Wasserpreise im Klimastress
Zahlt der Poolbesitzer bald mehr als der Landwirt?

Die vergangenen Jahre waren viel zu trocken. Das wirft viele Fragen zur Trinkwasserversorgung auf. Das sind die wichtigsten Antworten.
Publiziert: 16.08.2023 um 17:12 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 14:19 Uhr
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Trinkwasser im Überfluss ist in der Schweiz eine Selbstverständlichkeit. Wasserreservoir Lyren in Zürich Altstetten.
Foto: Keystone
Peter Rohner
Handelszeitung

Von den 60 Milliarden Kubikmeter Wasser, die jedes Jahr in Form von Schnee und Regen auf die Schweiz fallen, werden nur gerade drei Prozent genutzt. Der Rest fliesst über die Flüsse ins Ausland ab oder verdunstet.

Man kann sich angesichts dieses Überflusses schlecht vorstellen, dass Wasser in der Schweiz knapp werden könnte. Vor allem jetzt, nach regnerischen Augusttagen. Der Juli wartete jedoch mit neuen Hitzerekorden auf.

Auch sah die Lage vor einem Jahr ganz anders aus. Wegen der akuten Trockenheit durften Landwirte zum Teil kein Wasser mehr aus den fast ausgetrockneten Bächen entnehmen. Im neuenburgischen Enges wurde wegen der Wasserknappheit sogar ein Baustopp verfügt. Viele Alpbetriebe legen Zisternen an, um sich gegen die Trockenheit zu wappnen.

Vom Überfluss in die Knappheit – was stimmt jetzt genau? Haben wir Schweizerinnen und Schweizer genug oder zu wenig Wasser? Wie wirkt sich der Klimawandel aus? Und was bedeutet das für die Preise? Wir klären die wichtigsten Fragen zum Trinkwasser:

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Wird in der Schweiz das Wasser knapp?

Spätestens seit letztem Sommer ist das Thema Wasserknappheit in der breiten Bevölkerung angekommen. 2022 war das wärmste Jahr seit Aufzeichnung. Am Rheinfall floss um diese Zeit weniger Wasser als im Hitzesommer 2018, Bäche trockneten aus und der Grundwasserspiegel sank auf historische Tiefststände. Vereinzelt versiegten Quellen, in einigen Kantonen kam es gar zu Versorgungsengpässen. Im Tessin und Neuenburg waren Tankwagen im Einsatz. 19 Kantone riefen zum Wassersparen auf.

Der Untersee vor einem Jahr in Triboltingen in der Nähe von Kreuzlingen. Der Pegel lag bei 394,80 Metern über Meer und war damit so tief wie noch nie im August seit Beginn der Aufzeichnungen 1886. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Foto: Keystone

Solche Verhältnisse werden in der Zukunft häufiger vorkommen, schätzen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserwirtschaft erforscht haben. Ihr Fazit: Mit schneearmen Wintern, mehr Trockenperioden und Hitzewellen steigt die Gefahr, dass die Schweiz zumindest im Sommer und lokal in den Wasserstress gerät.

Nassere Winter, trockenere Sommer

Das Wasserangebot insgesamt wird sich gemäss den Klimaszenarien bis Ende des Jahrhunderts in der Schweiz zwar nicht massgeblich ändern, wohl aber die saisonale Verteilung: Bäche und Flüsse führen mehr Wasser im Winter, dafür weniger im Sommer, weil weniger Schmelzwasser aus den Bergen abfliesst und es längere Trockenperioden gibt.

Auch Grundwasser bildet sich in Zukunft eher im Winter als im Sommer. Das Abschmelzen der Gletscher führt gemäss Modellrechnungen bis Mitte des Jahrhunderts zu mehr Schmelzwasser, danach zu weniger. Der Effekt ist für die Gesamtwassermenge jedoch vernachlässigbar.

Verteilkämpfe ums Wasser

Das Wasser wird uns also nicht so bald ausgehen, aber die Konflikte über die Nutzung und die Verteilung in den Trockenperioden werden zunehmen. «Grundwasservorkommen haben wir genug, aber nicht immer am richtigen Ort», sagt Christos Bräunle, Kommunikationschef des Fachverbands für Wasser, Gas und Wärme (SVGW). Umso wichtiger sei eine bessere Vernetzung, auch über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg.

