«Nehmt der Stadt Bern den Bundesplatz weg!»
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Klimajugend kapert Bundesplatz:Das sagen SP-Funiciello und SVP-Tuena

Klimaaktivisten besetzen Bundesplatz trotz Verbot
Stadt Bern lässt sich auf der Nase herumtanzen

Die Stadt Bern duldet die verbotene Klima-Demo auf dem Bundesplatz vorerst. Das bringt Bundesparlamentarier auf die Palme.
Publiziert: 21.09.2020 um 19:27 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2020 um 15:43 Uhr
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Seit dem frühen Montagmorgen besetzen Hunderte Klima-Aktivisten den Platz vor dem Bundeshaus in Bern.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer, Sermin Faki, Rebecca Spring und Helena Schmid

Bern erlebte gestern eine handfeste Überraschung: Am Morgen besetzten Klimaaktivisten den Bundesplatz. Das, obwohl ­grosse Kundgebungen vor dem Bundeshaus verboten sind, wenn das Parlament tagt – so wie zurzeit. Die Präsidenten von National- und Ständerat haben gestern denn auch gefordert, dass die Stadt den Platz räumen lässt.

Doch die Stadt Bern, der der Bundesplatz gehört, tut nichts dergleichen. «Bis auf weiteres» duldet die Stadtregierung das Protestcamp, wie sie nach «Verhandlungen» mit den Aktivisten mitteilte. Für SVP-Nationalrat Christian Imark (38) ist das Mass nun voll: Per Motion fordert er den Bundesrat auf, die Stadt Bern zu enteignen, den Bundesplatz zu übernehmen und dort künftig selber Recht und Ordnung durchzusetzen.

Denn die Stadtberner Regierung lasse immer häufiger ­ Chaoten gewähren. Das gefährde die «verfassungsmässige Ordnung» und das Vertrauen in die Bundeshauptstadt, so Imark. «Dieser Umstand ist absolut inakzeptabel und peinlich für die ganze Schweiz als Rechtsstaat.» Sein Fraktionschef Thomas Aeschi (41) wirft der Bundesstadt Ideologie vor. «Bei linken Anliegen sieht die Stadt weg, bei rechten wird scharf geprüft und gebüsst.» So habe die SVP auf dem Bundesplatz kürzlich eine Kundgebung zur Begrenzungs-Initiative durchführen wollen und sei abgeblitzt.

Vorerst wird nicht geräumt

Die Stadtberner Regierung setzt bislang auf Dialog. Sie will, dass die Klimaaktivisten freiwillig abziehen und ihr Protestcamp auf die Schützenmatte vor der Reitschule verlegen. Ob die Aktivisten auf das Angebot eingehen, ist eher fraglich. Zwar wollen sie für den Wochenmarkt, der jeden Dienstag auf dem Bundesplatz stattfindet und in Bern heilig ist, Platz machen. Man werde bis am Morgen alle verschiebbaren Teile des Protestcamps «zur Seite schieben». Doch nach dem «Märit» wollen die Klimaschützer den gesamten Platz wieder zurückerobern – und bis Freitag dort ausharren.

Auch wenn Stadtpräsident Alec von Graffenried (58) ein «Problem» in der Besetzung des Platzes sieht, tut sich die links-grüne Regierung der Bundesstadt einmal mehr schwer, durchzugreifen. Zwar stellt sie den Besetzern ein Ultimatum bis heute Mittag und bietet ­ihnen den nahen Waisenhausplatz als Alternative an. Doch was, wenn die Aktivisten nicht abziehen? Dann will sich die Stadtregierung zu einer ausserordentlichen Sitzung treffen. Bis dahin wird nicht geräumt.

Anders tönt es aus dem Bundeshaus. Das Parlament rief Stadt und Kanton Bern dazu auf, schnellstmöglich für die Einhaltung des geltenden Rechts auf dem Bundesplatz zu sorgen. «Die Veranstaltung ist verboten», stellte Ständeratspräsident Hans Stöckli (68) klar. Die Parlamentsspitze hat Bern allerdings keine Frist gesetzt. «Es liegt in der Verantwortung der Stadt Bern, wie und bis wann die geltende Rechtsordnung wiederhergestellt wird», so Stöckli. Man verfolge die Entwicklung gespannt.

Kein Verständnis von rechts

Parlamentarier greifen zu weniger diplomatischen Worten. SVP-Nationalrat Andreas Glarner (58) forderte die sofortige Räumung. Und selbst CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (44), inhaltlich ziemlich auf Linie mit den Klimastreikenden, findet: «Hört auf mit dem Scheiss auf dem Bundesplatz, den ihr ‹zivilen Ungehorsam› nennt.»

Doch nicht nur die Klimaaktivisten, auch das Demonstra­tionsverbot erntet im Parlament Kritik. «Höchst problematisch» findet es etwa SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (30) gar – und zwar egal, wer demonstrieren wolle. «Warum sollen Bürger ausgerechnet dann, wenn ihre Vertreter im Bundeshaus sind, nicht ihre Anliegen einbringen können?», fragt die Bernerin und fordert, dass das Demonstrationsrecht stets Bestand haben muss – «ob etwas im Bundeshaus läuft oder nicht».

Auch Grünen-Fraktionschefin Aline Trede (37) sieht das so. «Die Bevölkerung soll uns mitgeben können, was wir im Bundeshaus diskutieren sollen», sagt sie. Die Bernerin hat sogar mehrere Vorstösse zum Thema eingereicht – war aber nie erfolgreich.

Christian Imark hingegen könnte mehr Erfolg haben. Wenn die Klimajugend noch lange auf dem Platz bleibt und die Stadt Bern sich auf der Nase herumtanzen lässt, dürften einige Parlamentarier geneigt sein, seiner Forderung nach einer Enteignung zuzustimmen.

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