«Als kleines Mädchen behandelt»
Wie Angestellte unter narzisstischen Chefs leiden und was man als Opfer dagegen tun kann

Manipulative Chefinnen und Chefs können für Angestellte zum Martyrium werden. Doch man kann sich wehren.
Publiziert: 19.02.2025 um 12:04 Uhr
|
Aktualisiert: 20.02.2025 um 13:04 Uhr
Silvie Kolb litt unter ihrem Chef. Ein Mediator wurde eingeschaltet. Doch auch der half nicht. (Symbolbild)
Foto: Shutterstock

Auf einen Blick

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
katharina_siegrist.jpg
Katharina Siegrist
Beobachter

Silvie Kolb hatte schon beim Vorstellungsgespräch ein seltsames Bauchgefühl: «Mein zukünftiger Chef hat mich übertrieben gelobt, sogar für Selbstverständlichkeiten. Es war, als hätte er eine Maske auf», erinnert sich die kaufmännische Angestellte. Das war 2019. Trotz allem tritt sie die neue Stelle an. Und hört danach nie mehr ein Lob. Silvie Kolb heisst tatsächlich anders. Das Erlebte sitzt ihr noch in den Knochen, und sie will nicht, dass man sie erkennt.

Der Chef ist für sie nicht erreichbar

Zu Beginn muss Kolb lernen, sich in den neuen Strukturen zurechtzufinden. Es läuft harzig. Kolb bittet den Chef um Unterstützung. Doch er blockt ab. Für sie ist er kaum je erreichbar.

Am schlimmsten sind die Sitzungen. Wenn sie etwas sagen will, wird sie unterbrochen. Sie sei neu und müsse zuhören – so das Argument. Kolb kann sich nicht einbringen. «Man behandelte mich wie ein kleines Mädchen.»

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

Probieren Sie die Mobile-App aus!

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

Probieren Sie die Mobile-App aus!

Narzisstische Chefs: «Angestellte sollten früh reagieren»

«Es lohnt sich, schon früh zu reagieren – idealerweise bevor sich gewisse Verhaltensmuster als vermeintlich normal eingeschliffen haben», sagt Expertin Karin Rosatzin. «Angestellte können einen Gesprächstermin mit ihrem Vorgesetzten vereinbaren», empfiehlt die Geschäftsführerin der Fachstelle Konflikt am Arbeitsplatz. «Es ist wichtig, dass sich Betroffene gut darauf vorbereiten, beschreiben, wie sie sich behandelt fühlen, konkrete Beispiele dazu bringen und formulieren, was ihre Erwartungen sind.»

Mit der Zeit realisiert Silvie Kolb: Es gibt etwas, was der Chef seinen Mitarbeitenden nicht geben kann, es aber selbst umso mehr braucht – Anerkennung. Er sonnt sich darin. Fehler schiebt er gern auf andere ab. «Wenn man ihm zugejubelt hat, dann war es gut», so Kolb.

Doch sie will nicht mitmachen. Und zahlt einen hohen Preis: Wenn sie sich wehrt, sich für sich und andere einsetzt, wird sie abgestraft. Entweder indem der Chef sie ignoriert oder das Team gegen sie aufhetzt. Das geht so weit, dass kaum mehr jemand vom Team mit ihr spricht. Aus Angst, selbst den Job zu verlieren, vermutet Kolb.

An Teamsitzungen schaltet sie sich meist nur noch online zu. Zu schmerzhaft ist es, sich mit den anderen zu konfrontieren. Erst im Nachhinein erfährt sie, dass sie nicht sein erstes «Opfer» ist. Es hat offenbar immer jemanden gegeben, auf den oder die er sich einschiessen musste.

«Wenn bereits das ganze Team geschlossen gegen eine Person ist, wird es sehr schwierig, die Dynamik noch zu stoppen», sagt Fachfrau Rosatzin. Statt sich zurückzuziehen, spricht man Teamkolleginnen und Teamkollegen besser frühzeitig auf nicht nachvollziehbare Reaktionen an und fragt nach. «So bleibt man mit dem Team in Kontakt, begibt sich nicht in die Aussenseiterrolle und erfährt vielleicht zudem, wie andere mit dem schwierigen Vorgesetzten umgehen.»

