150 Jahre Erstbesteigung
Ist das Matterhorn ein Afrikaner?

Eine Ode an den Berg, der wie kein anderer das Bild der Schweiz massgeblich mitbestimmt hat.
Publiziert: 14.07.2015 um 10:21 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:22 Uhr
Von René Lüchinger

Dieser Berg. «Ds Hore», wie ihn die Zermatter nennen. «Ds Horu», wie es im Oberwalliser Dialekt heisst. Das Horn also, welches da zwischen dem Kanton Wallis und der italienischen Region Aostatal majestätisch gen Himmel ragt. Jetzt wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt, weil vor exakt 150 Jahren eine Bergsteiger-Crew rund um den Briten Edward Whymper erstmals die Stille dort oben durchbrochen und einen Fuss auf den Gipfel gesetzt hat. Jetzt, zum Jubi-läum, darf der Berg immerhin für kurze Zeit wieder zur Stille des voralpinen Zeitalters zurückkehren.

Heute nämlich ist «Stille am Matterhorn» angesagt. Das Horn darf einen Tag lang von keinem Menschenfusse berührt werden – fast so, als wäre es ein vom Aussterben bedrohtes Tier. «Aus Respekt vor den über 500 Toten seit der Erstbesteigung», heisst es offiziell. Richtig ist: Der Berg hat viel aushalten müssen vom Menschen, seit er im Jahre 1581 als Mont Cervin erstmals urkundlich erwähnt worden ist.

Manche behaupten, der Berg  sei in Tat und Wahrheit ein eingewanderter Afrikaner und erklären das so: Vor rund vierzig Millionen Jahren sei es zum grossen Zusammenstoss der Kontinente Eurasien und Afrika gekommen. Dadurch wurden gewaltige Landmassen nach oben gedrückt und die Erosion legte schliesslich über die Jahrhunderte das Horn frei – das Matterhorn. Die beiden Platten laufen mitten durch den Berg und die Kräfte wirken heute noch: bis zu 1,5 Millimetern hebt sich das Gebiet pro Jahr und wird durch die Erosion gleichzeitig abgeschliffen.

Auch der Mensch reibt sich stets am Berg. 1871 betritt erstmals ein Damenfuss den Gipfel des Horns, eine junge Dame namens Lucy Walker, Tochter eines Bergführers. 1908 erfindet der Berner Schokoladenfabrikant Theodor Tobler eine Schokolade und macht aus ihr in Tat und Wahrheit ein Matterhorn: die Toblerone. Der Berg hat Literaten und Filmer immer inspiriert. 1927 etwa erscheint der Tatsachenroman «Der Kampf ums Matterhorn», geschrieben vom deutschen Schriftsteller Carl Haensel, basierend auf den

Tagebuchaufzeichnungen des Erstbesteigers Edward Whymper. Im Jahr darauf läuft der        gleichnamige Stummfilm zur Erstbesteigung. Für Luis Trenker wird das Berg-Drama zum Durchbruch als Schauspieler und Regisseur. Im mondänen Berlin der Goldenen Zwanziger läuft der Streifen endlose sieben Wochen lang. Die Karten sind derart begehrt, dass diese zeitweise auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden.

Zum 100-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung will der Mensch den Berg mit grossen Scheinwerfern anstrahlen. In der Schweiz verhindern dies die Bürger Zermatts, also kommt das gleissende Licht aus Italien. Am Fusse des Zmuttgrates entsteht 1997 ein rechteckiger, wenig romantischer Bau, bestehend aus lauter Alu-Platten: das Lonza-Biwak, Geschenk einer Chemiefirma.

Der Berg erträgt das alles stoisch. An ihm reiben sich schliesslich auch Europa und Afrika. Und dies auf ewig. 

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