Die kranke Welt der Margrit P.
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Interview von August 2020:Jetzt sprechen die Eltern des getöteten Ilias (†7)

Alice F. (76) erstach in Basel grundlos den kleinen Ilias (†7). Vor dem Prozess sprechen seine Eltern im BLICK
«Wir beteten vor dem OP-Saal, dass er überlebt»

Am Montag steht Täterin Alice F. (76) wegen Mordes vor Gericht. Im März 2019 hatte sie den siebenjährigen Ilias in Basel erstochen. Grundlos. Am helllichten Tag. Jetzt sprechen seine Eltern über den Schmerz und den Wunsch, der Mörderin in die Augen zu blicken.
Publiziert: 06.08.2020 um 09:21 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2020 um 16:38 Uhr
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Familie M. mit Vater Visar M. (33), Mutter Fatma (28) und ihren Söhnen Marim (4) und Sohn Tarik (2 Monate) im Basler Kasernenpark. Hier spielte ihr getöteter Sohn Ilias (†7) besonders gerne.
Foto: Anian Heierli
Anian Heierli

Das Verbrechen konnte nicht sinnloser sein. Primarschüler Ilias (†7) wird am 21. März 2019 mitten in Basel getötet. Erstochen mit einem Messer, mittags um 12.30 Uhr, auf offener Strasse (siehe Box zum Fall). Die Täterin Alice F.* (76), eine geistig verwirrte Rentnerin, stellt sich eine Stunde später selbst. Heute ist klar: Sie handelte im Wahn. Gutachter attestieren ihr Schuldunfähigkeit. Ab Montag muss sie sich wegen Mordes vor dem Kriminalgericht Basel verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert die Verwahrung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik. Die Eltern des getöteten Buben, Visar** (33) und Fatma M.** (28), werden am Prozess teilnehmen.

Im BLICK spricht das Ehepaar im Beisein ihres Anwalts Artan Sadiku (35) jetzt erstmals ausführlich über den tragischen Fall. BLICK hatte den Buben bisher aus Persönlichkeitsschutz Mergim genannt, nennt ihn aus Respekt und mit dem Einverständnis der Eltern von nun an aber bei seinem richtigen Vornamen Ilias.

BLICK: Das eigene Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Wie gehen Sie mit diesem Verlust um?
Mutter Fatma: Wir haben zwei weitere Söhne, für die wir da sein müssen. Marim** ist vier Jahre und Tarik** zwei Monate alt. Auch nach dem Tod unseres Erstgeborenen Ilias brauchen sie uns als Eltern. Sie geben uns Trost und die Kraft, weiterzumachen. Auch bei unseren Familien und Freunden finden wir Halt.

Vater Visar: Das Leben hat sich seit der Tat etwas normalisiert. Doch es wird nie mehr so sein wie zuvor. Es gibt Zeiten und Momente, die uns besonders stark an Ilias erinnern. Wir müssen als Familie weiter funktionieren. Doch es ist schwierig. Ein Kind fehlt. Nie wird jemand den Platz von Ilias in unseren Herzen einnehmen können.

Sie arbeiten wieder?
Visar: Ja. Fatma ist Hausfrau und passt auf die Kinder auf. Ich arbeite als Fachangestellter Gesundheit. Meine Ausbildung schloss ich einen Monat nach dem Tod von Ilias ab. Ich weiss selbst nicht, wie ich das geschafft habe. Ich tat es für Ilias und meine Familie. Es war sein Wunsch, dass ich die Lehre beende.

In welchen Momenten fehlt Ilias besonders?
Fatma: An Geburts- und Feiertagen. Aktuell feiern wir albanischen Muslime das Bayram-Fest, was ohne ihn sehr schwierig ist. Eigentlich erinnert mich alles an ihn. Es reicht, wenn ich seinen kleinen Bruder Marim alleine spielen sehe. Auch an den Lieblingsorten von Ilias kommen die Bilder wieder hoch. Am liebsten war er im Kasernenpark. Hier lässt mich jede Ecke an ihn denken. Trotzdem besuchen wir den Park weiterhin regelmässig mit seinem kleinen Bruder.

