Foto: Keystone

Wikileaks-Gründer in Isolationshaft
Der Fall Assange erreicht Bundesbern

Nach fast einem Jahr findet UNO-Folterexperte Nils Melzer endlich Gehör. Sein Kampf für Julian Assange beschäftigt nun auch die Innenpolitik. Nationalräte laden den Schweizer in die Session ein.
Publiziert: 09.02.2020 um 12:32 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2020 um 13:45 Uhr
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Julian Assange auf dem Weg zum Gericht in London.
Foto: DUKAS
Reza Rafi

Plötzlich wird Nils Melzer erhört. Das ZDF kommt, «Newsweek» und «The New York Times» berichten. In Deutschland springen ihm die Schwergewichte Gerhart Baum und Sigmar Gabriel bei. Alle Scheinwerfer sind auf den Schweizer gerichtet.

Noch vor kurzem war das ganz anders. Obwohl sich der Uno-Sonderbeauftragte für Folter schon seit ­letztem März mit Julian ­As­sange beschäftigt, suchte Melzer die Welt mit seinem im Mai vorgelegten Bericht zunächst vergeblich zu überzeugen, dass Wiki­leaks-Gründer Julian Assange Opfer einer US-amerikanisch gelenkten Zermürbungsstrategie ist.

Der Australier sitzt ohne Verurteilung, ohne Prozess, ohne Zugang zu seinen Anwälten in britischer Hochsicherheitshaft.
Nur einzelne linksalternative oder Russland-orien­tierte Medien hörten anfänglich zu. Jetzt aber hat Melzer mit seinen Befunden zur Rolle der britischen und der schwedischen ­Regierung Schwung aufgenommen.

In der Deutschschweiz machte Melzer seine Vorwürfe mit einem SonntagsBlick-Interview im Dezember publik. Einen Monat später doppelte die «Republik» mit Details von Melzers Untersuchungen und der Wucht der sozialen Medien nach.

Nun bewegt sich auch in Bundesbern allmählich etwas – es schlägt die Stunde der Assange-Unterstützer.

Während der Frühlingssession wird Nils Melzer persönlich im Parlamentsgebäude den direkten Austausch mit Volksvertretern suchen, um für die gute ­Sache zu weibeln.

Es geht um Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit

Den Termin am 11. März eingefädelt haben SP-Natio­nalrat Cédric Wermuth und sein Grünen-Kollege Balthasar Glättli, der nun ebenfalls auf das Thema aufgesprungen ist.

Es gehe ihm nicht nur um den konkreten Fall As­sange, sagt Wermuth auf Anfrage. «Es geht grundsätzlich um den Umgang mit Werten wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit.»

Das Interesse bei den Politikern scheint jedenfalls gross zu sein. Er und Glättli hätten bereits «viele Rückmeldungen» von Parlamentariern, sagt Wermuth.

Rechtsanwälte und Politiker aus Schweizer As­sange-Unterstützerkreisen bereiten derweil eine Kampagne vor, die im Frühjahr starten soll. Letzten Mai forderten Juristen Schweizer Asyl für Assange.

Für Melzer muss die Aufmerksamkeit eine Genugtuung sein – ob der Bundesrat seine Haltung ändern wird, ist jedoch ­ungewiss. «Die Schweiz möchte es wohl vermeiden, sich hier auf die falsche ­Seite zu stellen», sagte er im Dezember zu SonntagsBlick.

Der Fall Assange

Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse rund um Julian Assanges Zeit in der Botschaft in Ecuador.

2010:

  • Von Juli bis Oktober veröffentlicht die Enthüllungsplattform Wikileaks rund 470'000 als geheim eingestufte Dokumente, die mit diplomatischen Aktivitäten der USA und mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak zu tun haben. Weitere 250'000 Dokumente kommen später hinzu.
  • Im November bewirkt die schwedische Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen Assange. Ihm werden Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gegen zwei Frauen vorgeworfen. Assange weist die Anschuldigung zurück und stellt sich kurz darauf der Polizei in London. Bis zur Entscheidung über einen Auslieferungsantrag Schwedens kommt er gegen Kaution auf freien Fuss.

2011

  • Im Februar gibt ein britisches Gericht dem schwedischen Auslieferungsantrag statt. Assange äussert sich besorgt: Er fürchtet, dass Schweden ihn an die USA ausliefern könnte, wo ihm wegen der geleakten Dokumente ein Prozess und womöglich sogar die Todesstrafe droht.

