Wie Ruedi Noser von China lernen will
«Europa hat die digitale Souveränität verloren»

Die Digitalisierung eröffnet unbegrenzte Chancen für jeden – davon ist der Zürcher Ständerat Ruedi Noser überzeugt. Aber nur, wenn Europa aus seinen Fehlern lerne und nicht alle Macht an die USA abgebe.
Publiziert: 24.07.2018 um 05:01 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:16 Uhr
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Der Zürcher Ständerat Ruedi Noser beklagt, dass Europa digital versagt hat: «Die Chinesen produzieren die Hardware, die USA die Software und wir kaufen ein.»
Foto: Joseph Khakshouri
Interview: Sermîn Faki

Ruedi Noser (57) ist entspannt. Nach dem folgenden BLICK-Interview geht er für ein paar Wochen in die Ferien, ans andere Ende der Welt. «Hinter dem Mond» wird er deswegen aber nicht sein. Denn der Zürcher Ständerat ist immer up-to-date. Die Digitalisierung erleichtert es ihm, immer auf dem Laufenden zu sein. Noser weibelt denn auch unermüdlich dafür, dass die Schweiz dieses Potenzial nutzt.

BLICK: RuediNoser, wie digital leben Sie?
Ruedi Noser:
Sehr! Im Parlament bin ich ein digitaler Pionier. Als Erster habe ich im Ständerat komplett auf Papier verzichtet und alles auf dem Tablet erledigt. Ich ging immer davon aus, der Präsident würde mich zurechtweisen, da elektronische Geräte im Rat nicht erlaubt waren. Aber siehe da: Nach einem Jahr wurde diese Regel aufgehoben, und heute sind Tablets offiziell zugelassen. Privat bin ich sehr experimentierfreudig, was digitale Anwendungen betrifft. Vor kurzem habe ich eine VR-Brille der neusten Generation getestet, mit der man dank virtueller Interaktion Sitzungen digital abhalten kann. Bei aller Begeisterung für das Digitale ist es mir aber auch wichtig, ab und zu den Stecker zu ziehen und eine Weile bewusst offline zu sein.

Die Schweiz bemüht sich, den Anschluss an die Digitalisierung zu finden. Und ein bisschen was geht ja tatsächlich.
Es geht nicht nur ein bisschen, es ist sogar viel gegangen. Wir haben zum Beispiel die Fintech-Regulierung durchgebracht – im Schnellzugtempo. Wer künftig neue Finanz-Technologien wie ein digitales Zahlungssystem anbieten will, soll das bis zu einem Volumen von 100 Millionen Franken auch ohne Bankenlizenz machen können. Das ist eine enorme Erleichterung, zum Beispiel für die Kryptowährungs-Branche. Jetzt müssen sich nur noch die Schweizer Banken bewegen und den Blockchain-Firmen Bankkonten anbieten. Sonst wandern diese innovativen Unternehmen ab, und das ist nicht in unserem Interesse.

Warum? Heute weiss niemand, ob Kryptowährungen nicht eine riesige Schnapsidee sind, die sich bald in Luft auflöst?Die Technologie dahinter, Blockchain, wird die Welt mehr verändern als das Internet. Das Internet tut nichts anderes als Informationen zu übermitteln. Aber sind die Informationen selbst vertrauenswürdig? Heute muss ich das glauben. Wenn ich auf Blick.ch gehe, muss ich vertrauen, dass es wirklich die echte Seite ist. Und wenn ich bei Ihnen das E-Paper herunterlade, müssen Sie darauf vertrauen, dass ich Ruedi Noser bin. Mit Blockchain bekommen wir beide die Kontrolle darüber. Das bringt Vertrauen und Wert in diese Information.

Und warum ist das für die Schweiz so wichtig?
Weil wir erstens schon immer der Standort waren, dem man seine Werte anvertraut. Auch das hat zu unserem Wohlstand beigetragen. Um den zu erhalten, müssen wir hier vorn dabei sein. Zweitens entspricht das System von Blockchain unserer Mentalität. Denn Blockchain ist durch seinen dezentralen Aufbau urdemokratisch. Es hilft den Kleinen, sich zusammenzuschliessen und so stark zu sein. So wie die Schweiz das seit jeher tut.

Gut. Hier haben wir also vorwärtsgemacht. Was ist noch unerledigt?
Wir müssen das Vertragsrecht anpassen und dafür sorgen, dass auch sämtliche Beurkundungen digital möglich sind. Aber auch hier haben wir den ersten Schritt gemacht, indem sich Wirtschaft und Politik auf einen Standard für die elektronische Identität geeinigt haben. Auch unser Steuer- und Aktienrecht ist noch nicht fit für die digitale Welt.

Aber wir haben das Aktienrecht gerade reformiert!
Ja, aber nicht da, wo es nötig wäre. Aktien- und Steuerrecht sind auf Grossfirmen und deren Substanz ausgelegt. Innovative Unternehmen, die wachsen wollen, werden eher benachteiligt: Unser Aktienrecht benachteiligt Ideen gegenüber Geld. Das muss ändern. Und last but not least: Ein grosser Teil der Digitalisierungs-Forschung findet heute in US-Unternehmen statt. Doch wer an die Demokratie glaubt, kann diese Entwicklungen nicht Facebook und Co. überlassen. Das heisst: Wir müssen die öffentliche Forschung in der Schweiz fit dafür machen, es mit denen aufzunehmen.