Marim war zwei Jahre alt, als Ilias ermordet wurde. Wie erklärten Sie ihm, was passiert ist?
Fatma: Er weiss, dass sein Bruder gestorben ist und beerdigt wurde. Wir bringen ihm bei, dass Ilias jetzt im Himmel ist. Jetzt ist er ein kleiner Engel. Welch schreckliches Verbrechen dazu führte, haben wir ihm noch nicht erzählt. Manchmal geht er auf den Balkon, schaut zum Himmel und fragt: «Ilias, warum kommst du nicht mit mir spielen?» (Fatma schluckt leer, kämpft mit den Tränen, bevor sie weitersprechen kann) Er vermisst ihn. Sie waren immer zusammen und unzertrennlich. Heute noch möchte Marim im Laden Spielzeug für Ilias kaufen. Manchmal sucht Marim seinen grossen Bruder im Park und will wissen, ob er unter der Erde liegt. Das tut er, weil er an der Beerdigung dabei war und er sein Grab kennt. Er ist ein schlaues Kind.

Was war Ilias für ein Mensch?
Visar: Ein glücklicher. Er lachte ständig und weinte fast nie. Jeder mochte Ilias wegen seiner offenen Art. Fremde Kinder begrüsste er häufig mit einer Umarmung. Ilias half immer den schwächeren Kollegen und wollte später Polizist werden. (Visar lächelt) Beim Spiel «Räuber und Poli» war er immer bei der Polizei.

Unmittelbar nach dem Verbrechen gab es eine riesige Solidaritätswelle. Am Tatort legten Betroffene ein Meer aus Blumen nieder, und es fand ein Trauermarsch mit Hunderten Menschen statt. Hilft es zu wissen, dass man nicht alleine ist?
Visar: Ja, sehr. Auch wenn ich die Leute nicht kenne. Diese Solidarität half uns sehr. Wir fühlten uns nicht ganz so alleine. Es hilft, die Stille zu unterdrücken. Wir möchten den Menschen, die am Trauermarsch teilnahmen, herzlich danken. Wir danken allen, die Anteilnahme zeigten. Leider konnten wir nicht dabei sein, denn wir waren da schon für Ilias Beerdigung im Kosovo.

Können Sie sich an den Moment erinnern, als man Ihnen die Nachricht vom Tod Ihres Sohnes überbrachte?
Fatma: Ich erholte mich von einer Blinddarmoperation im Spital. Marim hatte Fieber, und mein Mann war bei ihm zu Hause. Deshalb ging Ilias am Mittag alleine von der Schule heim. Eigentlich wollte ihn mein Mann abholen und mich im Spital besuchen. Als Ilias nicht nach Hause kam, rief ich vom Spital aus die Schule an. Am anderen Ende der Leitung war eine Polizistin. Sie fragte, ob ich die Mutter von Ilias bin. Ich fing an zu zittern. Ich wusste, etwas Schlimmes ist passiert. Die Polizistin sagte, es habe einen schweren Unfall gegeben, und Ilias werde notfallmässig operiert. Ich schrie, entriss meine Infusionen und machte mich auf den Weg zum Kinderspital.

Visar: Auch ich erfuhr es am Telefon. Zeitgleich wie Fatma ging ich mit Marim zum Kinderspital. Ich weiss nicht mehr genau, wie ich dorthin kam. Vor dem Operationssaal beteten wir zusammen und hofften, dass Ilias überlebt. Nach zwei Stunden kamen zwei Ärzte zu uns. Ich arbeite selbst im Gesundheitswesen und spürte sofort, es ist schlimm. Die Ärzte sagten, Ilias habe es nicht geschafft. Sie erzählten uns, was genau passiert ist. Erst da erfuhren wir von der Tat.

Bisher standen Sie der Mörderin Ihres Sohnes noch nie gegenüber. Am Montag beim Prozess kommt es zur ersten Konfrontation. Werden Sie ihr in die Augen sehen?
Visar: Ich glaube schon. So genau weiss ich das erst, wenn es so weit ist. Doch wir wollen sie sehen. Das ist für uns wichtig, um abzuschliessen. Es ist besser, wenn wir alles erfahren und wissen.

Fatma: Auch ich will die Frau sehen. Ja, ich empfinde Wut. Ich werde ihr nie verzeihen und hoffe, dass sie begreift, was sie getan hat. Auch sie soll leiden. Doch am Ende muss Gott über sie richten. Für uns ist klar. Diese Frau darf nie wieder frei kommen.

Täterin Alice F. (76) ist mehrfach vorbestraft wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Sie war den Behörden als Querulantin bekannt. Hätte man die Frau bereits früher wegsperren müssen?
Visar: Ich weiss es nicht. Ich hoffe, der Prozess liefert Antworten.

Anwalt Artan Sadiku: Diese Frage nach der Rolle der Behörden muss im Nachgang zum Strafprozess aufgearbeitet werden. Sie dient der Trauerverarbeitung, aber auch dem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft.

