Zoff um den Landesstreik – Christoph Blocher will den Soldaten von 1918 danken
Angriff auf linken Mythos

Christoph Blocher will den Soldaten von 1918 danken. Anders als bei den Genossen stehen für Blocher aber nicht die sozialen Errungenschaften im Vordergrund. Er wolle «den tapferen Soldaten und dem standhaften Bürgertum seinen Dank aussprechen».
Publiziert: 04.02.2018 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:26 Uhr
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Christoph Blocher dirigiert auf dem Albisgüetli die Zürcher Kavalleriemusik.
Foto: Thomas Meier
Marcel Odermatt und Simon Marti

Am Donnerstag erlebt der Erinnerungsreigen aus Anlass des Landesstreiks vor 100 Jahren seinen ersten Höhepunkt: SRF strahlt die aufwendige Doku-Fiktion «Generalstreik 1918 – die Schweiz am Rande ­eines Bürgerkrieges» aus.

Während Linke und Gewerkschaften seit Wochen versuchen, die Arbeitsniederlegung der 250'000 als Grundstein des modernen Sozialstaats zu mystifizieren, tüftelt jetzt auch die Rechte daran, wie sie der grössten politischen Krise in der Geschichte des Bundesstaats ihren Stempel aufdrücken könnte.

Wie SonntagsBlick erfahren hat, greift SVP-Chefdirigent Christoph Blocher (77) persönlich ins Geschehen ein. Am 14. November, just zum Enddatum des Streiks, der vier Todesopfer forderte, plant er einen Grossanlass. Dabei sollen Soldaten in Weltkriegsuniformen auftreten; er selbst will eine Rede halten. Anders als bei den Genossen stehen für Blocher aber nicht die sozialen Errungenschaften im Vordergrund. Er wolle «den tapferen Soldaten und dem standhaften Bürgertum seinen Dank aussprechen», wie es aus seinem Umfeld heisst.

1918 hatte die Landesregierung die Armee gegen die Streikenden mobilisiert. Bewaffnete Schweizer Soldaten standen Schweizer Arbeitern und Angestellten gegenüber, die bürgerliche Eidgenossenschaft sah sich am Rande des Bürgerkriegs. Nach drei Tagen brachen die Arbeiter den Streik ab. Aus Sicht der SVP war es ein Sieg. Christian Koller (46), Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs und Titularprofessor für Geschichte an der Universität Zürich, ist nicht überrascht, dass die SVP sich auf den Landesstreik stürzt. «In den letzten Jahren geschah jeweils Ähnliches», so der Historiker. Diese «Zeit der starken Polarisierung» spiele in der Parteigeschichte der SVP eine zentrale Rolle. Die Bauernpar­teien, Vorläufer der modernen SVP, entstanden unmittelbar vor dem Landesstreik.

«Bürgerkrieger»

Kein Wunder also, dass sich Blocher dieser dramatischen Episode der Landesgeschichte zuwendet. Bereits zu Jahresbeginn hielt er einen Vortrag über den legendären Arbeiterführer Robert Grimm (1881–1958), einen langjährigen SP-Politiker und wichtigen Anführer des Streiks von 1918. Für den SVP-Vordenker ist Grimm schlicht ein «Bürgerkrieger» der nach sowjetischem Vorbild eine «Diktatur des Proletariats» in der Schweiz habe errichten wollen.

Das Referat des SVP-Vordenkers gibt einen Vorgeschmack auf die Stossrichtung des für kommenden Herbst geplanten Aufmarschs: «Was Christoph Blocher über Robert Grimm erzählt, ist alles andere als neu», sagt Historiker Koller. Der Vorwurf, Grimm habe einen Bürgerkrieg provozieren wollen, sei schon vor 100 Jahren erhoben worden. «Tatsächlich taucht der Begriff in einer Art Auslegeordnung der Streikführer auf, wurde aber gestrichen.» Zudem habe just diese Arbeiter-Avantgarde den Streikabbruch mit der Gefahr eines Bürgerkriegs gerechtfertigt. Die These, wonach Grimm und Co. eine Revolution herbeiführen wollten, «ist eigentlich seit den 1950er- und 60er-Jahren überholt», so Koller.

Ein weiterer Krach um die Geschichte des Landes

Der SVP gehe es wohl darum, intern die Reihen zu schliessen. «Die Partei bezieht eine klare Gegenposition zur SP und den Gewerkschaften, die den Landesstreik und den Forderungskatalog der Arbeiter als Blaupause für den sozialen Fortschritt im 20. Jahrhundert interpretieren.» Der profunde Kenner der Ereignisse seziert aber auch die linke Mythenbildung rund um die schicksalhaften Tage im November 1918: «Die Einführung der AHV, das Frauenstimmrecht und vor allem die 48-Stunden-Woche waren traditionelle Forderungen der ­Arbeiterbewegung, die nicht erst im Landesstreik erhoben wurden.»

Nun rollt also ein weiterer Krach um die Geschichte auf das Land zu. Die SVP hat in so etwas Übung.
Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Blocher die Geschichtsschreibung mitbestimmen will. Unvergessen ist sein Auftritt 2005 ins Rafz ZH zum 60-jährigen Ende des Zweiten Weltkriegs. Damals warnte er noch als Bundesrat vor der Auflösung von Grenzen, implizit vor einem Ja zur anstehenden Schengen-Abstimmung: Der Entscheid des Bundesrats zu dieser Vorlage sei keineswegs einstimmig gefallen, der Bundesrat stehe nicht geschlossen hinter Schengen, raunte er.

Ob nachrichtenlose Vermögen, Weltkriegsdebatte, die Schlacht bei Marignano oder jetzt beim Landesstreik 1918: Der Jurist Blocher lässt keine Möglichkeit aus, um bei der Bewertung wichtiger Ereignisse in der Schweizer Geschichte mitzureden.

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