Die Fachstelle zur Extremismus-Bekämpfung in Winterthur ZH wird weitergeführt und verzeichnet erste Erfolge. Sozialvorsteher Nicolas Galladé (43, SP) erklärt gegenüber BLICK, mit welchen Mitteln die Experten arbeiten und kommentiert die Entwicklungen der Schweizer Dschihad-Reisenden.
BLICK: Nach 18 Monaten Testphase ziehen Sie eine positive Bilanz, die Extremismus-Stelle von Winterthur wird weitergeführt. Warum?
Nicolas Galladé: Wir haben jetzt ein Netzwerk, mit dem wir bei einem Verdachtsfall sehr rasch reagieren können. Lehrer, Berufsbildner oder Personen, die sich um die Integration kümmern, rufen uns an, wenn ihnen beispielsweise ein Schüler wegen extremer Aussagen oder Verhaltens Bauchschmerzen bereitet. Die Fachstelle nimmt den Fachleuten dann die Unsicherheiten. Die Idee ist, dass Personen, die mit Extremismus in Berührung kommen, sensibilisiert werden, um die Fälle dann melden zu können, und wir die Probleme mit weiteren Abklärungen lösen oder in heiklen Fällen an die zuständige Stelle weiterleiten können.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, das Sie weiterleiten mussten?
Unter den 76 Beratungen gab es fünf Fälle, bei welchen die rote Linie überschritten wurde. Konkret gab es Drohungen oder Gewalt. Diese wurden der Polizei weitergeben. Zwei der fünf Fälle haben sich dann erübrigt. Bei zwei weiteren Fällen hatten die Jugendlichen psychische Probleme, der islamistische Extremismus war lediglich das Symptom. Beim einem Fall gab es deutliche Anzeichen dafür, dass die junge Person eine Reise in den Dschihad plante. Dann wird die Polizei eingeschaltet und ist zuständig. Wir sind dafür da, dass es erst gar nicht so weit kommt.
Wie verhindert man, dass Jugendliche zu Islamisten oder Rechtsradikalen werden?
Dafür gibt es kein Betty-Bossi-Rezept. Wir haben einen Leitfaden über Radikalismus erarbeitet, in dem wir auf elf potenzielle Merkmale von radikalen Personen und Gruppen hinweisen, wie beispielsweise den Absolutheitsanspruch oder ein Schwarz-Weiss-Denken. Sollten mehrere dieser Merkmale auf eine Person zutreffen, muss das Umfeld Hilfe holen und so versuchen, die Radikalisierung zu stoppen. Grundsätzlich wichtig ist, die Gewaltfreiheit zu fördern und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorzugehen.
Seit 2016 sind laut dem Nachrichtendienst keine Schweizer Dschihad-Reisende registriert worden. Warum?
Der Islamische Staat hat durch die militärischen Entwicklungen in Syrien an Anziehungskraft massiv verloren. Extremismus ist viel breiter als nur Dschihadismus. Deshalb braucht es die Frühwarnsysteme, die wir mit unserem Netzwerk aufgebaut haben.
Hat Ihre Fachstelle einen Einfluss auf den Stopp von Dschihad-Reisen?
Man kann nicht sagen, dass es aufgrund einer Fachstelle keine Dschihadisten mehr gibt. Eine derartige Behauptung würde der Komplexität des Extremismus-Themas nicht gerecht. Aber auch umgekehrt, falls es zu einem extremistischen Ereignis kommt, haben die Fachstellen nicht unbedingt versagt. Extremismus, egal, in welcher Form, ist Teil der Realität, weltweit und auch in der Schweiz, und dieses Problem lässt sich nicht vollumfänglich lösen. Es geht vielmehr darum, wie wir damit als Gesellschaft und Menschen umgehen.
Sind Islamisten eine grössere Gefahr für die Schweiz, wenn sie hier bleiben?
Für derartige Einschätzungen ist der Nachrichtendienst zuständig. Auf jeden Fall sind Dschihad-Rückreisende eine Herausforderung. Wichtig ist aber auch, zu sagen, dass es nicht nur dschihadistischer Extremismus gibt, auch wenn wir in Winterthur dazu am meisten Anfragen hatten. Wir bieten jedoch Beratungen für alle Arten von Extremismus an. In reinen Zahlen ist davon auszugehen, dass schweizweit gewaltbereite Personen bezüglich Rechts- und Linksextremismus überwiegen.