Am Schluss bleibt die Unfassbarkeit, die Sinnlosigkeit dieser Tat. Wie wird man damit fertig?
Fatma: Wir fragen uns, was die Täterin damit erreichen wollte. Es ist ein Mord an einem Kind mit einer unschuldigen Seele. Wir fragen uns auch, ob wir etwas dafür können und warum sie sich damals nicht selbst etwas angetan hat. Jetzt sind wir Angehörigen die Einzigen, die kämpfen und leiden. Es gibt keine Worte, um dieses Gefühl zu beschreiben.

* Name der Redaktion bekannt

** Namen geändert

So brutal und sinnlos musste Ilias (†7) sterben

Am Tag seiner Ermordung verlässt der kleine Ilias (†7) aus Basel das Schulhaus um etwa halb eins am Mittag als Letzter. Er macht sich an diesem 21. März 2019 zu Fuss auf den nur etwa 500 Meter langen Heimweg.

Als der Junge das Gotthelf-Schulhaus verlässt, ist seine spätere Killerin Alice F.* (76) schon auf der Suche nach einem Opfer. Sie «tigert» um das Schulhaus herum, dokumentiert die Anklageschrift ihre eigenen Aussagen.

Ein Bekennerschreiben, das sie nach der Tat per Textnachricht an verschiedene Medien schickt, hat die Querulantin schon lange vorbereitet. Ihr fehlte nur noch das passende Opfer.

Etwa um 12.37 Uhr sieht F. den Buben mit kosovarischen Wurzeln, beschreibt die Anklageschrift den Ablauf der Tat. Nur 350 Meter von seinem Elternhaus entfernt. Sie nähert sich von hinten, sticht ihm ein Küchenmesser in den Hals. Ilias dreht sich um. Die Täterin sticht wieder zu, wieder in den Hals. Der Bub geht zu Boden, ist tödlich verletzt. Alice F. beugt sich über ihr Opfer, geht um Ilias herum. Als würde sie kontrollieren, ob er wirklich tot ist. Dann macht sie sich gemächlich davon.

Sie führt ihren Tatplan weiter eiskalt aus, kontaktierte Privatpersonen und Medien. Der Text ihres vorbereiteten SMS: «Hoi ihr lieben, Habe eine kind getötet, damit ich mein eigentum zurückbekomme stelle mich der polizei und übernehme die verantwortung sofern ich nicht als staatsfeind umgebracht werde.»

Dann stellt sie sich selber beim Empfang der Staatsanwaltschaft, erklärt, sie habe gerade ein ihr unbekanntes Kind getötet und gibt die Tatwaffe ab.

* Name bekannt

Am Tag seiner Ermordung verlässt der kleine Ilias (†7) aus Basel das Schulhaus um etwa halb eins am Mittag als Letzter. Er macht sich an diesem 21. März 2019 zu Fuss auf den nur etwa 500 Meter langen Heimweg.

Als der Junge das Gotthelf-Schulhaus verlässt, ist seine spätere Killerin Alice F.* (76) schon auf der Suche nach einem Opfer. Sie «tigert» um das Schulhaus herum, dokumentiert die Anklageschrift ihre eigenen Aussagen.

Ein Bekennerschreiben, das sie nach der Tat per Textnachricht an verschiedene Medien schickt, hat die Querulantin schon lange vorbereitet. Ihr fehlte nur noch das passende Opfer.

Etwa um 12.37 Uhr sieht F. den Buben mit kosovarischen Wurzeln, beschreibt die Anklageschrift den Ablauf der Tat. Nur 350 Meter von seinem Elternhaus entfernt. Sie nähert sich von hinten, sticht ihm ein Küchenmesser in den Hals. Ilias dreht sich um. Die Täterin sticht wieder zu, wieder in den Hals. Der Bub geht zu Boden, ist tödlich verletzt. Alice F. beugt sich über ihr Opfer, geht um Ilias herum. Als würde sie kontrollieren, ob er wirklich tot ist. Dann macht sie sich gemächlich davon.

Sie führt ihren Tatplan weiter eiskalt aus, kontaktierte Privatpersonen und Medien. Der Text ihres vorbereiteten SMS: «Hoi ihr lieben, Habe eine kind getötet, damit ich mein eigentum zurückbekomme stelle mich der polizei und übernehme die verantwortung sofern ich nicht als staatsfeind umgebracht werde.»

Dann stellt sie sich selber beim Empfang der Staatsanwaltschaft, erklärt, sie habe gerade ein ihr unbekanntes Kind getötet und gibt die Tatwaffe ab.

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