55-Stunden-Woche, keine Sonntage
Viele Bauernstifte können nicht mehr

Der vermeintliche Traumalltag auf dem Bauernhof ist für viele Lehrlinge der blanke Horror. Die jungen Nachwuchskräfte werden regelrecht geknechtet. Arbeitszeiten von bis zu 55 Stunden pro Woche sind keine Seltenheit.
Publiziert: 25.03.2018 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 19:30 Uhr
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Auch Luca Intrass (22) brach seine Landwirtslehre aufgrund der hohen Arbeitsbelastung ab.
Foto: Anja Wurm
Romina Brunner

Einen Arbeitsalltag in der Natur. Umgeben von Äckern, Wäldern und Tieren. So stellte sich Benno Moser* (17) die Lehre zum Landwirt vor. Die Realität war eine andere. Der Lehrling ackerte bis zum Umfallen: zwölf Tage am Stück, 55 Stunden die Woche – oft mehr. Immer wieder stand er bis um 22 Uhr auf dem Feld. «Ich wurde total ausgenutzt. Manchmal war ich am Abend sogar zu müde zum Essen», sagt Benno. 

Zum Vergleich: In anderen Berufen gilt eine 45-Stunden-Woche – maximal. Minderjährige geniessen sogar einen besonderen Schutz. Sie dürfen höchstens neun Stunden pro Tag arbeiten – inklusive Überzeit. Sonntagsarbeit ist verboten. Doch für die Bauernlehrlinge gilt der kantonal geregelte Normalarbeitsvertrag (NAV) – und da sind Arbeitswochen von bis 55 Stunden kein Problem.

Schnelle Ernüchterung in der Lehre

Während der Schnupperwochen war die Berufswelt von Benno noch in Ordnung. Ein Bauernhof im Mittelland mit Kuh- und Schweinestall, dazu Katzen, ein Hund und Hühner. Doch schnell wurde der Traumberuf zum Albtraum. Von Beginn weg war Bennos Platz der Schweinestall. Heisst: Füttern, schrubben, misten. Woche für Woche. Sein Chef schickte ihn sogar vor der Schule in den Stall: «Der Gestank machte mich fertig, manchmal war ich wie benommen.» 

Für seine Freunde und die Familie blieb ihm keine Zeit mehr. Auch weil es zum guten Ton gehört, dass die Lehrlinge auf den Betrieben wohnen. Frei hatte er alle zwei Wochen, drei Tage. «Es war beinhart. Irgendwann konnte ich nicht mehr», sagt Benno und handelt. Nach drei Monaten brach er die Lehre ab und wechselte die Branche.

Enorme Arbeitsbelastung

Von einer enormen Arbeitsbelastung und fehlender Energie spricht auch Lehrabbrecher Luca Intrass (22): «Neben dem Schulstoff und den Prüfungen mussten wir noch mehrseitige Arbeitsberichte über Pflanzen und Tiere schreiben. Ein Graus!» Neben den vielen Arbeitsstunden ärgerte ihn auch sein Gehalt: «Wir krampfen wie blöd und verdienen fast nichts!» 

Brach die Lehre zum Landwirt ab: Luca Intrass.
Foto: Anja Wurm

Ein Landwirtlehrling erhält zwar ein gutes Gehalt. Doch von den minimal 1160 Franken, die ein Berufslernender im ersten Lehrjahr verdient, gehen bis zu 990 Franken für Kost und Logis zurück an den Lehrmeister. Zum Vergleich: Ein Schreiner-Lehrling oder KV-Stift arbeitet weniger und hat am Monatsende gern das Dreifache auf dem Konto.

Ueli Vögeli (53), Direktor Kompetenzzentrum für Landwirtschaft Strickhof in Lindau ZH kontert: «Dass die Lehrlinge auf den Betrieben wohnen, ist wichtig für den Familienanschluss.»  Auch seien die hohen Abzüge für den Unterhalt durchaus berechtigt. «Das ist ein Lehrblätz für die Jungen. So lernen sie, dass man nichts im Leben umsonst bekommt.» 

Abbild der realen Bedingungen

Überlastung, Überstunden, Sonntagsarbeit. Dass die Bauernlehrlinge krampfen bis zum Umfallen ist für den Grossteil der Bauern kein Problem. Im Gegenteil: Die Lehrlinge werden so gleich mit der Realität konfrontiert, finden die meisten. «Die Arbeitszeit ist auch Ausbildungszeit», sagt Berufsbildner und Landwirt Urs Ryf (49). Ändern lasse sich die Situation nicht. «Sonst bliebe meine Arbeit liegen. Andernfalls kann ich keine Lehrlinge mehr ausbilden», so Ryf.

Trotz harter Arbeit viele Lehrlinge

Trotz der schwierigen Bedingungen träumen anscheinend viele junge Schweizer von der Arbeit im Stall. So sind die Lehrlingszahlen in den letzten fünf Jahren gestiegen. Laut der Fachzeitschrift «Schweizer Bauer» machten 2017 insgesamt 3045 Personen die Ausbildung als Landwirt EFZ. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es 2731. Das entspricht einer Zunahme von 11,5 Prozent. Die Lehre dauert drei Jahre. Der Lohn ist dabei vom Kanton und Betrieb abhängig. Je nach Lehrjahr beträgt er in der Regel zwischen 1160 und 1690 Franken. Auf der Lehrstellen-Plattform Yousty.ch finden sich aktuell für 2018 noch 254 offene Lehrstellen für angehende Landwirte. 

Trotz der schwierigen Bedingungen träumen anscheinend viele junge Schweizer von der Arbeit im Stall. So sind die Lehrlingszahlen in den letzten fünf Jahren gestiegen. Laut der Fachzeitschrift «Schweizer Bauer» machten 2017 insgesamt 3045 Personen die Ausbildung als Landwirt EFZ. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es 2731. Das entspricht einer Zunahme von 11,5 Prozent. Die Lehre dauert drei Jahre. Der Lohn ist dabei vom Kanton und Betrieb abhängig. Je nach Lehrjahr beträgt er in der Regel zwischen 1160 und 1690 Franken. Auf der Lehrstellen-Plattform Yousty.ch finden sich aktuell für 2018 noch 254 offene Lehrstellen für angehende Landwirte. 

Nicht rütteln an den Arbeitsstunden will auch Bauernpräsident und Nationalrat Markus Ritter (50, CVP). «Die Ansprüche an die Lehrlinge sind hoch», sagt der Familienvater. Doch die 55 Arbeitsstundenwoche entspreche auf einem Viehwirtschaftsbetrieb nun mal der Realität. «Die Tiere brauchen ja auch am Wochenende Pflege», so Ritter, der selbst rund 70 Stunden die Woche arbeitet. Dafür biete der Beruf Vorteile: «Wir haben keine Arbeitswege und sind ständig bei den Familien», sagt Ritter. Und: «Kürzere Arbeitstage würden die umfangreiche Ausbildung in Frage stellen.» 

Alles andere als erfreut, ist die Gewerkschaft Unia. Sprecherin Leena Schmitter: «Es ist absurd zu sagen, dass es nicht anders geht. Diese Situation verletzt die Würde der Lehrlinge.»

*Name von der Redaktion geändert

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