«Wenn Sie mit mir Russisch sprechen wollen, dann bitte langsam und in einfachen Worten!», unterbricht Yves Rossier (50) auf Russisch eine Frau ganz hinten im Saal, die eine Frage stellen will. Der Sprachunterricht komme neben der Arbeit leider etwas zu kurz, erklärt er später. Rossier, ehemaliger Staatssekretär im Aussendepartement, ist seit zwei Jahren Schweizer Botschafter in Moskau. Die Tage um Ostern verbringt er in der Schweiz, um seine Kinder zu besuchen – und einige berufliche Termine wahrzunehmen. Einer davon führt in einen Konferenzsaal nahe der Zürcher Bahnhofstrasse, wo die Handelskammer Schweiz–Russland zur Diskussion geladen hat. Nach der Veranstaltung trifft BLICK Rossier bei einem Espresso zum Interview.
BLICK: Gut die Hälfte Ihrer vierjährigen Amtsdauer als Schweizer Vertreter in Moskau ist um. Wie gefällt Ihnen das Botschafterleben?
Yves Rossier: Mir gefällt es, in Russland zu sein! Das Land ist faszinierend, die Leute sind extrem wohlwollend und offen. Ich schätze die menschliche Wärme der Russen. Meine Amtszeit fällt zudem in eine interessante Zeit. Interessant, weil es eine schwierige Periode ist. Es ist nicht der beste Moment für Russland und für Europa. Aber es ist ein sehr guter Moment, um Botschafter in Russland zu sein.
Die Beziehung zwischen Russland und dem Westen ist so angespannt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Wie beurteilen Sie die Situation?
Das schwierige Verhältnis, das wir heute haben, basiert auf vielen verpassten Gelegenheiten. Jede Partei ist der anderen schon einen Schritt entgegengekommen, aber die Annäherung war nie gleichzeitig. Als Europa die Hand ausstreckte, zog Russland seine zurück – und umgekehrt. Ich hoffe einfach, dass es einmal so weit kommen wird, dass beide gleichzeitig die Hände ausstrecken.
In welcher Position befindet sich die Schweiz?
Unser Vorteil ist gleichzeitig unsere Schwierigkeit: Wir haben eine unabhängige Aussenpolitik. Das heisst, dass wir das tun, was wir für richtig halten. Dafür müssen wir dann aber auch einstehen und können uns nicht hinter anderen verstecken. Das ist gut – aber nicht immer einfach.
Der Hackerangriff auf das Chemiewaffenlabor Spiez, versuchte Spionage bei der Welt-Antidoping-Agentur in Lausanne: Auch die Schweiz selbst geriet unlängst ins Visier russischer Geheimdienstaktivitäten. Hat Sie das überrascht?
Die Lage wurde immer schwieriger, überall. Einmal musste es uns treffen. Ich finde, wir haben richtig reagiert, indem wir Klartext gesprochen, den russischen Botschafter einbestellt und die Kontrollen beim Zugang russischer Diplomaten verstärkt haben. Das war nicht einfach. Aber ich glaube, die Konfrontation hat sich gelohnt. Heute ist die Beziehung der Schweiz zu Russland gut. Ja, ich würde sogar sagen: besser als vorher. In diesem Sinne war die Krise sogar günstig.
Beschönigen Sie da nicht etwas?
Nein! Es hat uns die Möglichkeit gegeben, mit Leuten zu sprechen, zu denen wir sonst keinen Zugang haben, und unseren Standpunkt besser zu erklären. Aber wir haben natürlich auch selbst einstecken müssen. Während Monaten fehlten mir drei von neun Diplomaten, weil ihnen Russland als Gegenmassnahme die Einreise verweigerte. Wir mussten alle Mehrarbeit leisten, damit der Betrieb weiterlief.
Sie wurden vom russischen Aussenministerium einbestellt. Wie muss man sich diese Konfrontation vorstellen?
Dazu kann ich mich wirklich nicht äussern. Ich kann nur sagen, dass ich den Europadirektor, den ich da getroffen habe, gut kenne. Wir sind Freunde – auch noch nach diesem Gespräch.
Sie sind eigentlich nicht dafür bekannt, Wogen zu glätten – sondern eher Wellen zu schlagen. In Bern sorgte das immer wieder für Irritation und Kritik. Kommen die Russen besser zurecht mit Ihrer direkten Art?
Ich war sieben Jahre Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen. In dieser Funktion haben meine Mitarbeiter und ich viele Gesetzestexte durchs Parlament gebracht. Das geht nicht, wenn man keine Wogen glätten kann. Aber ja, was meine Art zu sprechen betrifft, kommen mir die Russen tatsächlich entgegen: Sie sprechen auch sehr gerne Klartext und nehmen es nicht gleich persönlich.
