In der Westschweiz passiert bereits so viel, auf so vielen Ebenen. Ich habe den Überblick längst verloren.»

In Erinnerung geblieben ist der Mutter eine Begegnung an einem Streiktreffen in Wil SG. Eine 92-Jährige aus dem Bündnerland sagte ihr: «Ich will streiken!» Sie könne nicht mehr schlafen, weil sie realisiert habe, dass sie seit dem Tod ihres Mannes nur 60 Prozent der Pensionskassengelder bekomme. Und das, obwohl sie ihr Leben lang geputzt, gekocht und zu den Kindern geschaut habe. Honegger sagt: «Bei diesem Streik geht es nicht um politisch links oder rechts. Es geht um alle Frauen und um 
Gerechtigkeit!»

Und was denkt Christiane Brunner über das, was heute überall im Land geschieht? Sie, die 1991 den ersten Frauenstreik anzettelte? Eine alte Dame sei sie nun, sagt Brunner. Darum schaue sie diesmal vom Rande aus zu. Was sie sehe, bereite ihr aber grosse Freude. Einiges habe sich geändert nach dem letzten Streik. Aber zu wenig und zu langsam. «So kann es nicht weitergehen. Der Streik ist nötig.»

Auf die Strasse gehen werde sie wohl nicht. Sie sei mit 72 Jahren nicht mehr so gut zu Fuss. Im Gegensatz zu 1991 gebe es ja nun das Internet. «So werde ich alles mitverfolgen können, was am 14. Juni passiert.»

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