Diese Zahlen schockieren die Schweiz. 3415 Franken soll ein Detailhändler im Kanton Zürich künftig monatlich verdienen. 3850 Franken ein Maschinenbauer.
So will es nicht etwa ein gieriger Geschäftemacher. Nein, diesen Mindestlohn schlägt das Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) in einem Vertragsentwurf vor. «Der Kanton Zürich legalisiert Lohndumping», ruft die Gewerkschaft Unia. AWA-Chef Bruno Sauter wollte dazu gestern erneut keine Stellung nehmen.
In den betroffenen Branchen jedoch sorgen die amtlich bewilligten Tiefstlöhne für Gesprächsbedarf. Zum Beispiel bei Raymond Schneider, 51. Seit 35 Jahren arbeitet er beim Zahnrad-Schleifmaschinen-Hersteller Reishauer in Wallisellen. Einst als Maschinenmechaniker, heute ist er Ausbildner und betreut 13 der insgesamt 50 Reishauer-Lehrlinge.
Schneider ist enttäuscht vom AWA-Mindestlohnvorschlag. Er fürchtet, dass der vorgesehene Mindestlohn der Branche mehr schaden als nützen könnte. Aus zwei Gründen: «Erstens ist ein Mindestlohn von 3850 Franken so tief, dass er sogar eine negative Dynamik auslösen könnte.» Die untersten Einkommen im Maschinenbau könnten noch sinken. «Der Kanton torpediert die heutigen Löhne», so Schneider.
Zweitens finde er es sehr problematisch, dass Alter, Ausbildung und Berufserfahrung bei diesem Lohn nicht honoriert würden. «Wenn unsere Lehrlinge hören, dass sie keinen besseren Mindestlohn erhalten als Ungelernte, dann fragen die sich doch, warum sie diese Ausbildung machen. Das kann sehr demotivierend sein.»
Kritik am Kanton Zürich übt auch Soziologe und Armutsforscher Ueli Mäder von der Universität Basel. «Die vorgesehenen Löhne sind eindeutig zu tief. Es ist absurd, wenn eine Vollzeitstelle nicht mehr ein volles Auskommen ermöglicht.»
Für Mäder ist klar, dass sich höhere Mindestlöhne auch in einer gesamtgesellschaftlichen Rechnung ausbezahlen. «Je tiefer die Einkommen, desto grösser die Existenzangst, der Stress und die Beeinträchtigung der Gesundheit. Das ist für die Betroffenen mit Leid verbunden, kommt aber auch die Gesellschaft teuer zu stehen», so Mäder.