Die Fenster sind verriegelt. Auf dem schmucklosen Balkon im Erdgeschoss steht ein Tisch. Darauf ein Bierkarton der Marke Eidgenoss, der von zwei Corona-Flaschen flankiert wird. Die Symbolik muss der Hausherr bewusst kreiert haben. Der Name des Spassvogels: Andreas «Andy» Benz.
Wir stehen vor einem mehrstöckigen Gebäude in der Anlage «Seepark» in Altendorf SZ. Hier schlägt das Herz einer Bewegung, die sich innert weniger Monate in die Schweizer Öffentlichkeit katapultiert hat und durch das T-Shirt eines Regierungsmitglieds zum Thema der Stunde geworden ist: Die «Freiheitstrychler», die Kuhglocken schwingend mit Sennenkutte und Villiger-Stumpen die Demonstrationen gegen die staatliche Corona-Politik prägen.
Am Donnerstag führten sie einen Marsch durch Bern an, der in Randale vor dem Bundeshaus mündete.
Andreas Benz ist der Initiator dieser losen Gruppierung und der Besitzer der Altendörfler Räumlichkeiten. An den Trychler-Umzügen läuft der 47-Jährige vorne mit. Seine sonstigen Tätigkeiten sind weniger bekannt; von Beruf ist er Bauführer. Holz & Bauen Consulting steht neben seiner Klingel. Diesen Titel sucht man im Handelsregister oder im Altendorfer Firmenverzeichnis vergeblich.
Die von Benz und seinen Mitstreitern gegründete Trychler-Bewegung ist quicklebendig, sie hat eine Internetseite und einen emsig genutzten Telegram-Kanal mit über 4000 Abonnenten. Dabei steht die Organisation keineswegs isoliert da. Ebenso wenig entstand sie auf der grünen Wiese – im Gegenteil. Die Trychler betraten bestens vorbereitetes Terrain mit professioneller Infrastruktur.
Digitale Heimat in Glattfelden
Ihre Website stammt von der Firma Hilweb, die in Glattfelden im Zürcher Unterland domiziliert ist. Dahinter steht der IT-Unternehmer Markus Hilfiker. Seine Firma hiess bis vor zwei Jahren High Tech Bits GmbH. Während der letzten 20 Jahre erschuf der 56-Jährige ein Konglomerat von Internetseiten, das um das Portal patriot.ch herum entstanden ist und mit der Covid-Pandemie eine Renaissance erlebt.
Womit die 4000-Seelen-Gemeinde Glattfelden gewissermassen den heimlichen Knotenpunkt des neuen rechten Anti-Establishments bildet.
Vor einigen Jahren geriet der Zürcher in den Fokus von Szenebeobachtern, als seine Firma der rechtsextremen Seite swissdefenceleague.ch eine Weile lang den Server zur Verfügung stellte.
Zu Hilfikers Business gehört auch der Handel mit Domainnamen. Aktuell hat er burka.ch, muslima.ch oder virusinfektion.ch im Angebot.
Heute zählen zu seinem Imperium der viel besuchten Seiten die Adressen 848.ch, patrioten.tube oder patriot.shop. Auf Letzterer finden sich Kaufartikel mit allerlei Schweiztümeleien: Hoodies mit der Aufschrift «Gutmensch-freie Zone» oder «Impfrebell», Camouflage-Leibchen mit dem Bundesbrief-Jahr 1291 oder ein Schweizerkreuz-Kleber mit dem Slogan «Europas Gallier». Ganz neu natürlich Freiheitstrychler-Shirts.
Zu den Bestsellern unter den vaterländischen Devotionalien zählt ein Oberteil mit dem Spruch «Tell wo bist du? Die verfluchten Vögte sind wieder im Land». Was daran liegen dürfte, dass SVP-Bundesrat Ueli Maurer (70) im September 2020 in dem Kleidungsstück posiert hat. Der Werbebooster von höchster staatlicher Stelle sollte nicht der letzte gewesen sein.
Das rechtsnationale Rebellentum wird auch in diversen Telegram-Chats zelebriert, gerade in jenen von patrioten.ch und den Freiheitstrychlern. Die beiden Kanäle unterscheiden sich thematisch in Nuancen und stammen aus derselben Küche. Manche lassen darin nur ihren Frust ab. Andere bemühen in gotischer Schrift die Umstürzler-Rhetorik, flirten mit völkischem Gedankengut, schwingen den Morgenstern oder schwadronieren vom Systemwechsel.
