Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang: Gut möglich, dass der bilaterale Weg für die Eidgenossenschaft nach einer Annahme ein für alle Mal zu Ende ist.
Nächsten Samstag gilt es ernst: Die Auns präsentiert erstmals konkrete Vorschläge, wie der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU zu unterbinden wäre. An der Delegiertenversammlung der SVP in Lausen BL am 24. Juni dürfte dann die Initiative verabschiedet und lanciert werden.
Fünf Varianten aus der Arbeitsgruppe
Über denkbare Varianten hatten Vertreter von SVP und Auns monatelang gebrütet. Laut Recherchen von SonntagsBlick schweben der Arbeitsgruppe des ehemaligen SVP-Nationalrats und Fraktionschefs Caspar Baader (63) fünf Varianten vor – sie unterscheiden sich inhaltlich stark voneinander:
• Kündigung. Spätestens sechs Monate nach Annahme der Initiative kündigt der Bundesrat die Personenfreizügigkeit. Kündigung und Verbot. Nebst dem Aus für die Freizügigkeit fordert die zweite Variante ein Verbot, künftig vergleichbare Abkommen abzuschliessen.
• Höchstzahlen. Die Landesregierung wird verpflichtet, jährliche Höchstzahlen für erwerbstätige Ausländer und Asylbewerber festzulegen. Die Kündigung von Verträgen, die dem entgegenstehen, ist zwingend.
• Sozialhilfe. Dieser Entwurf hat nicht direkt mit der Personenfreizügigkeit zu tun. Er verlangt eine Übergangsfrist, in welcher Ausländer hierzulande keinerlei Sozialhilfe beziehen dürfen.
• Firmensteuer. Unternehmen, die Ausländer einstellen, müssen eine Gebühr zahlen. Diese Gelder sollen unter anderem genutzt werden, um ältere Schweizer, die auf dem Arbeitsmarkt Mühe haben, beruflich weiterzubilden.
Den fünf Vorschlägen ist eines gemeinsam: Sie sind mit den bilateralen Verträgen nicht oder nur schwer vereinbar und deutlicher formuliert als die schwammige Masseneinwanderungs-Initiative. Folglich käme es zum entscheidenden Showdown in der EU-Politik. Am Dienstag wird man im Auns-Vorstand nochmals die Köpfe zusammenstecken. Auns-Chef Lukas Reimann (34) gibt sich zugeknöpft. «Die Varianten kann ich nicht kommentieren, die Generalversammlung der Auns gibt den Takt vor», so der St. Galler SVP-Nationalrat.
Auns setzt ihre Verbündeten unter Zugzwang
Zwar spannen Auns und SVP bei der Kündigungs-Initiative zusammen, doch setzt die Auns ihren natürlichen Verbündeten auch unter Zugzwang. Denn obwohl namhafte Vertreter der Partei wie Roger Köppel (52, ZH), Thomas Matter (51, ZH) und Gregor Rutz (44, ZH) an den Sitzungen der Baader-Gruppe teilnahmen, ist das noch lange keine Garantie, dass das Auns-Fussvolk den Vorstellungen der SVP-Granden folgt.
SVP-Präsident Albert Rösti (49) zeigt sich gleichwohl optimistisch, dass die beiden EU-kritischsten Formationen des Landes einen gemeinsamen Nenner finden. In diesem Fall kann die SVP bereits für die nächsten eidgenössischen Wahlen planen. Es sei «gut möglich», so der Berner Oberländer, dass sich eine allfällige Kündigungs-Initiative im Wahljahr 2019 noch im Sammelstadium befindet. Ein besseres Wahlkampfvehikel kann sich die Rechtspartei gar nicht wünschen.
Rasa verschafft SVP Auftrieb
Doch nicht nur die Personfreizügigkeits-Initiative sorgt für Zündstoff. Am Mittwoch kündigte Justizministerin Simonetta Sommaruga (56, SP) an, sie wolle die Rasa-Vorlage ohne Gegenvorschlag vors Volk bringen. Die Vernehmlassung habe gezeigt, dass keiner der beiden Vorschläge der Landesregierung eine Mehrheit fände. Das Anliegen will das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative vom Februar 2014 wieder aus der Verfassung streichen. Der Bundesrat lehnt Rasa ab.
Spätestens bis zum Sommer will die Rasa-Führung entscheiden, ob sie ihr Projekt an die Urne bringt oder doch noch zurückzieht. Sehr wahrscheinlich ist, dass sie bei einer Abstimmung über ihre Initiative eine Kanterniederlage riskiert. Die Blocher-Partei ist selbstverständlich ohnehin dagegen; auch FDP und CVP dürften gegen das Anliegen antreten.
Pfister geht davon aus, dass die CVP Nein zu Rasa sagt
«Ich möchte den Delegierten nicht vorgreifen, aber ich gehe davon aus, dass die CVP-Delegierten die Nein-Parole beschliessen werden», sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister (54).
Eine krachende Absage an Rasa könnte eigentlich nur als Misstrauensvotum gegen die Zuwanderungspolitik verstanden werden. Das weiss auch Pfister: «Natürlich wird nach Ablehnung von Rasa die ungenügende Umsetzung des Volkswillens thematisiert werden.»
Rasa würde damit zur optimalen Auffahrtsrampe für die SVP, gewissermassen zu ihrem migrationspolitischen Comeback. Und zur Gratiswerbung für die Personenfreizügigkeits-Initiative. Ein Szenario, das nicht nur die Linke fürchtet. Verhindern können ein solches Szenrio eigentlich nur die Rasa-Leute selber.
Rasa-Initianten sollen verzichten
Kein Wunder, wünscht FDP-Ständerat Philipp Müller (64, AG), einer der Architekten der parlamentarischen Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, nichts sehnlicher als den Verzicht: «Die Initianten sollen Rasa zurückziehen, das Parlament auf einen Gegenvorschlag verzichten», so der Appell des Ex-Parteipräsidenten.
Wie sich die SP im Abstimmungskampf positioniert, ist derweil noch offen. Konsequenterweise müsste die Linke Ja sagen zu Rasa. Doch am wichtigsten ist den Genossen und ihrer Bundesrätin einfach nur, dass der Spuk endlich vorbei ist. «Statt die Kämpfe der Vergangenheit zu führen, sollten wir besser die Gefahren der Zukunft bekämpfen», sagte SP-Fraktionschef Roger Nordmann (44, VD) diese Woche im BLICK. Diesen Gefallen jedoch wird die Rechte Sommaruga und Co. auf keinen Fall machen.