Es war ein Jubeltag für Lesben und Schwule: Am 11. Juni hat sich der Nationalrat überraschend deutlich für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen – und für die Legalisierung der Samenspende für Lesben. Nach über sechs Jahren parlamentarischer Debatten war der Entscheid für die Befürworterinnen und Befürworter ein gesellschaftspolitischer Meilenstein.
Auch in der Bevölkerung ist die Zustimmung zur Heirat von gleichgeschlechtlichen Paaren inzwischen gross. Dennoch ist die «Ehe für alle» noch nicht besiegelt. Wie bei der Ehe braucht es auch im Parlament zwei, die Ja sagen: nach dem National- muss auch der Ständerat einwilligen.
Und Letzterer ziert sich. Die Rechtskommission des Ständerats zweifelt daran, dass der Beschluss der Grossen Kammer rechtlich in Ordnung ist. Lässt sich die «Ehe für alle» wirklich mit einer Gesetzesänderung einführen – oder muss dafür nicht die Verfassung geändert werden?
Ständeräte trauen Juristen des Bundes nicht
Die Ständeräte wollen zu dieser Frage jetzt noch Experten anhören. Das hat die Kommission vergangene Woche beschlossen – zur Überraschung manch eines Nationalrats. Denn die Grosse Kammer hat diesen Punkt längst geklärt. Bereits vor vier Jahren hat das Bundesamt für Justiz (BJ) im Auftrag der Nationalratskommission ein Gutachten erstellt. Die Rechtsexperten des Bundes kommen zum Schluss: Um die «Ehe für alle» einzuführen, ist eine Verfassungsänderung unnötig. Auch der Bundesrat teilt diese Sicht.
Ist das juristische Argument bloss vorgeschoben? Schliesslich steht die ständerätliche Rechtskommission unter der Leitung des als besonders konservativ geltenden Walliser CVP-Ständerats Beat Rieder (57). Er begründet das Vorgehen seiner Kommission damit, dass es inzwischen externe Gutachten von Verfassungsrechtlern geben würde, die zu einem anderen Schluss kämen als das BJ.
«Das Geschäft verdient eine profunde Abklärung, da es gesellschaftspolitisch wichtige Themen betrifft», lässt sich Rechtsanwalt Rieder zitieren. Damit lässt er durchblicken, dass der Nationalrat aus seiner Sicht die Sache nicht genügend vertieft geprüft hat.
«Das ist ein Affront»
Im Nationalrat kommt das Vorgehen der Kollegen im Stöckli nicht gut an. «Der Entscheid der Rechtskommission des Ständerats ist ein Affront gegenüber der Schwesterkommission», sagt GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (41), die zuvorderst für die Öffnung der Ehe kämpft. Man habe die Frage «seriös und umfassend abgeklärt», «was die Ständeräte auch in den Berichten und Gutachten nachlesen können». Bertschy stellt fest: «Ein Stück kommt hier wieder die Abgehobenheit zum Ausdruck, die sich im Ständerat immer mal wieder zeigt.»
Auch Parteikollege Beat Flach (55), Mitglied der nationalrätlichen Rechtskommission, kann den Entscheid des Ständerats nur bedingt nachvollziehen: «Wenn man schon seit sechs Jahren über das Thema diskutiert, kann man uns nicht vorwerfen, einen Schnellschuss gemacht zu haben.» Es gebe viele gute Gründe dafür, nur das Gesetz, nicht aber die Verfassung zu ändern, sagt der Jurist.
Schliesslich kann auch bei einer Gesetzesänderung das Referendum ergriffen werden. Im Gegensatz zu einer Verfassungsänderung ist dann zwar nur ein Volks- und kein Ständemehr nötig. Doch aus Sicht von Flach gibt es bei der «Ehe für alle» auch keinen Grund, weshalb die Kantone ein besonderes Gewicht haben sollten. «Kleine Kantone sind von der Vorlage nicht besonders betroffen und ich bin sicher, die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung sagt heute Ja zur ‹Ehe für alle›.»
Am Schluss entscheidet wohl das Volk
Der Ständerat dürfte wegen der zusätzlichen Abklärungen nun erst im Dezember über die «Ehe für alle» und die Samenspende für Lesben entscheiden. Sollten bei den Anhörungen weitere Fragen auftauchen, könnte sich der Ständeratsentscheid sogar noch weiter verzögern.
Abgeschlossen wird die Debatte aber auch dann noch nicht sein. Denn unabhängig von der Diskussion um Gesetz oder Verfassung: Der Plan des Nationalrats, gleich auch die Samenspende für Lesben zu erlauben, hat im konservativeren Ständerat einen sehr schweren Stand. Eine Volksabstimmung zur «Ehe für alle» – egal ob mit Samenspende oder ohne – gilt zudem schon jetzt praktisch als sicher.