Die Schweiz erhält eine Galgenfrist: Der Europarat hat unser Land am Dienstag wegen seiner miserablen Frauenvertretung gerügt. Dies, weil mit der Grünen Sibel Arslan (39) und der SP-Frau Ada Marra (46) weiterhin nur zwei Frauen in der zwölfköpfigen Schweizer Delegation sitzen.
Doch dieser klare Verstoss gegen die Regeln des Europarats wird nicht ewig geduldet. Derzeit schreiben die Europaratsregeln vor, dass sich der Frauenanteil im nationalen Parlament auch in der Europaratsdelegation widerspiegeln muss. Entsprechend wurde bereits am Montag in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Einsprache gegen die Schweiz erhoben.
Schweizer «Schande»
Die österreichische Abgeordnete Petra Bayr (51, SPÖ), die die Einsprache gegen die Schweiz eingereicht hatte, sprach von einer «Schande», dass unser Land ausgerechnet nach dem Frauenstreik praktisch nur Männer nach Strassburg schicke.
Die Einsprache führte zu hitzigen Diskussionen. Pierre-Alain Fridez (61), SP-Nationalrat und Chef der Schweizer Delegation, musste am Dienstagmorgen gar vor der Reglementskommission des Europarats antraben – und erklären, weshalb die Schweiz fast nur Männer nach Strassburg schicke, obwohl nie zuvor so viele Frauen wie heute in unserem Parlament sässen.
Schweiz mogelt sich durch
Kurzfristig konnte die Schweiz ihren Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen. Denn die Reglementskommission verzichtet vorerst auf Sanktionen gegen die Eidgenossenschaft. Immerhin erfülle unser Land die Minimalforderung: Mindestens eine ständige Vertreterin. Jede Länderdelegation besteht aus ständigen Vertretern und derselben Anzahl Stellvertretern.
Doch die Kommission gestand selber ein, dass die derzeitige Situation «unbefriedigend» sei. Das bewog den Europarat schliesslich dazu, eine umfassende Überarbeitung der Gleichstellungsregeln in Auftrag zu geben. Die neuen Frauenregeln sollen griffiger sein und wohl mit zwingenden Sanktionen verknüpft werden.
«Lex Helvetia»
Damit ist klar: Die Schweiz ist nicht aus dem Schneider. Unser Land hat mit dem krassesten Verstoss gegen die aktuellen Regeln nicht nur die Neuregelung ins Rollen gebracht – weshalb gar von einer «Lex Helvetia» gesprochen werden kann.
Die Schweizer Delegation muss sich auch darauf vorbereiten, bereits nächstes Jahr erneut am Pranger zu stehen. Denn wenn sich die Delegationsmitglieder wieder vor dem Europarat vereidigen lassen müssen, könnte die neue Frauenquote schon in Kraft sein, sagt die abtretende Europaratspräsidentin Liliane Maury Pasquier (63, SP): «Spätestens dann müssten zwei Männer zurücktreten und durch Frauen ersetzt werden.» Geschieht dies nicht, würde unser Land doch noch bestraft.
Frauen einen Bärendienst erwiesen
Peinlich für unser Land ist die Frauenmisere aber so oder so. Für Liliane Maury Pasquier ist das Kommissionsurteil denn auch unverständlich. Die Genferin sagt: «Indem die Kommission keine Strafen ausspricht, erweckt sie den Eindruck, dass ihr die Gleichstellung der Geschlechter und die Einhaltung der Regeln nicht wichtig sind.»
Ausschlaggebend für den Verzicht auf Strafen dürfte Schweden gewesen sein, das wie die Schweiz wegen zu weniger Vertreterinnen am Pranger stand: Zwar gehört die schwedische Delegation mit einem Frauenanteil von 42 Prozent zu den Spitzenreitern im Europarat. Doch weil die Frauen im nationalen Parlament mit fast 50 Prozent noch stärker vertreten sind, hätte man – gemäss den Europaratsregeln – auch das nordische Land bestrafen müssen.
FDP-Fiala redet Partei ins Gewissen
Es ist also im Sinn der Schweiz, dass die bürgerlichen Parteien CVP, FDP und SVP rasch weibliche Delegierte für Strassburg einwechseln. Die FDP-Nationalrätin Doris Fiala (63) nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund: «Wir Bürgerlichen müssen uns selber an der Nase nehmen. Wir sträuben uns immer so lange gegen internationale Standards, bis wir von der Realität eingeholt werden.» Nun sei das auch bei den Gender-Regeln im Europarat der Fall. «Ich bedaure das sehr!», sagt die FDP-Frauen-Präsidentin.
Und Fiala kritisiert weiter: «Das Problem beginnt bereits damit, dass wir im Ständerat mit Johanna Gapany überhaupt nur eine FDP-Frau haben.» Sie betone seit Jahren, wie wichtig es sei, die Frauen bereits in den Kantonen zu fördern und so auf die nationale Ebene zu bringen. Und sie rügt auch die Kantonalsektionen: Es sei an den FDP-Kantonalparteien, mehr in die Frauenförderung zu investieren. «Heute reiben wir uns verwundert die Augen, doch Risiko- und Chancenmanagement verlangt intensiveres Vorausschauen – auch in der Politik!»