Etwas blendet Maria T.*, als sie an einem Sommertag 2016 mit ihrem Partner eine Bäckerei verlässt. Der Lichtstrahl kommt von der anderen Strassenseite, aus einem schwarzen BMW X5 mit Zuger Autokennzeichen. Dann realisiert sie, was da geleuchtet hat: ein Teleobjektiv.
Ihr gefriert das Blut in den Adern. Sie fragt sich: Ist er mir auf den Fersen? Beobachtet er mich?
Er, das ist ein krimineller Drittstaatenangehöriger, der sie ein Jahr zuvor in einer Schweizer Stadt mit der Waffe bedroht hatte. Minutenlang war die geladene Pistole auf sie gerichtet, ehe er in die Luft schoss. Der Täter wurde gefasst und kassierte ein Jahr Gefängnis. Vor Gericht schwor er ihr Rache.
Seither leidet T., eine attraktive Frau um die 30, an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie hatte schlaflose Nächte und Albträume, kann nicht alleine zu Hause sein und war auf psychiatrische Hilfe angewiesen. Auch plötzliche, laute Geräusche machen ihr Probleme. Ihren Job im Eventmanagement gab sie auf. Aus Angst hat sie den Wohnort gewechselt.
Ihre Unfallversicherung übernahm die Leistungen. Aber nur bis Ende April 2016. Nach so einem Ereignis dauere der Heilungsprozess drei bis sechs Monate, begründete die Krankenkasse. Eine Abklärung habe ihr Versicherer nicht gemacht, sagt T. Sie reicht Beschwerde gegen den Stopp der Zahlungen ein.
Im Auftrag der Versicherung beschattet
Ende Juli 2016 flattert ein Schreiben ins Haus: Ihr Rekurs werde abgewiesen und: «Unabhängig davon haben wir Sie im Zeitraum vom 28. Juni bis 19. Juli überwacht.»
Jetzt ist ihr klar, dass das Teleobjektiv vor der Bäckerei einem Detektiv gehörte, der sie im Auftrag der Versicherung beschattete. Im Observationsbericht heisst es dazu: «Nach einem Kleineinkauf in der Konditorei kehren MT sowie ihr Begleiter zum Personenwagen zurück.»Sie sieht ihr Alltagsleben jenes Monats mit Kurzeinträgen und verwackelten Fotos festgehalten. «MT und ihre Begleitperson verlassen das Herrenkonfektionsgeschäft und kehren zum Personenwagen zurück. Weiterfahrt», heisst es etwa.
Als sie mit ihrem Partner in einem Restaurant sitzt, attestiert ihr der Detektiv «ein natürliches und durchaus selbstsicheres Kommunikationsverhalten mit einer durchaus authentischen Artikulation». Die Botschaft des privaten Detektivunternehmens ist klar: T. simuliert. Sie sagt: Das sei ein Geschäftsessen ihres Partners gewesen.
Gerichtshof für Menschenrechte erklärte die Schnüffeleien für unzulässig.
An einer anderen Stelle wird festgehalten: «14.20 Uhr: Als Einzelperson sitzt MT an einem Gästetisch und konsumiert ein Warmgetränk.» Zwei Tische nebenan sei ihr Partner mit Geschäftsfreunden gesessen, entgegnet sie.
Der Bericht bringt ihr auch Gewissheit, dass man ihr und ihrem Partner im Auto gefolgt ist. Sie hätte manchmal ein seltsames Bauchgefühl gehabt. Die Ortsangeaben der Schnüffler seien teils so detailliert, dass sie sicher ist, mit einem Chip im Auto getrackt worden zu sein. Beweisen kann sie es nicht.
Ihre Krankenkasse überwies ihr Dossier der Krankentaggeld-Versicherung. Doch diese Stelle hat sie zu ihrem Vertrauensarzt geschickt. Der stellt sich ebenfalls gegen sie.
Der Fall ist beim Bundesgericht hängig, es geht um eine sechsstellige Summe: Ihre Versicherung glaubt sie überführt zu haben, wieder gesund zu sein. T. ärgert, dass in ihrem Fall eine Person mit posttraumatischer Belastungsstörung beschnüffelt worden sei: Die Observationen hätten ihren Zustand noch verschlechtert.
Seit Oktober 2016 hat sie plötzlich bessere Karten: Der Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg erklärte die Schnüffeleien für unzulässig. Seither hat T. die Gegenseite nicht mehr von Überwachungen reden hören.
Umso brisanter wird der Entscheid des Nationalrats am Montag: Die Bürgerlichen wollen den Sozialdetektiven umfangreiche Befugnisse einräumen. Sie finde gut, wenn Missbrauch bekämpft werde, sagt T. Aber was die Risiken dabei sind, hat sie am eigenen Leib gespürt.
T. arbeitet heute im Bereich Natur und Landschaft: «Es ist schön, mit Tieren zu arbeiten. Die sind ehrlich.»
*Name der Redaktion bekannt