Raus aus dem Bundeshaus! Die Parlamentarier begaben sich am Mittwoch auf ihr alljährliches Schulreisli. Im Wahljahr sind diese Ausflüge immer auch ein Gradmesser, wie es um die Partei steht. Ist die Stimmung gut, ist die Fraktion jeweils geschlossen beim feuchtfröhlichen Happening dabei. Auch Bundes- und Regierungsräte geben dann gerne ein Stelldichein.
Ist die Atmosphäre mies, verduften viele Politiker nach ein paar Gläsern noch vor dem Nachtessen. Auch die Wahl des Reiseziels kann wahltaktische Gründe haben: Gerne besuchen die Parteien so kurz vor dem Urnengang ihre Hochburgen - wie etwa die SVP den Aargau oder die CVP Luzern.
Schliesslich wird schon jetzt um jede Stimme gekämpft - bereits in vier Monaten wird abgerechnet. Umfragen deuten derzeit auf Verschiebung in Richtung der Grünen und Grünliberalen hin. Die Bürgerlichen hingegen verlieren auf breiter Front. BLICK war bei allen sieben Parteien dabei - und macht anhand von fünf Faktoren den nicht ganz repräsentativen Fitnesstest.
SVP: Kampf um Stimmen statt Feier
Erlebnisfaktor: Mehr Wahlkampf als Erlebnisreise! Die Partei machte aus dem Fraktionsausflug am Abend erstmals ein «SVP bi de Lüt» und traf die Bevölkerung von Zofingen AG. Statt wie üblich in einer Beiz in geschlossener Gesellschaft zu dinieren.
Stimmung: Gesellig, wie immer bei der SVP. Die Stimmung war aber schon heiterer.
Menü: Vor einem Jahr in Genf klagten viele über zu wenig zu essen. Diesmal das pure Gegenteil: Sandwich im Car, Apéro bei der Druckerei Kromer in Lenzburg AG, Aargauer Spezialitäten auf dem Hallwilersee, Fackelspiess in Zofingen. Dazu immer Bier und Wein.
Fitness: Nur gerade 1800 Schritte. «Wenig laufen, viel essen - Ziel erfüllt», sagt der Organisator des Ausflugs, Nationalrat Felix Müri (61).
Promifaktor: Nur etwa die Hälfte der Fraktion reiste mit - und Schwergewichte wie Magdalena Martullo-Blocher (49) glänzten durch Abwesenheit. Dafür gaben sich mit Ueli Maurer (68) und Guy Parmelin (58) gleich beide Bundesräte ein Stelldichein.
SP schnödeten über die GLP
Erlebnis: Die Genossen genossen das Laisser-faire in der Waadt. Zugfahren, mit dem Schiff über den Genfersee gondeln und eine halbe Stunde durch die Weinberge des Lavaux spazieren. Erinnert ein bisschen an die Schulreise in der Primarschule. Nur waren die straffer organisiert.
Stimmung: Mässig. Mit Geschnöde über die Grünliberalen - oder eben die «Grünasozialen». Das Wetter und die Landschaft stimmten aber.
Menü: Der (späte) Apéro war okay, das Znacht der Hammer. Ein feines Lammfilet für die Fleischliebhaber, Tofu für Vegis - bei beiden mit Quinoa. Eine Crème brûlée à la framboise rundete das Essen ab.
Fitness: 7579 Schritte! Die SP präsentiert sich fit fürs Wahljahr. Allerdings kamen einige die steilen Wege die Weinberge hoch arg ins Schwitzen.
Promifaktor: Na ja. Die beiden Bundesräte Simonetta Sommaruga (59) und Alain Berset (47) waren mit von der Partie. Auch die Waadtländer Staatsrätin Rebecca Ruiz (37) liess sich blicken. Von der 54-köpfigen Bundeshausfraktion waren aber nur gut 20 Leute da.
FDP mit unnötigem Sicherheits-«Check»
Erlebnisfaktor: Ab ins Wallis, hiess es für die FDP. Das Dokument mit den Sicherheitsbestimmungen, das im Zug jeder unterschreiben musste, liess auf einen aufregenden Tag hoffen. Was es dann zu bestaunen gab: ein paar Screens in einem leeren Rohbau des Biotech-Konzerns Lonza in Visp VS. Schade, hatte niemand die Badehosen dabei. Sonst wäre immerhin der Apéro im Hotel in Crans-Montana VS - mit Pool - zum Erlebnis geworden.
Stimmung: Der Erste nickte schon nach wenigen Minuten ein. Das sagt genug, oder?
Menü: Nach dem labbrigen Sandwich gings aufwärts. Solides Vier-Gänge-Menü, wobei es das Dessert nur zu lesen gab. Hopp, hopp, der Car fährt!
Fitness: Mentale Fitness beim Parlieren mit den anderssprachigen Parteigschpändli musste reichen. 2300 Schritte.
Promifaktor: Die Bundesräte Karin Keller-Sutter (55) und Ignazio Cassis (58) liessen sich erst auf den Apéro hin blicken und zogen schon vor dem Dessert wieder ab. Von der Fraktion hatte gerade einmal die Hälfte Lust auf das Wallis-Reisli.
CVP blickt in die Sterne
Erlebnisfaktor: Schulreise der Extraklasse: Zugfahren, Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee, Planetarium-Besuch und dann im Schnelldurchlauf durchs Verkehrshaus.
