Bundesrat Ignazio Cassis (58, FDP) richtet die Entwicklungshilfe neu aus. Und keine Personalie bringt dies treffender auf den Punkt als die des neu ernannten Vizechefs der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), Christian Frutiger. Der 53-Jährige war zuvor Cheflobbyist des Nahrungsmittelmultis Nestlé.
Frutiger steht für eine Strategie, die das Aussendepartement (EDA) in den kommenden Jahren forcieren will: die Kooperation mit Konzernen.
Künftig will der Bund bei Projekten häufiger Partnerschaften mit der Privatwirtschaft eingehen, um Firmen mit attraktiven Krediten oder Garantien dafür zu begeistern, sich an der Unterstützung der Ärmsten dieser Welt zu beteiligen – Entwicklungshilfe als Renditeobjekt.
Hilfswerke und Ökonomen sind skeptisch
Doch die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor hat Tücken. Nicht nur sind viele Hilfswerke und Ökonomen skeptisch, auch departementsintern sorgen die Pläne für Unruhe.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz konnte SonntagsBlick einen vertraulichen Inspektionsbericht des EDA einsehen. Das 35-seitige Dokument, datiert auf den 20. Juni 2019, hält fest: «Es existiert bisher keine offizielle Strategie über die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor.»
Mehr noch: Bisher angedachte Konzepte der Deza müssten hinsichtlich Kosten, Kontrolle und allfälliger Reputationsrisiken überdacht werden.
Knirschen im Gebälk
Für Zoff sorgt vor allem der Punkt «Finanzmarktorientierte» Projekte eines Konzeptpapiers, das die Deza-Direktion bereits abgesegnet hat. Demnach soll das Management solcher humanitären Programme, für die der Bund Darlehen oder Garantien an private Firmen vergibt, an eine externe Gesellschaft ausgelagert werden. Dies vor allem deshalb, weil nur so Finanzmarktspezialisten zu «branchenüblichen» Salären angestellt werden könnten. Bankerlöhne für Entwicklungshilfe.
Die EDA-Inspektoren jedoch machen der Deza jetzt einen Strich durch die Rechnung – zumindest fürs Erste. In ihrem Prüfbericht warnen sie: «Eine Anstellung von Bankern mit hohen Salären in einer AG in Zusammenhang mit Entwicklungshilfegeldern könnte auch mögliche Reputationsrisiken für das EDA bedeuten.»
Modernisierung «unvermeidlich»
Die Kritik der Inspektoren hatte bereits Folgen: Auf Anfrage von SonntagsBlick sagt EDA-Sprecher Tilman Renz: «Die Deza hat sich vorerst gegen die Schaffung einer neuen Projektstruktur entschieden.» Sie strebe nun an, für die Förderung des Privatsektors auf bereits bestehende Strukturen zu setzen.
Renz räumt ein, dass es im Zuge der Modernisierung der Schweizer Entwicklungshilfe «unvermeidlich» sei, dass es zu einem «Knirschen im Gebälk» komme. Dies «im Sinne von Lerneffekten, Anpassungen und Verbesserungen der Systeme».
Vorerst keine Partnerschaften
Wie hoch man im EDA den Handlungsbedarf einschätzt, zeigt eine weitere Massnahme. Für einen Teil der Kooperationsprojekte mit der Privatwirtschaft – solche «mit potenziell höheren Risiken» – wurde gemäss Renz ein Moratorium verfügt.
Solange bei der Deza keine professionelle Lösung für die Handhabung solcher Finanzierungsmodelle existiert, werden in sensiblen Bereichen also entgegen der Strategie von Cassis vorerst keine Partnerschaften mit Privaten mehr eingegangen.
Unklar bleibt, welche Projekte genau von dieser Massnahme betroffen sind. Infrage kommen wohl Partnerschaften, wie der Bund etwa in Mexiko eine eingegangen ist. Dort spannte die Deza mit einem ehemaligen CS-Banker zusammen und investierte Millionen in eine private Firma, welche Behandlungen für Zuckerkranke anbietet – und damit auf eine marktübliche Rendite zielt.