Beim Schweizerischen Gemeindeverband geht man davon aus, dass die Preise durch die zunehmende Wasserknappheit in Zukunft steigen werden. Es wird auch über saisonale Preiserhöhungen der Wassertarife diskutiert, abgestuft nach Nutzungszweck. Wer seinen Pool füllen will, bezahlt dann mehr als der Landwirt, der das Wasser für die Felder braucht.

Um der Wasserknappheit in den einzelnen Regionen entgegenzuwirken, könnten auch das Speichervolumen der Seen und künstlichen Reservoirs besser genutzt werden, kommt eine Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zum Schluss. Doch dies käme der Wasserkraft in die Quere.

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Wie ist die Trinkwasserversorgung geregelt?

Der Bund gibt die Regeln vor, etwa dass «Wasser nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung einhält». Doch die Wasserversorgung ist eine kommunale Angelegenheit. Schweizweit sorgen zwischen 2500 und 3000 Wasserwerke für Frischwasser. Das können Gemeinden und Städte oder private Wasserversorger mit öffentlichem Auftrag sein.

Die Wasserversorgung ist komplett gebührenfinanziert, es fliessen also keine Steuergelder. «Die Wasserwerke arbeiten nicht gewinnorientiert, aber sie müssen Rückstellungen bilden für zukünftige Investitionen», erklärt Bräunle vom SVGW.

Meist fliesst Grundwasser aus den Wasserhähnen

80 Prozent des Leitungswassers werden dem Grundwasser entnommen. Dieses kann zum grössten Teil unbehandelt oder nach einfacher Aufbereitung zum Beispiel durch UV-Bestrahlung als Trinkwasser abgegeben werden. 20 Prozent kommen aus Oberflächenwasser und müssen weitergehend aufbereitet werden.

Der grössten Kostenblock ist das Leitungssystem mit Pumpen und Reservoirs. Weil die Preise hier so hoch ausfallen, rechnet es sich nicht, ein separates Netz für Nichttrinkwasser zu erstellen. Im Umkehrschluss heisst das, dass aus praktisch jedem Hahn und Brunnen Trinkwasser fliesst – auch wenn nur ein Bruchteil davon effektiv getrunken wird. An der gleichen Wasserversorgung hängt übrigens auch der Brandschutz: Jeder Hydrant muss permanent über genügend Wasserdruck verfügen, um im Notfall einsatzbereit zu sein.

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Was kostet uns das Wasser – und sind private Lösungen billiger?

Grob gilt: 1 Kubikmeter Wasser kostet etwa 2 Franken. Wegen der unterschiedlichen Topografie, Druckzonen und Verästelung des Leitungssystem ist die Varianz aber sehr gross. Die Spanne reicht von 50 Rappen bis 8 Franken pro Liter, je nach Gemeinde. Ausserdem sind wegen der verschiedenen Gebührenmodelle Preisvergleiche kompliziert. In der Tendenz aber bezahlen Konsumenten von grossen Versorgern in den Städten etwas mehr, weil diese oft mehr Seewasser aufbereiten.

Der Preisüberwacher hat jüngst die Tarife von Städten und Ballungsräumen untersucht. Demnach bezahlen Haushalte in St. Gallen, Kloten ZH oder Horgen ZH viermal so viel wie in der Walliser Hauptstadt Sion, wo kein Seewasser aufbereitet werden muss.

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Wie gut ist die Qualität?

Schweizer Wasser hat einen guten Ruf. Auch im neusten WHO-Bericht erhält das Schweizer Trinkwasser gute Noten. Auf trinkwasser.ch lässt sich die jeweilige Qualität am Wohnort abrufen. «Hahnenwasser kann man überall bedenkenlos trinken,» sagt SVGW-Sprecher Bräunle. Und gemäss Michael Schärer, Sektionschef Grundwasserschutz das Bafu, ist Leitungswasser vergleichbar mit Mineralwasser. Bei beiden sei die Chemikalienbelastung sehr gering.

