Seit vier Tagen ist es die Strategie der Zürcher Justizdirektion: Schweigen. «Frühestens» Ende nächster Woche will Regierungsrat Martin Graf (Grüne) über den Fall Carlos informieren. Volle neun Tage also, die der Justizdirektor braucht, um sich die Enthüllungen der letzten Woche zu erklären:
Ein 17-jähriger Messerstecher, dem Grafs Amt für 29 000 Franken pro Monat eine 4,5-Zimmer-Wohnung, einen Privatlehrer, ein rund um die Uhr aktives, zehnköpfiges Betreuerteam sowie Thai-Box-Kurse beim – ebenfalls vorbestraften – zehnfachen Weltmeister bezahlt.
Der langjährige Leiter der Jugendanwaltschaft Hansueli Gürber, der mit seinen «Therapien» mehrere gewalttätige Teenager zu Kampfsportlern ausgebildet hat.
Ein Betreuerteam aus Sozialarbeitern, das den jungen Schlägern jeden Wunsch von den Augen abliest, deren Forderungen verständnisvoll abnickt und im Zweifel lieber das Portemonnaie zückt. Und ein empörtes Volk, das angesichts der Zustände im Justizwesen jegliches Verständnis für teure therapeutische Täterverhätschelungen zu verlieren droht.
Wie konnte es so weit kommen? Tatsächlich ist das Jugendstrafrecht seit Jahren umstritten. Mehr Sicherheit für die Bevölkerung fordern die einen. Mehr Therapien für Straftäter die anderen. Ob ein Messerstecher wie Carlos, der nach SonntagsBlick-Informationen bereits als Kind gewalttätig und gefährlich war (siehe Box unten), je ein normales Mitglied der Gesellschaft werden kann, darüber streiten die Experten bis heute.
Im Zweifelsfall entschied die Politik in den letzten Jahren für das Wohlergehen des Täters und den Ausbau der Sozialindustrie. Bereits 2009, nachdem der aktenkundige Gewalttäter Daniel H.* die 16-jährige Lucie Trezzini brutal ermordet hatte, forderte SVP-Nationalrätin Natalie Rickli in einer Interpellation eine Verschärfung des Umgangs mit gefährlichen Teenagern. Der Bundesrat befand: nicht nötig.
Im gleichen Jahr forderte Rickli von der damaligen Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), dass die Verwahrungspraxis «dringend» überprüft werden müsse. Wäre Lucies Mörder verwahrt gewesen, würde das Mädchen noch leben. Widmer-Schlumpf antwortete: nicht nötig.
2010 verlangten Nationalrat Hans Fehr (SVP) sowie 103 mitunterzeichnende Räte mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen junge Schläger. «Wird eine Massnahme angeordnet und kooperiert der jugendliche Täter nicht, so muss der Vollzug der Freiheitsstrafe auch in einem Gefängnis möglich sein», heisst es in der Motion. Dazu der Bundesrat: nicht nötig.
Das Vorgehen der Verantwortlichen ist stets dasselbe: Man verspricht «zu prüfen». Gibt teure «Analysen» in Auftrag. Spricht im Sozialjargon von «komplexen Persönlichkeitsstrukturen», «Risikofaktoren» und «therapeutischer Massnahmebedürftigkeit». Und am Ende heisst es: Ausser Spesen nichts gewesen.
Immerhin: Jetzt schaltet sich auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) in die Debatte ein. Gegenüber SonntagsBlick sagt sie: «Der zuständige Regierungsrat hat beim leitenden Oberjugendanwalt einen Bericht zum ‹Fall Carlos› verlangt.» Es werde sich nun zeigen, «ob und – wenn ja – welche Lehren zu ziehen sind. Und ob Anpassungen auf Stufe Vollzug oder auch in der Gesetzgebung angezeigt sind», so die Justizministerin weiter.
Grundsätzlich seien für den Straf- und Massnahmenvollzug jedoch «gemäss Bundesverfassung die Kantone zuständig», sagt Sommaruga.
Diese Zuständigkeit will der Zürcher Justizdirektor Martin Graf am kommenden Freitag wahrnehmen, wenn er nach langer Bedenkzeit seinen Bericht vorlegt.
*Name bekannt
Der durch einen SRF-Report landesweit bekannt gewordene Messerstecher Carlos ist in Zürich aufgewachsen und zur Schule gegangen –bis er mit elf Jahren zum ersten Mal aktenkundig wurde und ein Jahr später von der Schule flog. Der Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin hatte nach SonntagsBlick-Informationen seine Mitschüler terrorisiert, ihnen Zigaretten am Hals ausgedrückt, sie mit Steinen oder Eisklumpen beworfen und immer wieder Schlägereien angezettelt. Da der kleine Teufel auf sämtlichen Schulhausarealen des Stadtteils Hausverbot erhielt, musste für ihn schon früh eine Sonderbetreuung organisiert werden. Als Carlos einmal mit 13 Jahren trotz Verbot auf dem Pausenplatz auftauchte, seien sämtliche Schüler panikartig zurück ins Schulhaus gerannt, wo die Lehrer die Türen abschlossen und die Polizei riefen. Drei Kastenwagen voller Beamter seien nötig gewesen, um den jungen Schläger festzunehmen, erzählt die Mutter eines Mitschülers. Auch seine Nachbarn haben schlechte Erinnerungen. Schon mit neun Jahren habe Carlos begonnen, «Krawall zu machen». Einmal habe er mit seinem Luftgewehr aus dem Fenster geschossen. Die Einschusslöcher im Nachbarhaus sind bis heute sichtbar. Carlos warf Möbel aus dem Fenster und demolierte den Estrich der Wohnung – worauf die Familie ausziehen musste.
Der durch einen SRF-Report landesweit bekannt gewordene Messerstecher Carlos ist in Zürich aufgewachsen und zur Schule gegangen –bis er mit elf Jahren zum ersten Mal aktenkundig wurde und ein Jahr später von der Schule flog. Der Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin hatte nach SonntagsBlick-Informationen seine Mitschüler terrorisiert, ihnen Zigaretten am Hals ausgedrückt, sie mit Steinen oder Eisklumpen beworfen und immer wieder Schlägereien angezettelt. Da der kleine Teufel auf sämtlichen Schulhausarealen des Stadtteils Hausverbot erhielt, musste für ihn schon früh eine Sonderbetreuung organisiert werden. Als Carlos einmal mit 13 Jahren trotz Verbot auf dem Pausenplatz auftauchte, seien sämtliche Schüler panikartig zurück ins Schulhaus gerannt, wo die Lehrer die Türen abschlossen und die Polizei riefen. Drei Kastenwagen voller Beamter seien nötig gewesen, um den jungen Schläger festzunehmen, erzählt die Mutter eines Mitschülers. Auch seine Nachbarn haben schlechte Erinnerungen. Schon mit neun Jahren habe Carlos begonnen, «Krawall zu machen». Einmal habe er mit seinem Luftgewehr aus dem Fenster geschossen. Die Einschusslöcher im Nachbarhaus sind bis heute sichtbar. Carlos warf Möbel aus dem Fenster und demolierte den Estrich der Wohnung – worauf die Familie ausziehen musste.