2012

  • Julian Assange flieht im Juni in die Botschaft Ecuadors in London und beantragt erfolgreich politisches Asyl. Ecuador bittet die britische Regierung vergeblich um die Erlaubnis, Assange nach Quito auszufliegen.

2016

  • Schwedische Ermittler scheitern mit ihrem Anliegen, Assange in der Londoner Botschaft zu vernehmen. Eine Uno-Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, dass Assange im Botschaftsgebäude «willkürlich inhaftiert» sei und dafür von Grossbritannien und Schweden entschädigt werden müsse. Beide Länder weisen die nicht bindende Entscheidung zurück.
  • Vor der US-Präsidentschaftswahl veröffentlicht Wikileaks rund 20'000 E-Mails aus dem Parteiapparat der Demokraten. Sie stammen aus dem Wahlkampfteam der Kandidatin und früheren Aussenministerin Hillary Clinton.

2017

  • Nach der Begnadigung von Chelsea Manning, einer Hauptquelle von Wikileaks, erklärt die Organisation, Assange könne sich Ermittlungen in den USA stellen, wenn seine Rechte garantiert würden. Unterdessen stellt die Staatsanwaltschaft in Schweden die Ermittlungen gegen Assange ein.
  • Die britische Polizei will ihn allerdings weiterhin festnehmen, weil er seine Kautionsauflagen verletzt hat. Assange bekommt die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, allerdings scheitert die Regierung in Quito mit ihrem Anliegen, bei den britischen Behörden Diplomatenstatus für Assange anzumelden. Das hätte ihm ermöglicht, das Botschaftsgebäude zu verlassen, ohne festgenommen zu werden.

2018

  • Ecuador erklärt, es sei auf der Suche nach einem Vermittler, um Assanges «unhaltbare» Situation zu beenden. Ein Antrag, den Haftbefehl aus gesundheitlichen Gründen zurückzuziehen, scheitert. Im März kappt das Botschaftspersonal dann Assanges Kommunikationszugänge, weil er sich in die Angelegenheiten anderer Länder eingemischt habe. Ein Wikileaks-Anwalt beschreibt Assanges Lebensumstände als «unmenschlich».
  • Im Oktober erlegt Ecuador Assange neue Verhaltensregeln auf und warnt, eine Verletzung der Vorgaben könne zum Entzug des Asyls führen. Unterdessen taucht in den USA ein Dokument auf, wonach gegen Assange offenbar heimlich Anklage erhoben wurde.

2019

  • Ecuadors Präsident Lenin Moreno erklärt, Assange habe die Auflagen für sein Botschaftsasyl «wiederholt verletzt». Am 25. April soll ein unabhängiger Menschenrechtsexperte Assange besuchen und eine Einschätzung abgeben, ob die ihm vorgeworfenen Verstösse eine Untersuchung notwendig machen.
  • Doch dazu kommt es nicht: Am 11. April nimmt die britische Polizei Assange fest, nachdem ihm das Asyl entzogen wurde.

2020

  • Assange sitzt im Hochsicherheitsgefängnis HMP Belmarsh im Südosten Londons.
  • Assange, hofft auf eine Freilassung unter Kautionsauflagen wegen der Coronavirus-Pandemie. Der Antrag wird abgelehnt.

2021

  • Dem Wikileaks-Gründer wird die ecuadorianische Staatsbürgerschaft entzogen.

  • Das Gericht lehnt die Auslieferung in die USA ab und begründet diese Entscheidung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde.
  • Die USA zweifeln am medizinischen Gutachten und legen Berufung ein. Das Auslieferungsverbot wird im Dezember aufgehoben

  • Nach Angaben seiner Verlobten Stella Moris erleidet Assange im Gefängnis einen leichten Schlaganfall. Grund soll der «extreme» Stress gewesen sein.

Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse rund um Julian Assanges Zeit in der Botschaft in Ecuador.

2010:

  • Von Juli bis Oktober veröffentlicht die Enthüllungsplattform Wikileaks rund 470'000 als geheim eingestufte Dokumente, die mit diplomatischen Aktivitäten der USA und mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak zu tun haben. Weitere 250'000 Dokumente kommen später hinzu.
  • Im November bewirkt die schwedische Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen Assange. Ihm werden Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gegen zwei Frauen vorgeworfen. Assange weist die Anschuldigung zurück und stellt sich kurz darauf der Polizei in London. Bis zur Entscheidung über einen Auslieferungsantrag Schwedens kommt er gegen Kaution auf freien Fuss.

