Die Schweiz will beim Rahmenvertrag mit der EU weiterdiskutieren. Brüssel aber hat ein Ultimatum bis Dienstag gestellt. Zu Recht? Wolfgang Dietz: Es gibt immer Momente, in denen man springen muss und mit «ja» und «aber» nicht mehr viel zu gewinnen ist. Ob das in den nächsten Tagen der Fall sein wird, wissen die Teilnehmer am Verhandlungstisch am besten.
Und was ist Ihre Meinung?
Wolfgang Dietz: Ein wichtiger Faktor ist, dass wir eine auslaufende EU-Kommission haben: Präsident Jean-Claude Juncker will Ende Oktober aufhören. Dass eine neue Kommission sich des Themas Schweiz mit der gleichen Herzenstiefe annimmt wie das Kabinett Juncker, glaube ich nicht. Als Luxemburger hat der EU-Chef grosses Verständnis für die Rolle kleinerer Mitgliedstaaten in Europa. Er kennt zwar diese unmittelbare, konstitutionelle Demokratie auch nicht, wie die Schweizer sie pflegen. Aber er weiss, wie es ist, sehr nahe am Bürger zu stehen.
Was halten Sie vom Rahmenvertrag?
Ich persönlich halte es für richtig und gut, dass es dieses Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU geben wird. Allein die Betrachtung der Landkarte und der Wirtschaftsströme zeigt doch klar, dass es ein hohes gegenseitiges Interesse für einen solchen Vertrag geben muss.
Sie haben das Bundesland Baden-Württemberg in Brüssel vertreten und kennen die Schweizer Verhältnisse bestens. Haben Sie Verständnis für das Vorgehen des Bundesrats?
Ja, zumindest für die inhaltliche Seite. Der Schutz vor Lohndumping ist zweifellos ein berechtigtes Thema, wenn man sich die Lohndifferenzen zwischen der Schweiz und Deutschland anschaut. Umgekehrt ist es für uns Grenzländer sehr schwierig, manche Bedingungen zu erfüllen, die da von der Schweizer Linken gefordert werden.
Wolfgang Dietz (CDU, 63) ist seit bald 20 Jahren unangefochtener Oberbürgermeister der südbadischen Stadt Weil am Rhein, die unmittelbar im Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich liegt. Der Jurist vertrat zuvor während 13 Jahren das Land Baden-Württemberg in Brüssel. Dietz ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Wolfgang Dietz (CDU, 63) ist seit bald 20 Jahren unangefochtener Oberbürgermeister der südbadischen Stadt Weil am Rhein, die unmittelbar im Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich liegt. Der Jurist vertrat zuvor während 13 Jahren das Land Baden-Württemberg in Brüssel. Dietz ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Kein Nachgeben bei den flankierenden Massnahmen also?
Man muss sich das immer ganz praktisch vor Augen führen: Da liefert ein Weiler Handwerksmeister eine Waschmaschine nach Basel. Die hat dann plötzlich einen Schaden, und jemand muss zur Reparatur vorbei. Jetzt soll sich der Deutsche acht Tage vorher anmelden, dass er an dem und dem Tag, um die und die Uhrzeit und mit dem und dem Gesellen in Basel auftaucht. Das ist doch im modernen Wirtschaftsleben einfach nicht realisierbar! Solche Fristen und Formalitäten behindern den wirtschaftlichen Austausch, und es soll mir keiner sagen, dass in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr Flexibilität möglich ist.
Wie könnte eine Lösung aus EU-Sicht aussehen?
Es braucht kürzere Fristen und Nachgenehmigungsmöglichkeiten.
Was geschieht am kommenden Dienstag, wenn die Frist abläuft?
Als ich 1987 zum ersten Mal nach Brüssel kam, habe ich gelernt, dass um Mitternacht die Zeit nicht zu Ende ist. Es gibt da eine berühmte Tradition: Man hält die Uhren an.
Sie gehen nicht von einer schnellen Einigung aus?
Wenn jetzt von der EU Ultimaten gestellt werden und man vom möglichen Scheitern spricht, dann gehört das zum üblichen Handwerkskasten der Politik. Ich würde mir nur wünschen, dass die Schweiz die Grössenordnung des Problems erkennt. Die EU hat namentlich mit dem Thema Brexit einen viel dickeren Tanker vor der Flinte.
Die Schweiz muss also nachgeben, wenn sie das Abkommen will?
Bei aller Wertschätzung und Bewunderung für die Schweiz: Sie muss auch immer ihre eigene Grösse kennen. Ich weiss natürlich nicht, was die Damen und Herren Verhandler noch in der Hinterhand haben. Da hat doch jeder einen Schwarzen Peter oder irgendeine Leiche im Keller ...
Was könnte das sein?
Steuerrechtliche Geschichten zum Beispiel. Nur Jodeln auf dem Matterhorn wird der Schweiz jetzt jedenfalls nichts nützen ...
Die EU könnte auch einfach hart bleiben?
Ja.
Dann war die Euphorie vergangene Woche in der Schweiz zu gross?
Da gibt es jetzt einige, die etwas in die Speichen des Rades halten und gleichzeitig daran drehen. Auch im Bundesrat gibt es anscheinend einen Machtkampf. Aber am Ende des Tages – und da bewundere ich die Schweizer – wissen sie, wie die Situation realistisch aussieht. Und man wird schauen, wie man das Gesicht wahren und einschwenken kann. Das ist bei uns in Deutschland leider etwas verloren gegangen: Wir lieben das Ideologische, Unnachgiebige.