Zoff ums EU-Rahmenabkommen
Economiesuisse legt sich mit Martullo-Blocher an

Mit Fakten will der Wirtschaftsdachverband gegen Fake News zum Rahmenabkommen vorgehen. Und legt sich damit mit seinem prominentesten Vorstandsmitglied an – Magdalena Martullo-Blocher.
Publiziert: 30.07.2019 um 08:21 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2019 um 17:05 Uhr
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Dürfen wir nur noch im Sommer schwimmen?
Foto: Daniel Ammann
Sermîn Faki

Das Rahmenabkommen mit der EU hat es schwer in der Schweiz. Die Linken fürchten, dass Brüssel künftig Schweizer Löhne drückt. Der bürgerlichen Mitte sind die Unionsbürgerschaft und das Verbot von staatlichen Beihilfen ein Dorn im Auge. Und die SVP will sowieso nichts wissen vom «Knebelvertrag».

Vorbehaltlos für eine Unterzeichnung sprechen sich nur die Grünliberalen aus. Und seit neustem auch wieder Economiesuisse. Noch vor Monaten hatte der Wirtschaftsdachverband zähneknirschend «Ja, aber» gesagt. Nun aber weibelt Economiesuisse nahezu begeistert für das Abkommen.

Falsche Behauptungen widerlegen

In einer Online-Kampagne werfen sie den Kritikern vor, falsche Behauptungen zu verbreiten. Beispielsweise, dass Hallenbäder oder der soziale Wohnungsbau nicht mehr subventioniert werden dürften, wenn der Rahmenvertrag unterzeichnet ist. Weil die EU nämlich sogenannte staatliche Beihilfen verbietet. Unter dem Titel «Dürfen wir nur noch im Sommer schwimmen?» widerlegt Economiesuisse diese Behauptung – sagt sie jedenfalls.

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Sowohl Hallenbäder als auch sozialer Wohnungsbau dürften auch künftig subventioniert werden – weil das Verbot von staatlichen Beihilfen nur im Rahmen von Verträgen angewendet werden darf, die einen gemeinsamen Binnenmarkt definieren: Personenfreizügigkeit, Landwirtschaft oder Land- und Luftverkehr zum Beispiel. «Es gibt keinen europäischen Markt für Hallenbäder», so Economiesuisse lapidar.

Versteckter Angriff auf Martullo-Blocher?

Pikant: Damit widerspricht Economiesuisse seinem bekanntesten Vorstandsmitglied, Magdalena Martullo-Blocher (49). Die Ems-Chefin und SVP-Nationalrätin warnt seit Monaten, dass das Rahmenabkommen über die Beihilfe-Regelung einschneidend in unser Wirtschaftssystem» eingreife.

Das sind staatliche Beihilfen

Arbeitsplätze dank Steuervergünstigungen – Alltag in der Schweiz. Um Unternehmen anzusiedeln, können die Kantone ihnen entgegenkommen – und den Firmen etwa für ein paar Jahre die Gewinnsteuern erlassen.

Solche und andere Vehikel sind Brüssel ein Dorn im Auge – denn in der EU sind solche staatlichen Vergünstigungen im Prinzip verboten. Denn die «Staatsbeihilfen» behindern den Wettbewerb. Deshalb drängt die EU darauf, dass sich die Schweiz hier zurückhält. Es geht nicht nur um Wirtschaftsförderung – sondern auch um die Staatsgarantie für Kantonalbanken, Landwirtschaftssubventionen und gar um die Förderung von Jugendherbergen – wie das Land Berlin unlängst erfahren musste.

Mit Abschluss des Rahmenabkommens könnten viele staatlichen Beihilfen, wie sie die Schweiz kennt, unter Druck geraten. Im Moment zwar sind die Auswirkungen auf sehr wenige Bereiche begrenzt. Doch wenn die EU und die Schweiz das Freihandelsabkommen von 1972 modernisieren, könnte sich das ändern. Und just zu dieser Modernisierung verpflichten sich beide Parteien im Rahmenabkommen. (sf)

Arbeitsplätze dank Steuervergünstigungen – Alltag in der Schweiz. Um Unternehmen anzusiedeln, können die Kantone ihnen entgegenkommen – und den Firmen etwa für ein paar Jahre die Gewinnsteuern erlassen.

Solche und andere Vehikel sind Brüssel ein Dorn im Auge – denn in der EU sind solche staatlichen Vergünstigungen im Prinzip verboten. Denn die «Staatsbeihilfen» behindern den Wettbewerb. Deshalb drängt die EU darauf, dass sich die Schweiz hier zurückhält. Es geht nicht nur um Wirtschaftsförderung – sondern auch um die Staatsgarantie für Kantonalbanken, Landwirtschaftssubventionen und gar um die Förderung von Jugendherbergen – wie das Land Berlin unlängst erfahren musste.

Mit Abschluss des Rahmenabkommens könnten viele staatlichen Beihilfen, wie sie die Schweiz kennt, unter Druck geraten. Im Moment zwar sind die Auswirkungen auf sehr wenige Bereiche begrenzt. Doch wenn die EU und die Schweiz das Freihandelsabkommen von 1972 modernisieren, könnte sich das ändern. Und just zu dieser Modernisierung verpflichten sich beide Parteien im Rahmenabkommen. (sf)

«Sie verbietet dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden, für Unternehmen bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, als sie in Europa gelten», sagte sie etwa im März gegenüber der «Schweiz am Wochenende». Und sie illustrierte das just mit dem Beispiel Schwimmbad.

Martullo kontert

Fake News? Martullo widerspricht: «Gemäss einem Beschluss der Europäischen Kommission von 2014 fallen Schwimm- und Thermalbäder unter das Verbot der staatlichen Beihilfen der EU», sagt sie mit Verweis auf einen konkreten Fall aus dem bayerischen Ort Kochel am See. Dort subventionieren die Gemeinde und der Freistaat Bayern das Schwimmbad. Zwei Schweizer Gutachten würden das bestätigen.

Gleiches gelte für den sozialen Wohnungsbau: So fürchtet der Mieterverband, dass staatliche Wohnbauförderung künftig als unzulässige Beihilfe angesehen werden könnte. Eine Angst, die Rechtsexperten als berechtigt ansehen – insbesondere, wenn die EU wie im Rahmenabkommen angekündigt eine Modernisierung des Freihandelsabkommens von 1972 anstrebt.

Kantone pochen auf klare Regeln

Economiesuisse hingegen bleibt dabei: Das Schwimmbad-Gutachten sei zum einen veraltet und lege zum anderen eine falsche Fährte: «Auf der Basis einer theoretischen Annahme wird der falsche Eindruck gemacht, dass Hallenbäder nach Beihilferecht nicht mehr staatlich unterstützt werden könnten. Diesen Schluss haben zwar viele Leser gezogen, er ist jedoch falsch.»

Die Kantone sehen das anders. Sie haben den Bundesrat Ende März nochmals gedrängt, dass er sicherstellt, dass die Schweiz die EU-Regelung nicht übernehmen muss. «Die allgemeine Wirkung von Beihilferegeln lehnen die Kantone ab», heisst es in der Stellungnahme deutsch und deutlich.

Präzisierungen tun Not

Das Beispiel der Beihilfen zeigt nur eines eindeutig: Präzisierungen tun Not. Denn wenn derart einfache Dinge, wie die Subventionierung eines Hallenbads unklar sind, ist der Rahmenvertrag chancenlos. An der Urne entscheiden sich die Bürger nämlich für den bekannten und deshalb sicherer scheinenden Weg und gegen Neuerungen, die Ungewisses bringen.

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