12 Prozent mehr Langzeit-Arbeitslose – Reto Colognati (47) ist einer von ihnen
«Mit jedem Monat wird es schlimmer»

Seit Anfang Jahr ist Reto Colognati arbeitslos. Er ist leicht gehbehindert. Und wird regelmässig als Erster entlassen. Nun wird das Geld beim vierfachen Vater knapp. Er ist verzweifelt.
Publiziert: 11.10.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:41 Uhr
Spritzgusstechniker und Familienvater: Reto Colognati mit einem Stapel Absagen auf Bewerbungen. Seine Gehbehinderung werde ihm zum Verhängnis, glaubt er.
Foto: PHILIPPE ROSSIER
Patrik Berger

Mehr als 140'000 Menschen sind in der Schweiz arbeitslos, das hat der Bund gestern mitgeteilt. Die Arbeitslosenquote betrug Ende September 3,2 Prozent, gleich viel wie im August. Beunruhigend ist die Entwicklung bei den Langzeitarbeits­losen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg ihre Zahl um zwölf Prozent.

Hinter der Statistik stehen menschliche Schicksale. Wie jenes von Reto Colognati (47) aus Lohn SH. Der gelernte Elektrobauteilmonteur ist seit neun Monaten ohne Job. «Mit jedem Monat ohne Job wird es schlimmer. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft», sagt der Vater von vier Kindern.

Colognati hat sich auf eigene Kosten zum Spritzguss-Fachmann weitergebildet. Dennoch kassiert er bei Bewerbungen nur Absagen. In der ­Industrie ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch.

Doch bei Colognati kommt noch etwas dazu: Er ist körperlich leicht behindert. Bei der Geburt erhielt er zu wenig Sauerstoff. Erst mit drei Jahren konnte er laufen. Als Kind wurde er mehrfach an den Hüften operiert.

Ständig Absagen

Heute hinkt Colognati beim Gehen dank Spezialschuhen nur noch leicht. «Vor drei Wochen bin ich rund um den Greifensee gewandert. 23 Kilometer. Abends war ich müde. Aber fürs Selbstvertrauen war der Marsch Gold wert», sagt er.

Diese Selbstbestätigung kann Colognati gut gebrauchen. Denn bei Bewerbungsgesprächen kassiert er ständig Absagen: «Sobald der Chef sieht, dass ich leicht hinke, habe ich verloren.» Dabei hat der Schaffhauser bei Firmen wie Stadler Rail, Georg Fischer, IWC oder Rieter gearbeitet – und gezeigt, dass er es packt, wenn er die Chance dazu erhält.

Er ist teilinvalid, bekommt aber keine IV-Rente. Eine solche wird erst ab einem Behinderungsgrad von 40 Prozent ausgezahlt. Bei Colognati sind es nur 20 Prozent. «Ich will einfach nur arbeiten. Ich habe Stärken und Schwächen wie jeder andere ­Arbeiter auch. Ich bin nicht schwerstbehindert», sagt er.

Er sucht einen 100-Prozent-Job. Am liebsten wieder als Spritzguss-Techniker. «Aber ich bin offen für alles. Schichtdienst macht mir nichts aus. Auch am Wochenende steige ich in die Hosen, kein Problem», sagt er. «Ich würde auch meinen Wohnort wechseln.»

Denn: In Schaffhausen sei die Lage auf dem Stellenmarkt besonders angespannt. «Grenzgänger aus Deutschland arbeiten für 4000 Franken. Und leben damit zu Hause wie Könige.»

Das Ersparte ist aufgebraucht

Im Moment muss Colognati mit deutlich weniger auskommen: mit 3200 Franken monatlich. Grund dafür ist der tiefe Lohn des letzten Arbeitgebers. «Ich habe dort für 4000 Franken gearbeitet, weil ich froh war, dass ich einen Job hatte.»

Die lange Arbeitslosigkeit hat Folgen. Das Ersparte ist aufgebraucht – auch wenn Gattin Eva (36) Teilzeit im Verkauf arbeitet und 3000 Franken verdient. Beim Vermieter steht er mit 2300 Franken in der Kreide – für die Nebenkosten 2015.

«Wir prüfen deshalb den Gang aufs Sozialamt. Wenn sie uns wenigstens ein paar Monate lang bei der Miete unterstützen würden, hätten wir etwas Luft.» Zum Glück könne er im nahen Deutschland einkaufen. «So sparen wir monatlich ein paar Hundert Franken.»

«Behinderte trifft es immer zuerst, wenn irgendwo der Rotstift angesetzt wird»

Colognati ist nicht zum ersten Mal ohne Job. «Behinderte trifft es immer zuerst, wenn irgendwo der Rotstift angesetzt wird», sagt er. Die Vorurteile seien enorm. «Man denkt, dass ich Hilfe brauche oder mehr fehle als andere. Dabei war ich in all den Jahren nur ein Mal krank. Ich hatte eine Grippe, wie sie jeder haben kann.»

Die Situation setzt ihm zu. Zudem sei das Ganze auch eine Belastung für die Familie. «Die Kinder bekommen es mit, wenn der Papa Sorgen hat. Das tut mir weh.» Sohn Leandro (4) wolle im FC Fussball spielen. «Die 400 Franken Jahresbeitrag kann ich derzeit nicht bezahlen», sagt er. Er dürfe sich darum nicht gehen lassen: «Das bin ich den Kindern schuldig. Ich will ihnen ein Vorbild sein.»

Seine Hobbys lässt er sich aber nicht nehmen. Er spielt Dart bei den Sky Darters Schaffhausen. «Aber es ist frustrierend, wenn ich an ­einem Abend eine einzige Cola trinke. Und Kollegen locker für einen Hunderter konsumieren können.»

Zudem kontrolliert er an den Heimspielen des FC Schaffhausen die Tickets. «Das tut mir gut. Ich komme unter die Leute und vergesse den Job-Ärger.» Wenigstens bis zur nächsten Absage.

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