Das war nicht immer so. Noch in den 1980er-Jahren wurde vom Schwimmen im Rhein abgeraten. Zu gross war die Verunreinigung durch Phosphor und Nitrat, weil viele Abwässer ohne Reinigungsanlagen in die Flüsse gelangten. Auch sauberes Hahnenwasser war lange Zeit nicht in der ganzen Schweiz selbstverständlich. Die mikrobiologische Verunreinigung hat man in den 1970er-Jahren in den Griff bekommen, mit UV-Anlagen oder Chlor.

Völlig reines H2O ist unser Wasser aber auch heute nicht. Es gibt Spurenstoffe, etwa Nitrat und Pestizide aus der Landwirtschaft, die vor allem in ländlichen Gemeinden ein Problem sein können, oder PFAS aus der Industrie. PFAS (sprich Pefas) sind per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, die extrem langlebig sind. Wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften kommen PFAS in zahlreichen Alltagsprodukten zum Einsatz, etwa in Teflonpfannen, Papierbeschichtungen, Regenjacken oder Kosmetika.

Laxe Schweizer Grenzwerte

«Die Konzentrationen sind sehr niedrig, aber diese chemischen Stoffe bleiben lange bestehen und man kann sie nicht so einfach entfernen oder zerstören», sagt Bräunle. An einzelnen PFAS-Hotspots würden Aktivkohlefilter eingesetzt, aber das sei sehr energieintensiv und viel teurerer als mikrobiologische Verfahren.

Von den verschiedenen PFAS sind Perfluoroctansäure (PFOA) sowie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) am besten erforscht. Sie stehen laut dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung im Verdacht, Krebs zu verursachen, und ihr Einsatz ist seit 2010 und 2020 in Europa verboten. Doch das Problem ist, dass sie sich nur langsam abbauen. Das zeigt auch eine Untersuchung des Konsumentenmagazins «K-Tipp»: Über die Hälfte der von der Leserschaft eingereichten Proben waren belastet, vor allem jene aus Ballungszentren.

Die Proben liegen jedoch innerhalb der Schweizer Grenzwerte. Das liegt aber vor allem daran, dass diese viel höher sind als etwa jene in den USA. Auch die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa ist viel strenger. Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft werden deshalb die schweizerischen Grenzwerte überarbeitet.

Moderate Schweizer Preise

2 Franken pro 1000 Liter – ist das jetzt viel? In Deutschland werden im Schnitt etwa 1,50 Euro verrechnet, angesichts der grösseren Kaufkraft sind die 2 Franken hierzulande sicher nicht überrissen. Doch wären noch billigere Tarife möglich, wenn mehr privatisiert würde?

Die Frage über die Privatisierung der Wasserversorgung dürfte spätestens dann wieder akut werden, wenn die Gebühren wegen des grossen Investitionsbedarfs steigen. Der ETH-Professor Max Maurer schätzt, dass in den nächsten dreissig Jahren 130 Milliarden Franken für die Sanierung der Wasserversorgung nötig sein werden. «Wenn das stimmt, dann stellt sich die Frage, ob das noch über Gebühren gestemmt werden kann», sagt Samuel Rutz, Experte für Wettbewerbs- und Regulierungsfragen beim liberalen Think-Tank Avenir Suisse. Dann würden schnell Rufe laut nach Subventionen oder Krediten vom Staat.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Genau genommen ist Wasser ja kein öffentliches Gut, das zwingend vom Staat bereitgestellt werden muss. Denn es besteht eine Rivalität im Konsum, und Dritte können vom Konsum ausgeschlossen werden. Typisches Beispiel für ein öffentliches Gut wäre ein Leuchtturm, dessen Signal für alle sichtbar ist (keine Rivalität im Konsum) und nicht schwächer wird, wenn es von mehr Leuten genutzt wird (Nicht-Auschliessbarkeit).

Bei der Wasserverteilung und damit dem grössten Block der Wertschöpfungskette handelt es sich aber um ein natürliches Monopol. Es ist effizienter, wenn dies von nur einem Akteur bereitgestellt wird. Die Frage ist, ob der Staat selbst die Versorgung erbringen soll oder ob er Private damit beauftragen kann, die effizienter sind.

