Alban Rudaj (38) war sich sicher, dass er keine Chance hatte. Dass sein Name ein Problem wäre. Doch am 25. April 2021 landeten 387 Wahlzettel mit seinem Namen in der Urne. Die Egerkinger hatten Alban Rudaj in den Gemeinderat gewählt. Ihn, der erst fünf Jahre zuvor den Schweizer Pass erhalten hatte.
Heute sagt Rudaj: «Die Wahl hat auch auf meiner Seite Vorurteile abgebaut: Die meisten Schweizer wollen, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind.»
Fast nur Absagen
Alban Rudaj ist FDP-Mitglied, Gemeinderat, Schweizer – und Kosovare. Mit neun Jahren kam er in die Schweiz, sprach kein Wort Deutsch, musste die Klasse wiederholen. Als er eine Lehrstelle suchte, verschickte er 50 Bewerbungen, erhielt 49 Absagen. Doch Rudaj arbeitete sich hoch, ist heute Entwicklungsingenieur und plant als Gemeinderat den Neubau der Schule mit, die sein Sohn dereinst besuchen wird.
In Egerkingen SO ist Alban Rudaj in guter Gesellschaft. Nirgendwo sonst ist der Anteil Kosovaren an der Gesamtbevölkerung höher: 9,3 Prozent aller Einwohnerinnen Egerkingens haben den kosovarischen Pass, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen.
Zu ihnen gehört etwa Lulzim Krasniqi (38). Er kam als Kind in die Schweiz, führt heute ein eigenes Versicherungsgeschäft und sagt: «Ich bin hier daheim, auch wenn ich mich nicht als Schweizer fühle.» Oder Hana Demiri (41), die im Alter von 17 Jahren und praktisch ohne Deutschkenntnisse eine Arbeit suchen musste. Heute leitet sie eine Kita.
Unsichtbare Doppelbürger
In Wahrheit ist der Anteil Menschen mit kosovarischen Wurzeln in Egerkingen wohl nochmals deutlich höher. Viele Einwohner sind, wie Rudaj, kosovarisch-schweizerische Doppelbürger und erscheinen in der Statistik nur als Schweizer.
Dass Rudaj heute im Gemeinderat sitzt, liegt auch an Gemeindepräsidentin Johanna Bartholdi (72). Als sich Rudaj mit 30 Jahren einbürgern liess, fragte sie, ob er sich ein Engagement in der Gemeinde vorstellen könne. So wie sie das immer tut. «Natürlich sagte ich Ja», sagt Rudaj lachend, «ich wollte ja eingebürgert werden.»
Ausländer integrieren
Doch Bartholdi vergass die Zusage nicht. Vor den nächsten Gemeinderatswahlen meldete sie sich bei Rudaj: Ob er nicht kandidieren wolle? «Wir haben einen Ausländeranteil von 36 Prozent und viele Eingebürgerte», erklärt die Gemeindepräsidentin ihr Vorgehen. «Da ist es wichtig, dass diese Personen auch vertreten sind.» Zudem brauche es Vorbilder, um die ausländischen Gemeinschaften ins Boot zu holen, sagt die FDP-Politikerin. «Das fördert die Integration.»
Die Schweiz und ihre Kosovaren: Das ist eine wechselhafte Geschichte. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren die damaligen Bewohner Jugoslawiens als Gastarbeiter gern gesehen – aber auch nur als das. Als in den 1990er-Jahren manche Saisonniers ihre Familien nachholten und andere wegen der zunehmenden Spannungen ihre Heimat verliessen, empfing sie die Schweiz nicht eben mit offenen Armen.
SVP-Inserat gegen Kosovaren
Die «Jugos» seien gewalttätig, machten als Raser die Strassen unsicher, stellten einheimischen Frauen nach, so der Tenor. 2008 reichte die SVP ihre Ausschaffungs-Initiative ein, die später vom Volk angenommen wurde. Nach dem Gewaltverbrechen eines Kosovaren publizierte die Partei 2011 ein Inserat mit der Zeile «Kosovaren schlitzen Schweizer auf».
Dass ausgerechnet Egerkingen bei Kosovaren so beliebt ist, mutet vor diesem Hintergrund schon fast ironisch an. Schliesslich war es das Egerkinger Komitee um SVP-Nationalrat Walter Wobmann (65), das die Minarett-Initiative lanciert hatte – eine weitere Vorlage, die gegen Ausländer gerichtet war.
Herkunft kein Problem
«Die Kampagnen haben zu einem schlechten Bild der Kosovaren geführt», sagt Rudaj. «Aber persönlich fühlten wir uns von solchen Initiativen nicht betroffen. Wir identifizieren uns ja nicht mit Kriminellen.» Lieber spricht Rudaj darüber, was sich seither getan hat. So sei eine kosovarische Herkunft bei der Lehrstellensuche heute kein Problem mehr: «Die Jugendlichen schreiben ein paar Bewerbungen – und haben eine Stelle.»
Überhaupt habe die negative Berichterstattung über die Kosovaren abgenommen, sagt Rudaj. «Das ist wie bei den Italienern: Man sieht sie nicht mehr als Fremde.» Vor 15 Jahren sei er noch häufiger auf seine Herkunft angesprochen worden. «Heute ist es oft kein Thema.» Mittlerweile seien Kosovaren in allen Branchen und Berufen tätig: «Als Unternehmer, Ärzte, Ingenieure.»
Neue Konkurrenz
Manchmal sorgt dieser Erfolg allerdings für Neid. Denn dieselben Kosovaren, deren Eltern früher für Schweizer Häuser bauten, lassen jetzt selber Häuser bauen.
«Manche Schweizer jammern, dass ihre Kinder zu kurz kämen: Sie hätten keine Möglichkeit mehr, ein Haus zu kaufen», sagt Gemeindepräsidentin Bartholdi. Aber die Kosovaren seien halt auch eher bereit, ein altes Haus zu kaufen, in das sie noch viel investieren müssten. Oder sie machen es wie Alban Rudaj und sein Bruder – und tun sich zusammen.
Rudaj und sein Bruder haben gemeinsam ein Grundstück gekauft und dort ihre beiden Häuser bauen lassen. Am Balkon hängt, ganz schweizerisch, ein Schild mit dem Namen seines jüngsten Sohnes.
Auf dem Pausenplatz nur Deutsch
Laut Johanna Bartholdi gibt es bei der Integration der vielen Ausländer keine Probleme. Und stellt sie doch welche fest, packt sie diese rasch an. So sorgte im Jahr 2016 eine Verordnung des Egerkinger Gemeinderats für Aufsehen, nach der die Kinder auch auf dem Pausenplatz Deutsch sprechen müssen.
«Die Lehrer waren entsetzt, aber bei den Eltern kam das gut an», sagt Bartholdi. Davor sei es vorgekommen, dass sich Schweizer Kinder ausgegrenzt gefühlt hätten, weil sie kein Albanisch gesprochen hätten. «Das geht natürlich nicht.»
«Hier gelten Schweizer Werte»
Alban Rudaj hat damit keine Probleme. Im Gegenteil, er findet: «Wer hierherkommt, soll sich integrieren.» Das bedeute nicht, dass man seine Traditionen verleugnen müsse. «Aber in der Schweiz gelten Schweizer Werte.» Seine Wahl in den Gemeinderat gilt ihm als Beweis dafür, dass die Kosovaren in der Schweiz angekommen sind. Als Kind ging er jeweils mit seinen Eltern zum Gemeindehaus, um die Aufenthaltsbewilligung abzuholen. «Jetzt sitze ich selber im Gemeinderat.»