Wie oft haben Sie eigentlich schon mit Präsident Wladimir Putin gesprochen?
Zweimal. Aber das ist nicht mein Job. Er ist der Präsident, ich bin nur ein kleiner Botschafter – also bitte schön, er hat Wichtigeres zu tun! Die erste Begegnung hatten wir, als ich das Amt antrat. Ich war sehr beeindruckt, wie gut er Deutsch spricht. Ab und zu hat er ein Wort gesucht, aber Grammatik und Satzstellung waren einwandfrei.
Bevor Sie nach Moskau gingen, waren Sie Staatssekretär und von 2012 bis 2014 der erste Chefunterhändler für das Rahmenabkommen mit der EU. Wie eng verfolgen Sie die Diskussionen in der Schweiz noch mit?
Wenn ich Zeit habe, lese ich die Presse. Meistens am Wochenende.
Und wie ist Ihre Laune bei der Lektüre?
Ich kenne keine Seelenzustände, ich bin ein Beamter.
Ihr Nachfolger Roberto Balzaretti sei «die maximale Fehlbesetzung», wird kritisiert. Haben Sie ein Déja-vu? Die Kritik an Ihnen klang damals ganz ähnlich.
Die Kritik an ihm ist sehr unfair. Roberto Balzaretti ist ein guter Typ, er macht einen guten Job. Aber Mitleid habe ich nicht. Wenn man keine Kritik einstecken kann, muss man diese Art von Job nicht machen.
Nach jahrelangen Verhandlungen liegt nun ein Abkommen auf dem Tisch. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Dazu will und kann ich nichts sagen.
Was halten Sie von der Strategie des Bundesrats, erst eine Konsultation durchzuführen statt selbst Position zu beziehen?
Auch dazu sage ich nichts. Ich äussere mich ganz bestimmt nicht zu Dingen, die mich nichts mehr angehen. Ich bin jetzt in Moskau.
Gut, dann lassen Sie uns über etwas weniger Heikles sprechen. Wie wärs mit Sport? Verfolgen Sie von Moskau aus noch die Spiele Ihres Lieblingsvereins Fribourg-Gottéron?
Es kommt immer darauf an, ob Gottéron gewinnt oder nicht. Wenn sie siegen, schaue ich mir die Goals nachher jeweils auf Blick.ch an. Wenn sie verlieren, tue ich mir die Zusammenfassung nicht an. Diese Saison war miserabel.
In zwei Jahren müssen Sie den Botschafterposten in Moskau abgeben. Wohin verschlägt es Herrn Rossier dann?
Ich werde an einem anderen Ort Botschafter. Wo, das weiss ich noch nicht. Hauptsache, es ist kein ruhiger Posten.
Yves Rossier (58) ist seit Februar 2017 Schweizer Botschafter in Russland. Der studierte Jurist aus dem Kanton Freiburg war einst Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen und persönlicher Mitarbeiter der Bundesräte Pascal Delamuraz (†62) und Pascal Couchepin (77). 2012 wurde er zum Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ernannt und war in dieser Funktion bis 2014 für die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen zuständig.
Mit seiner direkten, zuweilen forschen Art eckte der zweithöchste Schweizer Diplomat auch an. Besonders eine Äusserung in einem Interview sorgte für Ungemach: «Ja, es sind fremde Richter, es geht auch um fremdes Recht», sagte Rossier 2013 in Bezug auf den Streitschlichtungsmechanismus beim institutionellen Abkommen. Rossier wurde in der Folge schrittweise entmachtet. 2016 bat er um Versetzung in den Botschafterdienst.
Yves Rossier (58) ist seit Februar 2017 Schweizer Botschafter in Russland. Der studierte Jurist aus dem Kanton Freiburg war einst Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen und persönlicher Mitarbeiter der Bundesräte Pascal Delamuraz (†62) und Pascal Couchepin (77). 2012 wurde er zum Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ernannt und war in dieser Funktion bis 2014 für die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen zuständig.
Mit seiner direkten, zuweilen forschen Art eckte der zweithöchste Schweizer Diplomat auch an. Besonders eine Äusserung in einem Interview sorgte für Ungemach: «Ja, es sind fremde Richter, es geht auch um fremdes Recht», sagte Rossier 2013 in Bezug auf den Streitschlichtungsmechanismus beim institutionellen Abkommen. Rossier wurde in der Folge schrittweise entmachtet. 2016 bat er um Versetzung in den Botschafterdienst.