Zug setzt auf eine private Lösung

Es gibt durchaus Beispiele, wo die Privatisierung oder die Beteiligung von Privaten an der Wasserversorgung funktioniert. Die Wasserwerke Zug etwa sind zu rund 70 Prozent in privater Hand. Die Qualität hat darunter nicht gelitten, die Preise sind mit jenen in anderen Städten vergleichbar. Schlechte Erfahrungen mit der Privatisierung hat hingegen Berlin gemacht. Nach der Privatisierung 1999 stiegen die Wasserpreise und die Betriebe wurden 2011 rekommunalisiert.

Es ist ein Beispiel, auf das Privatisierungsgegner gerne verweisen. Doch Rutz relativiert: «Es wird vergessen, dass der Privatisierung oft Unvermögen und Finanzknappheit des Staates vorausgingen. So wie in Berlin, wo der Staat auf das schnelle Geld hoffte.»

Rutz plädiert für eine nüchterne, ideologiefreie Diskussion über die Vor- und Nachteile privater und staatlicher Lösungen. Die grosse Kunst sei es, die Märkte so zu gestalten, dass die dynamischen Anreize für die Anbieter nicht zerstört werden. «Dabei ist der Staat nicht per se ein fairer Akteur, und auch eine Deregulierung schafft nur die gewollten Anreize, wenn sie richtig gemacht wird.»

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Wird mehr abgefülltes Wasser getrunken und wer verdient daran?

Aus dem Boden quellendes Wasser in Flaschen abfüllen und teuer verkaufen – das ist wohl die simpelste Geschäftsidee, aber auch eine der lukrativsten. Weltweit werden pro Jahr etwa 400 Milliarden Liter abgefülltes Wasser verkauft und damit fast 300 Milliarden Dollar umgesetzt. Die Weltkonzerne Pepsico, Coca-Cola, Nestlé und Danone haben zusammen einen Marktanteil von knapp einem Viertel. Der grösste Teil des global konsumierten Flaschenwassers wird jedoch von den lokalen Detailhändlern unter eigener Marke abgefüllt und verkauft.

Das Wasser-Business ist aber auch umstritten, weil es die lokale Trinkwasserversorgung konkurrenziert und gerade in ärmeren Ländern die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung zu viel bezahlt für etwas, das gratis aus dem Boden kommt. In Regionen, wo Wasser ohnehin schon knapp ist, kann die kommerzielle Entnahme der Landwirtschaft das Grundwasser entziehen. Ein Vorwurf, mit dem Nestlé im Dokumentarfilm «Bottled Life» im Zusammenhang mit den Abfüllanlagen in Pakistan konfrontiert war. Auch im französischen Vittel sinkt der Grundwasserspiegel, was Nestlé dazu bewogen hat, die Wasserentnahme etwas zu reduzieren. In Deutschland hat der Nahrungsmittelkonzern aus Vevey unterdessen das umstrittene Vittel-Wasser vom Markt genommen.

Nestlé, Coop und Migros sind gross im Geschäft

In den USA hat sich Nestlé aus dem Wassergeschäft zurückgezogen und 2021 die US-Marken verkauft. Dadurch hat sich der Umsatz von 7 auf 3,5 Milliarden halbiert. In der Schweiz ist Nestlé mit europäischen Marken wie Perrier und San Pellegrino vertreten, 2007 übernahm Nestlé dazu die Schweizer Firma Henniez. Die anderen Branchenführer sind die Migros mit Aproz, Coop (Alpina und Aquina) und Valser, das zu Coca-Cola gehört.

Obwohl Leitungswasser in Trinkwasserqualität hierzulande eine Selbstverständlichkeit ist, hat sich der Konsum von abgefülltem Wasser in den letzten dreissig Jahren fast verdoppelt. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist jedoch seit Mitte der Nullerjahre leicht zurückgegangen, von rund 120 auf 110 Liter pro Jahr.

Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz beim Flaschenwasserkonsum im Mittelfeld, leicht unter dem Durchschnitt der EU. Mit rund 200 Litern ist der Konsum in Italien doppelt so hoch. Je nördlicher, desto kleiner scheint der Durst auf Mineralwasser. In Schweden und Finnland werden weniger als 20 Liter pro Kopf und Jahr getrunken. Je nach Statistik und Quelle ist Singapur das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Flaschenwasserkonsum.

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