Wegen Corona-Notlage
Verschiebt Bundesrat die Zuwanderungs-Abstimmung?

Diese Woche dürfte der Bundesrat entscheiden, ob die Abstimmungen am 17. Mai stattfinden oder verschoben werden. Die Linke plädiert für Durchführung. Die SVP will den Bundesratsentscheid mittragen – egal, wie er ausfällt.
Publiziert: 18.03.2020 um 07:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2020 um 16:25 Uhr
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Foto: keystone
Ruedi Studer und Nico Menzato

Der Bundesrat werde bald entscheiden, ob die Abstimmungen vom 17. Mai stattfinden oder verschoben werden. Dies sagte Bundesratssprecher André Simonazzi (52) am Montag. Mitte Mai sollten drei Vorlagen an die Urne kommen: das Jagdgesetz, die Steuerabzüge für Kinderbetreuung und die SVP-Initiative «für eine massvolle Zuwanderung». Diese verlangt die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU.

BLICK weiss: Schon heute oder spätestens am Freitag will der Bundesrat über die Verschiebung diskutieren, wie mehrere Quellen bestätigen. Ob er auch schon einen Entscheid fällt, ist offen. Doch angesichts der Notlage ist die Verschiebung eine ernsthafte Option. Zur Diskussion steht auch, ob man mit einem Entscheid noch eine Woche zuwarten soll, um mit einer allfälligen Verschiebung nicht das heikle Signal auszusenden, dass die Corona-Krise noch länger andauern könnte als erwartet. Die Parteien aber drängen auf eine rasche Klärung.

Abstimmungen auch im Zweiten Weltkrieg

SP-Fraktionschef Roger Nordmann (46) hält eine Verschiebung derzeit für unnötig. «Selbst im Zweiten Weltkrieg haben wir Abstimmungen durchgeführt. Wir können brieflich abstimmen, daher haben wir keine Probleme mit grossen Menschenansammlungen vor Wahllokalen wie etwa in Frankreich.»

Auf den Abstimmungskampf auf der Strasse müsste aber weitgehend verzichtet werden, so Nordmann. «Es gibt aber genügend Alternativen für eine öffentliche Debatte.» Er denkt dabei an soziale wie auch klassische Medien. «Die Krise zeigt, dass sich die Leute informieren.»

Weitere Unsicherheit für Wirtschaft

Ihm geht es auch darum, die Kündigungs-Initiative der SVP so rasch wie möglich vom Tisch zu haben. «Die Initiative löst keine Probleme, sondern ist eine echte Problembeschaffungsmaschine. Sie schafft Unsicherheit und hängt wie ein Damoklesschwert über der Wirtschaft.» Diese Unsicherheit müsse man gerade auch angesichts der Corona-Krise rasch beenden.

«Ich tendiere eher dazu, die Abstimmungen am 17. Mai durchzuführen», sagt der Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (48). Die Abstimmung könne ja per Post stattfinden, und niemand müsse an die Urne. Es ginge allerdings sicher viel länger, um die Abstimmungszettel auszuzählen, weil in den Wahlbüros strenge Vorsichtsmassnahmen eingehalten werden müssten. Sollten die Kantone dies nicht garantieren können, müsste die Abstimmung verschoben werden, so der Zürcher.

Auch ein Abstimmungskampf ist gemäss Glättli möglich. Podien und Abstimmungskampf auf der Strasse würden zwar fehlen. «Aber die Medien funktionieren weiter. Streitgespräche könnten via Videokonferenzen durchgeführt werden, und auch das Publikum könnte so einbezogen werden.»

Wem hilft eine Durchführung?

Wäre die Abstimmung jetzt oder in zwei bis drei Wochen, dürfte die Blocher-Partei wohl profitieren. Eine Situation der Angst und der Verunsicherung nützt im Normalfall der SVP. Zudem können Zuwanderungskritiker jetzt betonen, das Böse komme aus dem Ausland – und kritisieren, die Schweiz hätte schon viel früher die Grenzen schliessen müssen.

Doch der Urnengang ist erst in zwei Monaten. Und deshalb dürfte die SVP einen schweren Stand haben. Die Zuwanderungszahlen werden in den nächsten Monaten massiv sinken. Die allerwenigsten Firmen in der Schweiz werden in der momentanen Notlage neue Arbeitskräfte aus dem Ausland einstellen.

Auch die Asylzahlen werden wohl weiter sinken. Laut Justizministerin Karin Keller-Sutter (56, FDP) müssen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Asyl beantragen. Das heisst, dass Asylsuchende keine Möglichkeit mehr haben, über die Binnengrenzen in die Schweiz zu kommen, um hierzulande ein Gesuch zu stellen. Dies wird einen Einfluss auf die Gemüter der Schweizer haben, auch wenn die SVP-Vorlage nichts mit dem Asylwesen zu tun hat.

Grenzgänger wichtig im Gesundheitswesen

Zudem zeigt die Corona-Epidemie: Wenn es nötig wird, kann die Schweiz die Grenze dichtmachen. Eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung ist also trotz Personenfreizügigkeit möglich – wenn es denn wirklich nötig ist. Auch wird den Schweizern momentan vor Augen geführt, wie wichtig Grenzgänger sein können. Etwas im Tessiner Gesundheitswesen, das ohne italienische Pfleger schon jetzt am Anschlag wäre.

Erschwerend kommt für die SVP dazu: Die wenigsten Schweizer dürften der Wirtschaft mit einem Ja zur Kündigungs-Initiative eine weitere Unsicherheit aufbürden wollen. Viel eher ist die Schweiz in den nächsten Wochen auf eine gute Kooperation mit der EU angewiesen. Etwa dann, wenn hierzulande die Schutzmasken ausgehen sollten.

SVP ohne Forderung

Entsprechend zurückhaltend gibt sich die SVP: «Entscheidend ist für uns nicht der Abstimmungstermin, sondern der Schutz der Bevölkerung», sagt Fraktionschef Thomas Aeschi (41). Den Entscheid müssten die Gesundheitsexperten treffen – und man werde diesen mittragen, «egal, ob der Bundesrat am 17. Mai festhält oder die Abstimmung auf den nächsten regulären Abstimmungstermin verschiebt».

Wichtig sei aber, dass der Bundesrat rasch entscheidee. «Die Parteien müssen wissen, ob sie ihre Kampagnen anpassen oder allenfalls aussetzen müssen. Wir brauchen eine rasche Klärung.»

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