Wir müssen jetzt in den Bundesrat!
Grüne Ex-Kandidaten setzen Partei unter Druck

Die Grünen versuchten mehrmals, einen Sitz im Bundesrat zu ergattern. Ohne Erfolg. Die Kandidatinnen und Kandidaten von damals fordern von der zögernden Parteichefin Regula Rytz eine Attacke: Wir müssen jetzt mit einer eigenen Kandidatur antreten!
Publiziert: 31.10.2019 um 21:15 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2019 um 07:25 Uhr
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Die Luzernerin Cécile Bühlmann war die erste offizielle Bundesratskandidatin der Grünen. Die Partei dürfe sich nicht auf später vertrösten lassen, sagt sie. «Die Grünen gehören zwingend in den Bundesrat. Jetzt!»
Foto: KARL-HEINZ HUG
Ruedi Studer und Nico Menzato

Die Grünen zögern. Obwohl sie rein rechnerisch Anspruch auf einen Bundesratssitz hätten, fordern sie ihn nur halbherzig. Die Regierungszusammensetzung entspreche nicht mehr den Kräfteverhältnissen im Parlament – das ist das Angriffigste, das sich Parteichefin Regula Rytz (57) nach dem historischen Wahlsieg entlocken liess. Auch bald zwei Wochen später ist von einem Angriffsplan nichts zu spüren.

Dabei waren die Grünen vor früheren Bundesratswahlen weniger zurückhaltend. Regelmässig traten Kandidaten an – am liebsten gegen SVP-Magistraten. Bereits 1987 und 1991 versuchten die Grünen mit der Bernerin Leni Robert (83) die Frauenvertretung im Bundesrat zu verbessern. Sie war zwar nicht offiziell nominiert, holte aber einige Proteststimmen.

1995 rüttelten mit Cécile Bühlmann (69, LU), Ruth Gonseth (76, BL), Pia Hollenstein (69, SG) und Franziska Teuscher (61, BE) gleich vier Frauen an der bürgerlichen und männlichen Regierungsbastion – natürlich erfolglos mit je bloss 12 bis 20 Stimmen.

Bühlmann erste offizielle Sprengkandidatin

Doch davon liess sich die Öko-Partei nicht entmutigen: Im Jahr 2000 wurde die Luzernerin Bühlmann für die Ersatzwahl für SVP-Mann Adolf Ogi (77, BE) erstmals offiziell als grüne Sprengkandidatin nominiert. Sie machte bis zu 53 Stimmen – und musste erst nach dem vierten Wahlgang die Segel streichen. «Damals ging es weniger um den grünen Sitzanspruch als um die öffentliche Aufmerksamkeit, welche die Grünen damit erhielten», räumt Bühlmann offen ein. «Wir konnten etwa in der 'Arena' unsere Ideen unters Volk bringen.»

Ideen, die zwei Jahrzehnte später Früchte trugen. Die Grünen sind mit 13,2 Prozent zur viertstärksten Kraft aufgestiegen. «Davon konnten wir damals nur träumen. Auch jetzt kann ich es noch fast nicht glauben», sagt Bühlmann, noch ganz aus dem Häuschen. «Die Zauberformel ist entzaubert!», freut sie sich. Symbolisch öffnet sie die Türe zum Zimmer in der Wandelhalle, über welchem in goldenen Lettern «Bundesrat» steht. Ihre Forderung ist klar: «Die Grünen gehören zwingend in den Bundesrat. Jetzt!»

«Dürfen uns nicht auf später vertrösten lassen»

Die Grünen hätten in Gemeinden, Städten und Kantonen längst ihre Regierungsfähigkeit bewiesen, so Bühlmann. «Wir müssen jetzt mit einer eigenen Kandidatur antreten und dürfen uns nicht auf später vertrösten lassen. Wir sind reif für den Bundesrat.»

Gleicher Meinung ist Pia Hollenstein: «Es geht um den Volkswillen. Die Bevölkerung hat die Grünen massiv gestärkt.» Dieser demokratische Entscheid verlange auch, dass die Grünen möglichst bald im Bundesrat vertreten sein müssten. «Die Grünen spielen mit ihrem Wahlerfolg nun in der Liga der Bundesratsparteien und haben daher Anspruch auf einen Bundesratssitz», sagt auch Franziska Teuscher.

Der zweifache Kandidat Luc Recordon (64, VD) will seine Partei ebenfalls nicht mehr auf die Wartebank abschieben lassen. «Umwelt- und Klimaschutz werden von Tag zu Tag dringlicher. Wir müssen jetzt Lösungen finden und Entscheidungen treffen – dafür braucht es die Grünen im Bundesrat», sagt Recordon, der 2007 und 2008 nominiert worden war, um der SVP eins auszuwischen.

FDP wäre bei Abwahl selber schuld

Dass für eine grüne Regierungsbeteiligung ein amtierender Bundesrat über die Klinge springen muss, stört die Ex-Kandidaten kein bisschen: «CVP und FDP sind selber schuld, wenn sie durch eine Abwahl einen Sitz in der Regierung verlieren. Schliesslich haben sie ihre Bundesräte mitten in der Legislatur ausgewechselt», kritisiert Hollenstein. Doris Leuthard (56) und Johann Schneider-Ammann (67) hätten ruhig bis nach den Wahlen weitermachen können. «Solche vorzeitigen Rücktritte sind eine taktische Sauerei.»

Die jetzige Zauberformel habe ausgedient, urteilt Teuscher. Die Landesregierung müsse ein Abbild des Parlaments sein, Frauen und Männer müssten im Bundesrat gleichwertig und die Landessprachen angemessen vertreten sein. «Wie in kantonalen Exekutiven und Gemeinderegierungen kann es in einem solchen System zu einer Abwahl kommen.»

Klar ist auch, wessen Sitz die Grünen ins Visier nehmen müssen: «Es gibt keinen Grund für zwei FDP-Sitze», so Bühlmann. Im Angriffsmodus zeigt sich Ruth Gonseth: «Es ist höchste Zeit, dass die Grünen im Bundesrat vertreten sind. Der zweite Sitz der FDP ist nicht mehr haltbar, umso weniger, als auch die Arbeit von Bundesrat Ignazio Cassis nicht befriedigend ist.»

Wenn sich die Ausgangslage derart ändere, brauche es einen Personalwechsel, betont Recordon. Dass bisherige Bundesräte abgewählt werden, «sind wir uns von Zeit zu Zeit ja gewohnt», meint er – mit Blick auf die Abwahlen von 2003 und 2007, als es CVP-Bundesrätin Ruth Metzler (55), respektive SVP-Magistrat Christoph Blocher (79) erwischte. Recordons Fazit: «Die FDP muss den Sitz von Cassis abgeben.»

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