Vor zehn Jahren erklärte Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien. Alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (72) setzte sich früh und entschieden für die Kosovaren ein – entsprechend hoch ist ihr Ansehen bei ihnen. Im Gespräch mit SonntagsBlick blickt Calmy-Rey zurück auf die Rolle der Schweiz bei der Entstehung des jungen Staates und erläutert die engen Beziehungen der Schweiz zu Kosovo. Was sie nicht versteht, ist die Kritik an den Nati-Spielern Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri nach ihrem siegreichen Match in Kaliningrad.
Frau Calmy-Rey, die Schweizer Nationalmannschaft hat am Freitag gegen Serbien gewonnen. Haben Sie das Spiel verfolgt?
Micheline Calmy-Rey: Nein, aber das Resultat hat mich sehr gefreut.
Die Schweizer Torschützen mit kosovarischen Wurzeln, Xhaka und Shaqiri, machten beim Jubel ein Handzeichen, das den albanischen Doppeladler symbolisiert. Dafür ernteten sie sofort heftige Kritik. Wie beurteilen Sie die Geste der beiden?
Wie kann man sich loyaler zeigen als durch Tore für die Schweiz? Niemand kann sie zwingen, ihre Herkunft und Vergangenheit aus dem Fenster zu werfen. Die beiden Spieler sind Schweizer, ihre Wurzeln liegen in Kosovo, das ist doch kein Widerspruch. Gerade nicht in der Schweiz.
Wie meinen Sie das?
Ich bin im Wallis geboren und in Genf Politikerin geworden. Und ich bin auch beides: sowohl Walliserin als auch Genferin. Das widerspricht sich nicht.
Micheline Calmy-Rey wurde 1945 in Sitten geboren. 1968 erwarb sie in Genf das Lizenziat in Politikwissenschaften. Die Sozialdemokratin politisierte ab 1981 im Genfer Grossen Rat, bevor sie 1997 in den Staatsrat gewählt wurde. Am 4. Dezember 2002 wählte die Vereinigte Bundesversammlung Calmy-Rey in den Bundesrat. Bis zu ihrem Ausscheiden aus der Landesregierung 2011 stand sie dem Aussendepartement (EDA) vor.
Micheline Calmy-Rey wurde 1945 in Sitten geboren. 1968 erwarb sie in Genf das Lizenziat in Politikwissenschaften. Die Sozialdemokratin politisierte ab 1981 im Genfer Grossen Rat, bevor sie 1997 in den Staatsrat gewählt wurde. Am 4. Dezember 2002 wählte die Vereinigte Bundesversammlung Calmy-Rey in den Bundesrat. Bis zu ihrem Ausscheiden aus der Landesregierung 2011 stand sie dem Aussendepartement (EDA) vor.
Bei der Entstehung des unabhängigen Staates Kosovo haben Sie eine zentrale Rolle gespielt.
Die Schweiz war wichtig. Wir waren das erste Land, das eine Diskussion über den Status von Kosovo lancierte. Und zwar bereits im Jahr 2004. Die Schweiz hat sich während Jahren dafür engagiert, die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo zu mindern. Als sich zeigte, dass bei diesen Gesprächen kein Fortschritt möglich war, haben wir die Frage des Status von Kosovo in der Uno eingebracht. Dann folgte ein langer Prozess, geführt von der Uno. Dieser Prozess endete 2008 mit einem unabhängigen Staat.
Der von der Schweiz rasch anerkannt wurde.
Nein. Die Aussenpolitische Kommission und der Bundesrat mussten zunächst zustimmen. Wir haben Kosovo im gleichen Zuge anerkannt wie andere europäische Staaten.
Wie eng sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kosovo?
Sehr eng. Zehn Prozent der Kosovaren leben in der Schweiz. Wenn ich in Kosovo bin, sehe ich viele Autos mit Schweizer Nummernschildern. Manche sagen sogar, Kosovo sei der 27. Kanton der Schweiz. Die Schweiz ist dort immer noch sehr präsent: mit den Soldaten der Kfor und den Entwicklungsprojekten der Deza.
Welche Bedeutung hat Kosovo für Sie persönlich?
Wir sind das Land von Wilhelm Tell. Mich hat der Freiheitskampf dieses Volkes berührt. Gerade mit Menschen der kosovarischen Diaspora in der Schweiz habe ich viele schöne Begegnungen. Manchmal, wenn ich in ein Taxi steige, sagt der Fahrer: «Frau Calmy-Rey, Sie zahlen nichts, ich stamme aus Kosovo.» Bei manchen Reisen in Kosovo fühle ich mich verehrt wie Mutter Teresa (lacht). Aber das zeigt nur, welch grosse Bedeutung die Arbeit der offiziellen Schweiz auf dem Balkan hatte und hat.
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