62 Prozent mehr User nach Musk-Übernahme
Wird Mastodon das neue Twitter?

Die Twitter-Übernahme von Elon Musk ist umstritten. Mastodon bietet verärgerten Nutzern eine Alternative. Aber hat das Netzwerk eine Chance?
Publiziert: 30.04.2022 um 17:53 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2022 um 18:01 Uhr
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Elon Musk ist nun Herr über Twitter.
Foto: keystone-sda.ch
Janina Bauer

44 Milliarden Dollar für die «freie Meinungsäusserung». So viel bietet der Milliardär Elon Musk (50) für das soziale Netzwerk Twitter. Der Tesla-Gründer begründet seinen Schritt so: «Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden.»

Im ersten Quartal 2022 hatte Twitter täglich 229 Millionen aktive Nutzer. Viele sind Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Aktivisten und politisch Interessierte, kurz: Meinungsmacher. Was auf Twitter besprochen wird, schlägt in der echten Welt Wellen. Der beste Beweis dafür ist Musk selbst: Seine Tweets sorgten einst für einen Einbruch der Kryptowährung Bitcoin. Dass der reichste Mann der Welt nun diese Meinungsmacht in den Händen hält, sorgt für Empörung.

Und bringt ein anderes soziales Netzwerk auf die Bildfläche: Mastodon. Dort stieg die monatliche Nutzerzahl seit Musks Twitter-Übernahme um 62 Prozent auf 413'000.

Der Informatiker Eugen Rochko (29) aus dem ostdeutschen Jena entwickelte das Netzwerk 2016 mit der Begründung: «Eine Plattform, auf der man Nachrichten nahezu in Echtzeit erfahren und mit Menschen auf der ganzen Welt Kontakt haben kann, ist extrem wichtig. So etwas sollte nicht in der Hand einer Person oder eines Unternehmens liegen – sondern in den Händen von vielen.»

Ein Rüsseltier für die Zukunft?

Der Begriff Mastodon wurde früher für ausgestorbene Rüsseltierarten verwendet. Aber gehört Mastodon die Zukunft? Und was unterscheidet Rochkos Erfindung von Twitter?

Grundsätzlich ist Mastodon wie Twitter ein Micro-Blogging-Dienst. Nutzer können von ihrem Account aus Bilder, kurze Texte und Videos posten, darauf reagieren und Beiträge teilen. Nur: Mastodon ist keine einzelne Webseite, die von einem kommerziellen Anbieter über geheime Algorithmen gesteuert und kontrolliert wird.

Mastodon ist als dezentrales Netzwerk mit vielen unabhängigen Servern organisiert, von denen es nur zwei selbst betreibt. Der Rest wird von diversen Gemeinschaften gesteuert, von denen alle mitbestimmen, weil jede Gemeinschaft ihren eigenen Server steuert und Regeln festlegt. Zusammen bilden sie das Mastodon-Netzwerk, das werbefrei und ohne Popularitäts-Algorithmus funktioniert: Die Beiträge werden einfach chronologisch angezeigt.

Möglich macht dies der öffentlich zugängliche Quellcode des Systems, den jeder User verwenden und verändern kann, um einen eigenen Server zu installieren – wobei jede Änderung des Codes sofort wieder veröffentlicht wird. «So verhindern wir, dass ein kommerzielles Unternehmen den Code zentralisiert, um ihn abzuschalten», erklärt Rochko.

Musk hat angekündigt, den Twitter-Algorithmus ebenfalls zu veröffentlichen. Doch Rochko hält das nicht für überzeugend: «Es ist egal, welche Entscheidung Musk trifft. Erstens sollte er allein sie überhaupt nicht treffen, zweitens bleibt Twitter ein kommerzielles Unternehmen. Wirtschaftliche Interessen werden immer über denen der Nutzer stehen.» Rochkos Unternehmen ist eine deutsche Nichtregierungsorganisation, die sich durch Spenden und Gelder von Technologie-Programmen finanziert.

ETH-Professor hat Zweifel

Hat Mastodon wirklich eine Chance, das neue Twitter zu werden? Ulrik Brandes, Professor für soziale Netzwerke an der ETH Zürich, bezweifelt das. Grundsätzlich hält er die Idee eines gemeinschaftlichen Systems für sinnvoll.

Bei breiterer Nutzung sieht Brandes jedoch Probleme in der Praxis voraus. «Es könnte passieren, dass sich die Nutzung auf einige wenige populäre Instanzen konzentriert. Dann macht das ganze System weniger Sinn, da man wieder einen zentralisierten Effekt hat», sagt der Informatiker. Zudem rechnet er nicht mit einer grossen Abwanderung von Twitter zu Mastodon: «Dazu bräuchte es stärkere Trigger. Die aktuelle Empörungswelle ist voreilig und ihre Höhe wird wie alle Trends in den sozialen Medien schnell überschätzt.»

Eugen Rochko bleibt gleichwohl hoffnungsvoll. In der Vergangenheit habe es nach kleineren Empörungen von Twitter-Usern immer wieder Wechsel zu Mastodon gegeben. Dann aber seien viele Nutzer wieder zu Twitter zurückgekehrt, nur wenige blieben.

Heute sei die Situation anders: «Erstens haben wir Mastodon als Plattform massiv verbessert. Zweitens hat Twitter kein banales Detail geändert, sondern den Eigentümer.» Rochko: «Ich denke deshalb, dass die Gesellschaft vielleicht bereit ist, alternative Optionen wie Mastodon zu erkunden und anzunehmen.»

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