Weil Schweiz bei Verteilung von Rettungsschiff-Flüchtlingen nicht mitmacht
«Nur noch zynisch» – heftiger Rüffel für Bundesrat

Tag für Tag bergen Rettungsschiffe Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Doch Malta und Italien wollen diese Schiffe nicht einlaufen lassen. Verschiedene Länder sind bereit, Migranten nach einem fixen Verteilschlüssel direkt zu übernehmen. Nicht aber die Schweiz.
Publiziert: 26.11.2019 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2019 um 17:15 Uhr
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Nach wie vor versuchen Tausende Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
Foto: AFP
Daniel Ballmer

Für die Genfer Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone (31) ist die Haltung des Bundesrats nur noch zynisch: Die Schweiz ist gegen einen befristeten Verteilschlüssel von aus dem Mittelmeer geretteten Flüchtlingen. «Rein rationell kann ich das nachvollziehen», ergänzt der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri (64). Aber: «Aus humanitärer Sicht gar nicht.»

Nach wie vor versuchen Tausende auf diesem Weg nach Europa zu gelangen. Tag für Tag fischen Rettungsschiffe Schiffbrüchige aus dem Wasser. Manche können aber nur noch tot geborgen werden. Doch: Seit Monaten haben Hilfsorganisationen Probleme, in Häfen von Italien oder Malta einzulaufen. Die beiden Staaten sind nicht mehr bereit, die Hauptlast der Flüchtlingskrise zu tragen.

Schweiz soll zwei Prozent übernehmen

Eine «Koalition der Willigen» mit Deutschland und Frankreich, aber auch Italien und Malta hat deshalb einen Verteilmechanismus vorgeschlagen. An einem EU-Gipfel im Oktober stiess dieser aber auf viel Skepsis.

Gerade auch bei FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (55). Dabei sind die Asylheime in der Schweiz derzeit alles andere als überlaufen.

Gleich mit fünf Motionen hatten Parlamentarier von den Grünen bis zur FDP den Bundesrat aufgefordert, sich am Verteilmechanismus zu beteiligen. So müsste die Schweiz zwei Prozent der Überlebenden von NGO-Rettungsschiffen übernehmen.

«Wir können mehr tun, tun wir es also»

Lange Wartezeiten, die das Leiden der Überlebenden verlängerten, könnten vermieden werden, begründet Fluri seine Haltung.

Gleichzeitig würden die Aufnahmezentren der am stärksten betroffenen Küstenstaaten entlastet, sind sich SP-Nationalrat Carlo Sommaruga (60) und CVP-Ratskollege Guillaume Barazzone (37) einig. Beide sprechen von einer «humanitären Notlage im Mittelmeer».

Die abtretende Zürcher BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti (62,) erinnert an die humanitäre Tradition der Schweiz. Offensichtlich reichten die bisherigen Massnahmen des Bundes nicht aus. «Die Not ist gross. Wir können mehr tun, tun wir es also.»

Bundesrat fürchtet falsches Signal

Die Landesregierung hingegen will von der Unterstützung Italiens und Maltas nichts wissen. Die St. Gallerin Karin Keller-Sutter macht mit ihrer Ablehnung des Schlüssels ihrem früheren Ruf als «Eiserne Lady» alle Ehre. Sie hatte sich diesen in ihrer Zeit als kantonale Justizministerin erarbeitet – gerade wegen ihrer harten Haltung in Asylfragen. Um die Wahl in den Bundesrat zu schaffen, war sie als Ständerätin aber stets darauf bedacht, den Ruf abzulegen.

Keller-Sutter argumentiert, einerseits kämen sowieso weitaus mehr Migranten über Griechenland nach Europa als über die zentrale Mittelmeer-Route. Andererseits würden so auch Personen ohne Asylaussicht auf europäische Staaten verteilt. Für den Bundesrat wäre das ein falsches Signal. Noch mehr Flüchtlinge würden angelockt.

Der Landesregierung ist aber klar, dass das Dublin-System Schwächen hat. Gerade in Krisensituationen könnte es die Erstaufnahmestaaten unverhältnismässig stark belasten. Die Schweiz unterstütze Erstaufnahmestaaten wie Italien deshalb nicht nur finanziell, sondern auch mit Experten. Gleichzeitig aber bleibt für den Bundesrat eine Reform des Dublin-Systems «das vorrangige Ziel».

«Man kann Ertrinkende nicht erst befragen»

Mit den Argumenten des Bundesrats kann Mazzone gar nichts anfangen. «Man kann kaum Ertrinkende fragen, bevor man sie rettet, ob sie ein Asylgesuch einreichen können!», sagt sie. Auch gehe es nur um sehr wenige Menschen, die die Schweiz aufnehmen sollte. «Ich finde es unverantwortlich, dass die Schweiz an dem Verteilmechanismus nicht teilnehmen will.»

Die Notlage bestehe weiter, trotz bisheriger Bemühungen der Schweiz. Deshalb: «Wenn Menschen leiden oder sterben, stehen wir verstärkt in der Verantwortung», findet auch Quadranti. Für sie ist die Haltung des Bundesrats «sehr enttäuschend».

«Das Problem wird sich nicht einfach in Luft auflösen», sagt Fluri. Die Motionäre wollen nun gemeinsam prüfen, wie sie den Druck auf den Bundesrat erhöhen können.

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