Die Situation am Arbeitsplatz wird für Silvie Kolb immer unerträglicher. Nie bekommt sie ein Feedback oder sogar Wertschätzung. «Irgendwann war alles, was ich gemacht habe, schlecht – ohne dass man mit mir darüber geredet hätte.»

Schwierig ist auch, dass der Chef alles nur immer schwarz oder weiss sieht. «Er konnte keine Meinung gelten lassen ausser seiner eigenen, war nie kompromissbereit.» Wenn sie ihn auf diese Probleme anspricht, hört er ihr nicht zu. Er lenkt die Gespräche jeweils in eine ganz andere Richtung.

Für alles muss sie sich rechtfertigen

So will er ganz genau wissen, was Kolb den ganzen Tag tut. Für jeden Eintrag im Kalender muss sie sich rechtfertigen. «Ich fühlte mich einerseits total alleingelassen und andererseits völlig kontrolliert», fasst sie die absurde Situation zusammen. Schlimm auch: Etappenweise werden ihr Aufgaben und Zuständigkeiten entzogen. Das kratzt am Selbstwert.

«Spätestens wenn die vorgesetzte Person das Gespräch verweigert, sollte man sich Hilfe holen. Etwa bei der Personalabteilung oder bei der Vorgesetzten des Chefs», sagt Rosatzin.

Mitarbeitergespräche werden zur Tortur

Die jährlichen Mitarbeitergespräche belasten Kolb schon Wochen vorher. Vier Jahre hintereinander werden ihre Leistungen immer gleich bewertet: nicht gut, sondern nur genügend, um keine Lohnerhöhung geben zu müssen.

Gegen Ende des Arbeitsverhältnisses stuft der Chef sie sogar noch herab: Prädikat «ungenügend». «Und das sogar bei den Soft-Themen wie der Sozialkompetenz. Das tat weh», erzählt Silvie Kolb. Das ist für sie auch nicht nachvollziehbar. «An meinen früheren Arbeitsstellen wurde ich immer als hilfsbereit und teamfähig gelobt.»

Wenn sich Angestellte im Vorfeld eines Mitarbeitergesprächs schriftlich selbst beurteilen können, sollten sie diese Gelegenheit unbedingt nutzen, rät Rosatzin. «Am besten halten Arbeitnehmende schriftlich fest, welche Ziele, Projekte und Spezialaufgaben sie erfüllt haben, und stellen dies dem Vorgesetzten vorgängig zu.»

Während des Mitarbeitergesprächs kann man bei jedem Beurteilungspunkt nach konkreten Beispielen fragen, die der jeweiligen Beurteilung des Vorgesetzten zugrunde liegen. Manchmal muss man ein solches Gespräch aber auch erst verarbeiten und überschlafen. «Wenn es noch offene Punkte gibt oder man eine Beurteilung nicht nachvollziehen kann, kann man auch nach der Mitarbeiterbeurteilung nochmals um ein Gespräch bitten.»

Narzisstischer Chef: Auch die Personalabteilung hilft nicht

Fakt ist aber, dass die Bewertung in der Mitarbeiterbeurteilung einseitig durch den Vorgesetzten erfolgt. Sie muss zwar auf Fakten basieren, aber die untergebene Person muss nicht einverstanden sein.

Silvie Kolb wendet sich zuletzt an die Personalabteilung. Doch die macht klar, dass sie auf der Seite der Arbeitgeberin und damit indirekt auch auf derjenigen des Chefs steht. Immerhin: Irgendwann schaltet die Arbeitgeberin einen Mediator ein, der vermitteln soll. Doch Silvie Kolbs Hoffnungen zerschlagen sich schnell. «Das Resultat stand von Anfang an fest: Ich musste gehen, der Chef blieb.» Mittlerweile hat sie eine neue Stelle gefunden, wo sie sich wohlfühlt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?