Höchster Schweizer
Jürg Stahl rockt den Nationalrat

SVP-Nationalrat Jürg «Tschüge» Stahl beschreibt sich selbst als unspektakulär und Repräsentant der Normalos. Messerscharf ist einzig sein Hobby. Jetzt ist er zum höchsten Schweizer gewählt worden. Und feierte mit einer Rock'n'Roll-Einlage.
Publiziert: 28.11.2016 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:27 Uhr
MG Grace, ein Jugendfreund von frisch gewähltem Nationalrats-Präsident Jürg Stahl, eröffnet die Session mit rockigen Klängen.
Foto: Anthony Anex
Nico Menzato, Simon Huwiler

Seit heute herrscht wieder Hochbetrieb im Parlament - die Wintersession hat begonnen. Einen ersten Entscheid hat die grosse Kammer bereits gefällt: Jürg Stahl wird neuer Nationalratspräsident und löst damit Christa Markwalder ab. Mit 157 Stimmen wurde der 48-jährige Winterthurer zum höchsten Schweizer gewählt.

Sichtlich berührt bedankte er sich bei seiner Eintrittsrede bei allen, die ihn bisher begleitet haben, von Mami und Papi über seine Lehrmeister bis hin zum gestern verstorbenen Lauberhorn-Chef Viktor Gertsch. Besonders erwähnte er seine jüngste Tochter, die ihm zwar auch ab und zu den Schlaf raube, aber auch seinen Blick fürs Wesentliche schärfe. «Es ist das alltägliche, dass uns erdet». Harte Debatten erwartet Stahl - aber nicht so harte wie sein Name, fügt er schmunzelnd an. Die Eröffnung der Session verlief dann aber doch eher ungewohnt: Sein Jugendfreund und Elvis-Imitator «MG Grace» brachte Stimmung in den Nationalratssaal. Im letzten Jahr klang es noch etwas anders: Christa Markwalder sass selbst mit dem Parlamentarier-Streichquartett am Cello.

Der Normalo

Diese Woche erhielt Jürg Stahl (48) einen Brief vom Verein Geothermische Kraftwerke Aargau. Adressiert mit «alt Nationalrat». Die Anekdote zeigt: Obwohl der Winterthurer zum höchsten Schweizer gewählt wurde, bleibt er unscheinbar und unbekannt. «Ich bin kein Scharfmacher, sondern unspektakulär und ein Repräsentant der Normalos», sagt der SVP-Mann, der schon seit 17 Jahren in der grossen Kammer sitzt. Früher habe ihn dies manchmal beschäftigt. Jetzt sieht er es als Stärke.

Der Gesundheitspolitiker hat keine Feinde. Seine grösste Gegnerin sei Jaqueline Fehr gewesen. Die heutige Zürcher SP-Regierungsrätin sagt, Stahl sei «ein guter Kollege, ein hartnäckiger Politiker und ein sportlicher Gegner» gewesen. «Seine Nähe zu den Krankenkassen gab uns viel Stoff für leidenschaftliche Debatten.» Lob selbst von der grössten Gegnerin! Kein Wunder, denn Stahl ist ein gmögiger Kumpeltyp. Freunde und Politikerkollegen nennen in «Tschüge». Im Vergleich zu den SVP-Haudegen ist er nicht scharfzüngig.

Der Major sammelt Sackmesser

Messerscharf ist jedoch eines seiner Hobbys: Der Major sammelt Sackmesser. Über 200 Stück hat er. «Viele der Messer haben eine Geschichte, sie erinnern mich an Erlebtes», erzählt er. Eines habe er von einem Berufskollegen geschenkt bekommen. Dieser sei in Kolumbien überfallen worden. Der Räuber habe das Zelt aufgeschlitzt, Wertsachen geklaut – und das Messer liegen gelassen.

Besonders rasant ist seine Sammlung seit 2011 gewachsen. Damals begann er, von seinem ungewöhnlichen Steckenpferd zu erzählen. Absichtlich, weil er nicht mehr Wein geschenkt bekommen wollte. «Ich hatte einen prall gefüllten Weinkeller, aber alles Einzelflaschen. Das ist unpraktisch, wenn man Gäste hat», so der gelernte Drogist.

Chef von Swiss Olympic

2017 wird Stahl nicht viel Zeit für Gäste haben. Neben dem Vollzeitjob als Nationalratspräsident wurde der Vater der einjährigen Valérie Julia letzte Woche zum Präsidenten von Swiss Olympic gewählt.

Zudem sitzt Stahl in der Geschäftsleitung der Groupe Mutuel. Kritiker monieren, er überlade sich. «Wenn man etwas gerne macht, kann man auch mehr arbeiten als üblich», entgegnet der Hobbyturner, der sich auf seiner Homepage als «weltoffen» charakterisiert.

«Das Positive der Schweiz betonen»

Ein weltoffener SVP-Politiker – der totale Widerspruch! Stahl verneint. Er und seine Partei hätten sich stets für eine wirtschaftliche Öffnung der Schweiz eingesetzt. «Wir sind nicht isolationistisch, hatten aber in den letzten Jahren eine Überdosis an Zuwanderern», meint er. Auch sei er als Sportfunktionär viel gereist – nicht nur in Europa.

Als Nationalratspräsident will er in erster Linie «in der Alltagsarbeit einen guten Job machen», sich «nicht zu wichtig nehmen» und «das Positive der Schweiz betonen». Ganz unspektakulär eben.

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