Wenn man sich die Weltkarte der digitalen Innovation anschaut, fällt auf: USA und Asien sind die Treiber. Europa ist wie Niemandsland.
Leider. Die Chinesen produzieren die Hardware, die USA die Software und wir kaufen ein. Mit furchtbaren Folgen: Europa hat die digitale Souveränität verloren.

Das heisst?
Wir können uns gegen nichts wehren, was die USA entscheiden. Nehmen wir das Iran-Embargo: Weil jede Finanztransaktion und alle Kommunikation digital läuft, ist alles transparent für die Amerikaner. Wenn ein Europäer mit einem Iraner irgendwie zu tun hat, sehen die Amerikaner das, in Echtzeit. Es ist sogar noch schlimmer: Europa hatte ein eigenes Zahlungssystem, das weltweit eingesetzt wurde – Swift. Doch um dem Vorwurf zu entgehen, den Terrorismus zu finanzieren, verlegten die EU-Staatschefs 2004 den Server nach New York. Sie gaben den USA so alle Macht darüber. Solche strategischen Fehler können wir uns einfach nicht leisten!

Der digitale Pionier

Ruedi Noser (57) wuchs als eines von fünf Kindern im Kanton Glarus auf. Nach Abschluss einer Lehre besuchte er die Fachhochschule Rapperswil, die er als Elektroingenieur verliess. Später studierte er noch Betriebswirtschaft.

Dass Noser für die Digitalisierung brennt, verwundert nicht: Zu Beginn seiner Karriere stieg er in das Ingenieurbüro seines Bruders ein – sie spezialisierten sich auf Software. Später übernahm er die Noser Group allein. Heute beschäftigt er 450 Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz von 85 Millionen Franken, achtzig Prozent mit Softwareprojekten.

Noser ist Vater von vier Kindern und lebt mit neuer Partnerin in Zürich.

Ruedi Noser (57) wuchs als eines von fünf Kindern im Kanton Glarus auf. Nach Abschluss einer Lehre besuchte er die Fachhochschule Rapperswil, die er als Elektroingenieur verliess. Später studierte er noch Betriebswirtschaft.

Dass Noser für die Digitalisierung brennt, verwundert nicht: Zu Beginn seiner Karriere stieg er in das Ingenieurbüro seines Bruders ein – sie spezialisierten sich auf Software. Später übernahm er die Noser Group allein. Heute beschäftigt er 450 Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz von 85 Millionen Franken, achtzig Prozent mit Softwareprojekten.

Noser ist Vater von vier Kindern und lebt mit neuer Partnerin in Zürich.

Kann man das Rad der Zeit noch zurückdrehen?
Wir können unsere Souveränität zurückholen, ja. China hat heute völlig andere Zahlungssysteme als der Rest der Welt, der amerikanisch dominiert ist. Wenn wir etwas von China lernen können, dann das. Aber die EU-Kommission unterhält sich lieber über ein Verbot von Plastik-Wattestäbli als über die Einführung eines eigenen Zahlungssystems.

Was kann die Schweiz da machen?
Die europäischen Staaten müssen sich auf gemeinsame Strategien einigen. Zum Beispiel: Schaffen wir einen europäischen Standard für selbstfahrende Autos oder übernehmen wir denjenigen der USA – was zur Folge hätte, dass Washington uns einfach den Verkehr abstellen könnte. Ich meine, die Antwort sei klar. Und da ist die Schweiz sicher mit am Tisch. Denn Souveränität für Europa ist Souveränität für die Schweiz.

Das hat alles eine ziemlich hohe Flughöhe. Was hat das mit meinem Alltag zu tun?
Für die Menschen in einem demokratischen Staat ist die Digitalisierung eine Welt der unbegrenzten Chancen: Sie wird dazu führen, dass sich Ideen durchsetzen. Und für eine gute Idee braucht man kein Geld. Das ist doch eine geniale Botschaft für alle Jugendlichen. Und jede Mutter, deren Tochter in die Primarschule geht. Denn niemand weiss, ob nicht das eigene Kind eines Tages eine Idee hat, die die Welt verändert.

Und wenn nicht? Dann werden wir abgehängt.
Die Digitalisierung ist wie eine Welle. Wer sie reitet, wird erfolgreich sein. Wer sich dagegen stemmt, endet wie Sisyphus. Wir müssen aber auch offen sein für die Welt. Zu meinen, unter den acht Millionen Schweizern gebe es die hellsten Köpfe der Welt, ist arrogant. Die Wahrscheinlichkeit, dass die richtigen Talente für ein bestimmtes Thema in New York, Neu Delhi oder Nairobi sind, ist ziemlich hoch. Das heisst für die Schweiz: Wir müssen die besten Leute anziehen, am besten mit einer ausgezeichneten Ausbildung und Forschungsmöglichkeiten für die Top-Talente. Und davon profitieren auch unsere Schweizer Talente.

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