Der Druck auf den Bundesrat wächst, der umstrittenen Corona-Polizeistunde ein Ende zu setzen. Egal ob Beiz, Bar oder Club: Spätestens um Mitternacht müssen die Lokale ihre Türen verriegeln. Daran hält der Bundesrat bis jetzt fest. Absolut unverständlich, findet Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (58). Doch nicht nur die Branche schüttelt den Kopf.
Rückendeckung bekommen die Wirte und Clubbetreiber von denen, die nebst den Betreibern selbst am stärksten betroffen sind: Städte und städtisch geprägte Kantone. «Die Schliessung um Mitternacht muss so schnell wie möglich aufgehoben werden», sagt Carmen Walker Späh (62), Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zürich. Eine «derart massive Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit» lasse sich aus epidemiologischer Sicht nicht mehr rechtfertigen. «Um existieren zu können, müssen Bars und Clubs über Mitternacht hinaus geöffnet bleiben können», sagt die FDP-Regierungsrätin.
Die heutige Regelung, so Walker Späh, führe zudem zu einer weiteren, nicht nachvollziehbaren Ungleichbehandlung. «Es kann ja nicht sein, dass man in den Casinos die ganze Nacht spielen und konsumieren darf, in einer Bar aber schon vor Mitternacht die letzte Runde ausgerufen werden muss.»
Die Party geht draussen weiter
Bereits Anfang Woche kritisch geäussert hat sich der Stadtberner CVP-Sicherheitsdirektor Reto Nause (48). Auch im Nachtleben sei es Zeit, statt auf Verbote auf die Eigenverantwortung der Partygänger zu setzen, sagte er zu watson.ch. Er plädiert nicht für eine vollständige Aufhebung, sondern eine Staffelung der Polizeistunde, damit nicht alle Nachtschwärmer auf einmal nach draussen strömen und auf der Strasse weiterfeiern.
Genau das beobachtete Alexander Bücheli (45) von der Bar & Club Kommission Zürich vergangenes Wochenende an der Zürcher Langstrasse. Die Partymeile sei um Mitternacht regelrecht «geflutet» worden, sagt er. «Die Party geht einfach draussen weiter – ohne Schutzkonzept.» Für die Rückverfolgung, zentraler Pfeiler der Corona-Strategie des Bundes, sei das kontraproduktiv, kritisiert Bücheli.
Gegner von links bis rechts
SP-Nationalrat Fabian Molina (29) sieht das gleich. Besonders stossend findet er aber einen anderen Aspekt. «Seit dem jüngsten Lockerungsschritt haben auch Bars und Clubs keinen Anspruch mehr auf finanzielle Hilfe. Gleichzeitig müssen sie zur Hauptbetriebszeit aber zu bleiben», so Molina. «Das treibt die Betriebe in den Ruin!»
Auch Parlamentarier am anderen Ende des politischen Spektrums fordern den Bundesrat zum Handeln auf. So zum Beispiel SVP-Nationalrätin und Gastronomin Esther Friedli (43). Auf eine Anfrage von ihr machte Bundesrat Alain Berset (48) der Branche und betroffenen Städten allerdings vorerst keine Hoffnung. Man erachte die Einschränkung als wichtig, sagte er Anfang Woche in der Fragestunde des Nationalrats. Denn je länger die Öffnungszeiten, desto grösser sei die Gefahr, dass die Abstandsregeln nicht mehr beachtet würden.
Ein Argument, das aus Sicht der Gegner der Polizeistunde zu kurz greift. Mit einem Brief an Bundesrat und Parlament hofft die Branche, die Regierung nun doch noch zum Umdenken zu bewegen. Und zwar schon vor dem nächsten geplanten Lockerungsschritt am 24. Juni.