2011

  • Im Februar gibt ein britisches Gericht dem schwedischen Auslieferungsantrag statt. Assange äussert sich besorgt: Er fürchtet, dass Schweden ihn an die USA ausliefern könnte, wo ihm wegen der geleakten Dokumente ein Prozess und womöglich sogar die Todesstrafe droht.

2012

  • Julian Assange flieht im Juni in die Botschaft Ecuadors in London und beantragt erfolgreich politisches Asyl. Ecuador bittet die britische Regierung vergeblich um die Erlaubnis, Assange nach Quito auszufliegen.

2016

  • Schwedische Ermittler scheitern mit ihrem Anliegen, Assange in der Londoner Botschaft zu vernehmen. Eine Uno-Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, dass Assange im Botschaftsgebäude «willkürlich inhaftiert» sei und dafür von Grossbritannien und Schweden entschädigt werden müsse. Beide Länder weisen die nicht bindende Entscheidung zurück.
  • Vor der US-Präsidentschaftswahl veröffentlicht Wikileaks rund 20'000 E-Mails aus dem Parteiapparat der Demokraten. Sie stammen aus dem Wahlkampfteam der Kandidatin und früheren Aussenministerin Hillary Clinton.

2017

  • Nach der Begnadigung von Chelsea Manning, einer Hauptquelle von Wikileaks, erklärt die Organisation, Assange könne sich Ermittlungen in den USA stellen, wenn seine Rechte garantiert würden. Unterdessen stellt die Staatsanwaltschaft in Schweden die Ermittlungen gegen Assange ein.
  • Die britische Polizei will ihn allerdings weiterhin festnehmen, weil er seine Kautionsauflagen verletzt hat. Assange bekommt die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, allerdings scheitert die Regierung in Quito mit ihrem Anliegen, bei den britischen Behörden Diplomatenstatus für Assange anzumelden. Das hätte ihm ermöglicht, das Botschaftsgebäude zu verlassen, ohne festgenommen zu werden.

2018

  • Ecuador erklärt, es sei auf der Suche nach einem Vermittler, um Assanges «unhaltbare» Situation zu beenden. Ein Antrag, den Haftbefehl aus gesundheitlichen Gründen zurückzuziehen, scheitert. Im März kappt das Botschaftspersonal dann Assanges Kommunikationszugänge, weil er sich in die Angelegenheiten anderer Länder eingemischt habe. Ein Wikileaks-Anwalt beschreibt Assanges Lebensumstände als «unmenschlich».
  • Im Oktober erlegt Ecuador Assange neue Verhaltensregeln auf und warnt, eine Verletzung der Vorgaben könne zum Entzug des Asyls führen. Unterdessen taucht in den USA ein Dokument auf, wonach gegen Assange offenbar heimlich Anklage erhoben wurde.

2019

  • Ecuadors Präsident Lenin Moreno erklärt, Assange habe die Auflagen für sein Botschaftsasyl «wiederholt verletzt». Am 25. April soll ein unabhängiger Menschenrechtsexperte Assange besuchen und eine Einschätzung abgeben, ob die ihm vorgeworfenen Verstösse eine Untersuchung notwendig machen.
  • Doch dazu kommt es nicht: Am 11. April nimmt die britische Polizei Assange fest, nachdem ihm das Asyl entzogen wurde.

2020

  • Assange sitzt im Hochsicherheitsgefängnis HMP Belmarsh im Südosten Londons.
  • Assange, hofft auf eine Freilassung unter Kautionsauflagen wegen der Coronavirus-Pandemie. Der Antrag wird abgelehnt.

2021

  • Dem Wikileaks-Gründer wird die ecuadorianische Staatsbürgerschaft entzogen.

  • Das Gericht lehnt die Auslieferung in die USA ab und begründet diese Entscheidung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde.
  • Die USA zweifeln am medizinischen Gutachten und legen Berufung ein. Das Auslieferungsverbot wird im Dezember aufgehoben

  • Nach Angaben seiner Verlobten Stella Moris erleidet Assange im Gefängnis einen leichten Schlaganfall. Grund soll der «extreme» Stress gewesen sein.

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