Besessen von Sagengestalt
Und immer wieder: Wilhelm Tell, Wilhelm Tell, Wilhelm Tell. Vielleicht liegt die Obsession daran, dass der Schweizer Nation das verbindende historische Trauma fehlt. Bern war nie der Sitz des osmanischen Paschas wie Budapest im 17. Jahrhundert, und die Türken standen 1683 nicht an der Aare, sondern vor Wien. Also muss die Legende her.
In den Foren tummeln sich besorgte Bürger, Schönwetter-Chauvinisten und Revolutionäre im Schlafrock. Das Spektrum der geteilten Beiträge reicht von SVP-Polterer Andreas Glarner bis zum deutschen Verschwörungsideologen Ken Jebsen.
Die Lust zur Selbstreflexion scheint hier, wie in allen Echokammern, begrenzt zu sein. Ein User namens «Tell1291» appelliert an seine Gleichgesinnten: «Infos über Flacheerde, Ufo Aliens, Chemtrails, Geistheiler, Lichtarbeiter, 5G haben mit dem Coronavirus zu tun, Hitler, Gelber JStern hier im Chat nicht erwünscht.» Na, immerhin.
Es stellt sich die Frage: Wer macht das Geschäft mit dem Merchandising der Glockenschwinger? In ihrem Webshop werden Hemden, Hüte, Tassen und Handyhüllen mit dem Enzian- und Edelweiss-Emblem der Trychler angeboten. Ausserdem findet sich unter dem Spendenaufruf ein Konto mit Altendorfer Verbindung.
Gemäss Register des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) wurde die Marke «Freiheitstrychler» am 17. Mai auf Andy Benz eingetragen («Aufkleber, Webstoffe, Bekleidungsstücke»), gültig bis 2031. Hängig ist ein zweites Gesuch von Benz, um das Logo zu schützen. Als seine Vertretung ist beim IGE eine Firma namens Swissplanet GmbH mit Sitz in Bülach ZH angegeben. Dahinter steckt – Markus Hilfiker.
Öffentlichkeitsscheuer Maskengegner
Obwohl er die Öffentlichkeit mit politischen Inhalten zu beeinflussen versucht, setzt Maskengegner Hilfiker bei sich selbst auf höchste Diskretion. Ein Bild von ihm sucht man in den Archiven vergeblich. Einzig auf Facebook gibt er eine Andeutung seines Gesichts preis.
Seine einzige verbriefte öffentliche Äusserung stammt von 2014 aus einer Gegendarstellung im «Beobachter»: «Ich verkehre weder in rechtsextremen Kreisen noch bin ich militant oder rassistisch. Ich hatte nie einen kahl rasierten Schädel oder Kampfstiefel an. Die GmbH hostet Tausende Webseiten aller Couleur.»
Trychler-Initiator Andy Benz hingegen war in den lokalen Medien schon mehrfach Thema, am Freitag hat ihn sogar die SRF-«Arena» eingeladen. 2017 geriet er in die Schlagzeilen, als er sich einen bizarren Streit mit den Altendorfer Behörden lieferte, die seine Eigentumswohnung zu einem Bastelraum herabstufen wollten. Publizistisch begleitet und unterstützt wurde er dabei vom Rapperswiler Verleger Bruno Hug (67), der heute als Komiteegründer gegen das Mediengesetz Furore macht. Hugs Kompagnon, der Autor Philipp Gut (49), trat am Samstag als Redner am Trychler-Protest in Winterthur auf («Stopp Zensur und Impfdiktatur»).
Sowohl Benz als auch Hilfiker liessen Anfragen von SonntagsBlick unbeantwortet.
Dass der Kreis der Trychler und Patrioten anderen Massnahmen-Gegnern wie Nicolas A. Rimoldis Verein Mass-Voll oder den Freunden der Verfassung nahesteht – geschenkt.
Bemerkenswert ist jedoch die Durchlässigkeit zur grössten Partei des Landes, die fast ein Drittel des Bundesparlaments und zwei Bundesräte stellt. Nationalräte der SVP überbieten sich gegenseitig mit Trychler-Huldigungen.
Der grösste Fan ist und bleibt indes Finanzminister Ueli Maurer. Im Interview mit dem SonntagsBlick rühmte er die Impfgegner vor zwei Wochen als «senkrechte Schweizer». Und diese Woche posierte er, ein Jahr nach seinem Auftritt im Tell-Trikot, in einem Shirt der Freiheitstrychler.
Die kalkulierte Provokation ging auf. In den Chats wird ob des magistralen Segens frohlockt und gejubelt. Noch nie scheint ein Virus so viel Spass gemacht zu haben.