Rebekka Bärtsch wollte es kaum glauben. Ihr Sohn Frederik (3) hatte im Stadtbus Chur seinen Werkzeuggürtel verloren, den er im Sommer zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Zum Glück brachte ihn ein Passagier ins Büro der Stadtbus AG in Chur.
Doch anstatt den Gürtel dem Buben wieder auszuhändigen, verlangte man von der Mutter erst einmal Bares. «Für zehn Franken musste ich das Spielzeug zurückkaufen, sonst hätten sie mir es nicht zurückgegeben», sagt sie zu BLICK. «Als wäre es plötzlich nicht mehr unser Eigentum!»
Widerwillig hatte sie den Spielzeuggürtel freigekauft: «Frederik hängt sehr an seinem Werkzeug.» Dabei, so sagt Bärtsch, hätte sie für dieses Geld fast schon einen neuen Spielzeuggürtel kaufen können.
Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage
Die Churer Verkehrsbetriebe rechtfertigen die Forderung mit dem Aufwand, der bei der Bearbeitung von Fundgegenständen entstehe. Tatsächlich gleicht die Praxis des Stadtbusses in Chur aber einer Abzocke.
Denn laut Rechtsexperte Albert Romero dürfte die Stadtbus Chur AG keine pauschale Rückgabegebühr erheben. «Aus rechtlicher Sicht handelt es sich hier um einen Anstaltsfund – wer in einem Bus einen Gegenstand findet, muss ihn der Transportfirma übergeben und hat keinen Anspruch auf Finderlohn. Aber auch die Transportfirma hat keinen Anspruch darauf», so Romero.
Nur effektive Kosten, die im Zusammenhang mit dem Suchen nach dem Eigentümer entstehen – etwa, wenn die Kantonspolizei bei einem verlorenen Handy die SIM-Karte auswerten lassen muss – dürfen Kosten in Rechnung gestellt werden. Im Fall von Chur hält Romero den Betrag von zehn Franken für völlig übertrieben.
Die Praxis ist verbreitet
Die Stadtbus Chur AG ist nicht die einzige ÖV-Firma, die Kundinnen und Kunden mit solchen Gebühren pauschal abzockt. Auch die Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) erheben bei der Rückgabe von Fundsachen an ihre rechtmässigen Eigentümer eine Gebühr von zehn Franken pro Gegenstand.
Darauf angesprochen, dass es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, räumt VZO-Direktor Werner Trachsel ein, dass er das nicht gewusst habe. Daran festhalten will er trotzdem: «Wir haben diese Rückgabegebühr schon seit 40 Jahren», so Trachsel. Und überhaupt: Es habe noch nie deswegen Klagen gegeben.
Auch die Stadtbusse Winterthur erheben 15 Franken Gebühren, die SBB zwischen fünf (mit Abonnement) und 20 Franken. Alle drei Betriebe führen ebenfalls die Aufwände fürs Fundbüro als Rechtfertigung ins Feld.
«Seebus» erhebt keine Gebühren
Das es anders geht, zeigt der Seebus im Raum Rorschach-Goldach SG. Dort werden Fundgegenstände kostenlos zurückgegeben. Ebenso bei allen Busbetrieben, die Fundgegenstände den Kantonalen Fundbüros der Polizei übergeben. Etwa die Verkehrsbetriebe Luzern oder der StadtBus Frauenfeld.
Immerhin: Ralf Kollegger, Direktor der Stadtbus Chur AG, will die Praxis bei Fundsachen nach der BLICK-Anfrage überdenken. «Der Fall von Rebekka Bärtsch hat uns bewogen, künftig für Gegenstände von geringem Wert bis 20 Franken keine Gebühr mehr zu verlangen.»