Stimmung: Friedlich wie das weite, weite Weltall, durch das die CVP-Fraktion im Planetarium schneller als die Apollo 11 und das Licht zum Mond flog.
Menü: Kein Astronauten-Food, aber aus Sternenstaub in Form von Mozzarella-Salat, Zander mit Risotto und Pfefferminz-Pannacotta.
Fitness: Wer andere jagen will, muss selber gut laufen - und auch ruhig stehen können. Insofern ist die CVP durchaus fit für die Wahlen: Sie stand auf ihrem Ausflug, im Verkehrshaus, recht viel auf den Beinen, ohne aber weite Strecken zurückzulegen: 6068 Schritte.
Promifaktor: Bundesrätin Viola Amherd (57) schaffte es just aufs Nachtessen. Die 128 Gäste waren auffällig gut durchmischt. Anwesend waren viele ältere CVP-Granden - frühere Parteipräsidenten und alt Parlamentarier, aber auch Richter und Newcomer. Die CVP ist nicht nur eine Familienpartei, sondern selber eine Grossfamilie.
Grüne in Gewinnerlaune
Erlebnisfaktor: Mit einem vegetarischen Sandwich bewaffnet reisten die Grünen nach Basel. Dort guckten sie entweder seltene Pflanzen an oder begaben sich auf einen Stadtrundgang. Der war schwere Kost: Eine Obdachlose zeigte ihre Perspektive Basels und erzählte von ihrem Leben, mit sexuellem Missbrauch und Ausgrenzung - kein Spektakel, dafür Tiefgang.
Stimmung: Die Grünen sind in Gewinnerlaune: Von der Warnung ihres Fraktionspräsidenten Balthasar Glättli (47), nicht auf einen Sieg zu bechern, der noch nicht ist, lassen sie sich nicht die Laune verderben.
Menü: Öko ist auch beim Nachtessen Trumpf: Die Grünen schlagen sich die Bäuche mit einem veganen Menü voll. Die Kichererbsen mit Gemüse und Couscous sind gut, aber auch nicht mehr.
Fitness: Stehen statt gehen war das Motto des Ausflugs: Die Grünen mussten sich wenig bewegen, insgesamt nur 3442 Schritte. Immerhin lobt die Fitness-App: «Kein Sofatag!»
Promifaktor: Wenns um die Präsenz geht, sind die Grünen Musterschüler: Alle Fraktionsmitglieder waren dabei, wenn auch einige mit Verspätung. Mit Promis können die Grünen allerdings weniger punkten, Nationalratskandidatin Tamy Glauser (28) etwa fehlte.
GLP: Staub statt Sonne
Erlebnisfaktor: Von einer feuchtfröhlichen Schifffahrt konnten die Grünliberalen nur träumen. In der grauen Realität gab es Stein, Hitze und Staub in einer Zementfabrik im Berner Jura. Und das, obwohl Parteipräsident Jürg Grossen (49) eigentlich mehr Köpfchen statt Beton will. Immerhin: Die Teilnehmer können jetzt von sich sagen, mal durch den längsten Privattunnel der Schweiz (2,2 Kilometer) gefahren zu sein.
Stimmung: Aufgeräumt - kein Wunder: Gemäss Umfragen gehört die GLP im Herbst zu den Wahlgewinnern. Dieses Selbstbewusstsein war deutlich spürbar.
Menü: Fleisch? Fisch? Oder Vegi? Wie in der Politik: Nicht besonders entschieden, aber für jeden etwas dabei.
Fitness: Man kann auch in einem Zementwerk Kilometer machen: 5243 Schritte.
Promifaktor: Mit aktuellen oder alt Bundesräten kann die GLP nicht aufwarten. Dafür war die achtköpfige Fraktion fast vollständig vertreten. Nicht dabei war der jüngste Neuzugang: Der von der SP übergelaufene Zürcher Nationalrat Daniel Frei (40).
BDP «high» statt im Hoch
Erlebnisfaktor: Dass ehemalige SVPler die Fraktion in eine Hanf-Indooranlage führen, hat schon was für sich. Es war spannend, sie sich die BDPler über CBD-Produkte informierten. Alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (63) fragte sich zwar, weshalb man das Öl konsumieren soll, wenn es gar nicht schmeckt und warum man etwas rauchen soll, das nicht einmal high macht, aber die Diskussionen waren top.
Stimmung: War richtig gut. Entweder die Partei hat sich den letzten Umfragen verwehrt oder man sagt sich: Wenn wir schon untergehen, dann gut gelaunt.
Menü: Das Rind über dem Bielersee war einwandfrei. Die Aussicht über den Bielersee und der Wein phänomenal. Sollte die Partei im Herbst tatsächlich tauchen, hätten die Verantwortlichen eine grosse Zukunft im Tourismus.
Fitness: Speziell fit zeigte sich die Partei nicht. Bloss drei Kilometer legte sie zu Fuss zurück. Dafür war der Anlass umso interessanter.
Promifaktor: Hat die BDP einen Promi? Samuel Schmid (72)? Naja. Er war nicht dabei. Aber halt Widmer-Schlumpf. Was braucht man aktive Bundesräte, wenn man sie in den eigenen Reihen weiss?